Die Würde des Menschen

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Die Würde des Menschen

Matthäus 18,1-14 (dänische Perikopenordnung)| verfasst von Christiane Gammeltoft Hansen|

 

Wo sitzt die Würde des Menschen?

Matthäus meint offenbar nicht, dass sie in der Hand liegt oder in den Beinen, wo man doch auf diese Körperteile nach seiner Meinung verzichten kann. Aber irgendwo muss die menschliche Würde ja liegen.

Vielleicht liegt die Würde in der Farbe? Es gibt jedenfalls Menschen, die auf Grund ihrer Farbe – der Hautfarbe – für ihr Recht kämpfen, gleichberechtigt zu sein mit allen anderen. Die für ihre Würde kämpfen. Sie erleben, dass ihre Hautfarbe ein Problem ist. Dass da Leute sind, die eben wegen ihrer Hautfarbe das Schlimmste von ihnen erwarten – Überfall, Gewalt und Unehrlichkeit. Es ist nur eine Farbe, aber offenbar mehr als das, wenn die Vorurteile ihr Leben beeinträchtigen. Dann rufen sie laut, pochen auf ihr Recht und fordern Gleichbehandlung.

Es kann auch vorkommen, dass die Würde in der Ideologie sitzt, in der Hoffnung auf eine Gesellschaft, die nicht versteinert ist, sondern weich wie ein Körper. Es gibt Leute, die unter gesellschaftlichen Verhältnissen leben, wo sie die Erfahrung machen, dass ihnen die Würde genommen wird. Dass ihre Bewegungsfreiheit und Redefreiheit sich darauf beschränkt, sich zu fügen.  Aber sie sind Träumer. Sie träumen von mehr, als es das „Jetzt“ hergibt, gegen das sie sich wenden. Sie springen in der Zeit voraus und weigern sich, die Zukunft dem Gegner zu überlassen. Sie widersprechen den Unterdrückern, fordern Freiheit, Gleichheit, Respekt, und dies auch wenn sie Gefahr laufen, dadurch ihre eigene Freiheit zu verlieren.

Oder vielleicht sitzt die Würde im Geld? Diejenigen, die kein Geld haben, erzählen jedenfalls von einem Leben, in dem sie ungerecht behandelt werden. Sie kämpfen damit, ob das Geld reicht, während die Umwelt meint, es liege an ihrem Willen. Wenn sie sich nur mehr Mühe gäben, würden sie sich nicht in dieser Mangellage befinden.

Es geht darum, wie man uns begegnet – mit Haut und Haar, Status oder Mangel an demselben. Es geht auch darum, wie wir anderen begegnen. Geschieht das in einer Annahme oder einer Zurückweisung? Erwarten wir von denen, die gefallen sind, dass sie sich selbst wieder erheben, oder reichen wir ihnen eine Hand und helfen ihnen ein Stück auf dem Weg, wie ein Hirt sein Schaf zurückträgt?

Der dänische Philosoph Løgstrup hat einmal gesagt: „Der einzelne Mensch hat nie mit einem anderen Menschen zu tun, ohne dass er etwas vom Leben des anderen in seiner Hand hat“. Wir tragen mit am Leben von einander. Und wir haben eben dazu die Hände.

Schlage die Hand ab, sagt Matthäus in einer seiner harten Ausfälle. Er sagt das im Dienst einer guten Sache, um den anderen zu schützen. Aber für Løgstrup taugt dieses Bild nicht. Wir brauchen die Hände – und in dieser Hinsicht auch die Beine und die Augen

Es kann gut sein, dass die Würde nicht in der Hand liegt, aber die Hand kann den anderen greifen und aufrichten und zu neuer Würde verhelfen. Also lass die Hand sitzen, denn es besteht die Möglichkeit, dass sie zu etwas gut ist.

Die Hand bringt uns nah an die Welt und den anderen. Es kann zwar zu Schlägen kommen statt zu Liebkosungen. Und wir können mit der Hand manipulieren. Manipulation bedeutet ja wörtlich „an der Hand führen“. Aber die Hand ist nun einmal das, was uns zu „handelnden“ Menschen macht.  Menschen, die uns engagieren, nach uns greifen, uns greifen. Die sich nicht distanziert verhalten, sondern sich einbringen.

Das ist wie bei einem kleinen Kind, dass auch den Körper benutzt, um sich mit der Welt zu verbinden. Das Kind schmeckt buchstäblich die Welt, greift nach allem, was es erreichen kann. Die Welt ist keine Abstraktion. Sie ist etwas, was man greifen und fühlen kann. Und das tut das kleine Kind ja auch. So wie das Kind selbst davon abhängig ist, dass wir nicht handscheu sind. Das wir es aufnehmen, in unseren Armen halten. Es beschützen.

„Wer ist der Größte im Himmelreich?“ fragen die Jünger. Sie fragen, wie man nun einmal fragt in einer Welt, die voll von Vorurteilen, Ungleichheit und Konkurrenz ist. Sie fragen, als ob es faktisch möglich wäre, die Menschen in dieser Weise aufzuteilen, wo da einige oben sind und andere unten. Einige sind mehr wert als andere.

Jesus antwortet, indem er auf ein kleines Kind zeigt. Er tut das nicht, damit wir wieder Kinder werden. Das können wir ja auch nicht. Aber wir können vielleicht etwas lernen, etwas wiederentdecken.

Das kleine Kind weiß instinktiv, dass es von anderen abhängig ist. Das sind wir auch. Wir sind nur die, die wir sind, auf Grund dessen, was uns gegeben ist. Wir sind nur dorthin gekommen, wo wir sind, weil da jemand war, der sich unser angenommen hat. Wir sind Menschen, weil andere für uns gesorgt haben.

Das ist es, was auch in der Taufe geschieht und an das wir auch erinnert werden, wenn wir sehen, wie ein Kind getauft wird. Die Taufe schenkt uns die Identität der Gemeinschaft. Wir leben nicht für uns selbst, und wir sterben nicht für uns selbst. Paulus beschreibt das so, dass wir Glieder sind am Leib Christi. Wir können das Leben nicht allein bewältigen, aber das sollen wir auch nicht. Wir sind Teil einer großen göttlichen Wirklichkeit.

Und dann ist da das Unmittelbare. Das kleine Kind glaubt das Beste. Es begegnet der Welt mit Vertrauen. Später kann Misstrauen hinzukommen. Das kann es u.a. dann, wen wir es dem Kind beibringen. Deshalb wird der Ton hart in unserem, heutigen Text. Nichts – weder die harten Schläge der Hand noch der misstrauische Blick des Auges – darf verhindern, dass das Kind mit der Hoffnung und dem Glauben aufwächst. Eben deshalb sagt Jesus auch: Kehrt um. Kehrt euch um und seht, woher ihr kommt. Denkt daran, dass es mit einem Vertrauen begann und dem instinktiven Gefühl der Abhängigkeit.

Vielleicht liegt die Würde da: Im Vertrauen, im Glauben, und darin, dass wir in einem Wechsel zwischen Empfangen und geben existieren. Gehalten werden und selbst halten.

Oder einfacher gesagt mit dem Evangelium und zugleich größer: Die Würde gründet darin, dass wir von Gott geschaffen sind, Kinder Gottes. Die Würde ist von Gott geschenkt. Im eigentlichen Sinne kann ein Mensch deshalb auch seine Würde nicht verlieren.

Das bedeutet nicht, dass die Würde nicht verletzt werden und Not leiden kann, so wie dies geschieht, wenn wir einander beschämen, unterdrücken und demütigen. Möge Gott uns dann lehren, mit den Augen der Liebe zu sehen und seine Hände in der Welt zu sein. Und wenn wir selbst in unsere Würde getroffen werden, mögen wir das durch die Hand unseres Nächsten aufgerichtet werden. Amen.

 

Pastorin Christiane Gammeltoft-Hansen

DK-2000 Frederiksberg

E-mail: cgh(at)km.dk

 

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