1. Korinther 15,50-58

1. Korinther 15,50-58

Die zwei Fragen des Auferstandenen | Ostermontag | 01.04.2024 | 1. Kor 15, 50-58 | Manfred Mielke |

Liebe Gemeinde,

wir hören heute einen kurzen Bibelvers. Er lautet: „Der Tod ist verschlungen vom Sieg. Tod, wo ist dein Sieg? Tod, wo ist dein Stachel?“ Darin hören wir die Gewissheit, dass bei Jesus das Leben gesiegt hat. Er wurde schlussendlich in ein neues Leben hinein auferweckt. So rufen wir es uns auch zu als Ostergruß: „Christus ist auferstanden, er ist wahrhaftig auferstanden!“

Am Ostermorgen fragten dazu die Frauen auf dem Friedhof: „Wir wollen ihm Gutes tun! Wo ist er denn nun?“ Darauf antwortete der Engel im leeren Grab: „Er ist nicht hier; er ist auferstanden. Geht zu den Jüngern und bezeugt es ihnen!“ Das ist die Antwort auf die Frage der Frauen; der Apostel Paulus hat die Reihenfolge umgedreht. Zuerst steht bei ihm eine Gewissheit, aus der sich Fragen ergeben: „Der Tod ist verschlungen vom Sieg. Tod, wo ist dein Sieg? Tod, wo ist dein Stachel?“ Die Gewissheit der Auferstehung stellt neue Fragen. In ihnen klingen alte Prophetenworte an. Hosea und Jesaja bekräftigten die Zusagen Gottes an sein Volk Israel, das mit seinen Nachbarn in Zerreißproben lebte. Das Hin und Her zwischen „Tod und Sieg“ prägt seitdem die komplexe Weltpolitik und auch einige persönliche Grundfragen. Zu einer Grundfrage kennen wir die Antwort: „Was ist dein einziger Trost im Leben und im Sterben?“ Sie lautet: „Dass ich mit Leib und Seele im Leben und im Sterben nicht mir, sondern meinem getreuen Heiland Jesus Christus gehöre.“

Damit lehnen wir ab, auf Gedeih und Verderb dem Tod als Eigentum zu gehören. Dennoch haben wir kaum den Mut, ihn zu „Duzen“ und gleich zweimal zu fragen: „Tod, wo bist Du hin mit deinem Sieg? Tod, wo ist dein bedrohlicher Stachel?“ So ganz trauen wir uns nicht, den Tod zu provozieren, denn für uns liegt das Sterben noch in der Zukunft. Passender wäre, dass jemand die Fragen stellt, der den Tod schon hinter sich lassen konnte. Dürfen wir die beiden Fragen Jesus fragen lassen? Nicht am Karfreitag am Kreuz, sondern am Osterfest, als Auferstandenen: „Mein Tod wurde verschlungen von Gottes Sieg. Tod, wo ist dein Sieg? Tod, wo ist dein Stachel?“ – Aus Jesu Mund klingen am Osterfest diese Fragen an den Tod sehr stimmig, sehr kraftvoll, sehr lebensfroh; nicht überheblich, weder heldenhaft noch distanziert. Denn Jesus hat den Tod überwunden nach seiner Passion – unter Mobbing und Verachtung, unter Krämpfen und Durst, unter Folter und Blutverlust.

Das ist uns bildhaft vor Augen bei seiner Dornenkrone. Noch trägt er die Narben, wenn er nun den Tod nach dessen Niederlage fragt: „Tod, wo ist dein Stachel?“ Damit ist seine zentrale Waffe gemeint, mit ihrer Gewalt und Wirksamkeit. Dazu fragt Paulus: „Woher kommt das Gift des Todes?“ Und schreibt als Antwort: „Der Stachel des Todes aber ist die Sünde, die Kraft aber der Sünde ist das Gesetz.“ Damit weitet Paulus die Sichtweise. Weiterhin gilt die höchste Warnstufe gegen den Einstich des Stachels, aber hinzu kommt die Rückfrage zur Herkunft des Gifts. Die liegt in einer toxischen Gesetztreue, die falschen Stolz produziert, aber zugleich das Leben einschüchtert. Der Sieg, der im Tod verschlungen ist, bewirkt zweierlei: Er entgiftet die fehlgeleitete Gesetzestreue und schenkt eine lebendige Glaubenszuversicht. Die umschreibt ein Gesangbuchvers so: „Das ist die reiche Osterbeut‘, der wir teilhaftig werden: Fried, Freude, Heil, Gerechtigkeit im Himmel und auf Erden.“ (EG 113,7)

Von dieser Zuversicht ausgehend schauen wir noch einmal auf den Stachel, konkret als Organ eines Tieres. Paulus und die Propheten spielen wohl auf einen Skorpion an, der mit seinem Stachel das todbringende Gift in ein Beutetier einschießt. Eventuell spielen sie auch auf den Stachelstock an, mit dem ein bockiges Tier gewaltsam drangsaliert wird. (W. Schrage im EKK) Beide Veranschaulichungen zeigen auf die Gewalt, vielmehr aber betonen sie deren Überwindung. Wer befreit uns von den Stachelstöcken, die uns zur Schlachtbank treiben? Wer kann dem Tod den Stachel abbrechen? Nur Gott. Denn, wenn er sein Heil vorantreibt, wird er den „Stock des Treibers zerbrechen“ (Jesaja 9,3), er wird „der Hölle die Pest an den Hals bringen“ und „dem Tod wird er ein Gift sein.“ (Hosea 13,14) Das sind Bilder der alttestamentlichen Prophetie. Sie helfen uns in Schicksalsschlägen, den Genesungskräften Gottes zu vertrauen. Und falls wir am Tiefpunkt angekommen sind, verlassen wir uns auf seine heilsame Zuwendung: „Gott, dein Stecken und Stab trösten mich!“

Wir denken uns aus, dass Jesus am Ostermorgen selbst ausgerufen hat: „Mein Tod wurde verschlungen im Sieg Gottes! Tod, wo ist dein Sieg? Tod, wo ist dein Stachel?“ Diesen Sieg hat er vorher angedeutet. Im Garten Gethsemane betet er: „Nicht mein Wille, sondern deiner geschehe!“ Noch als Opfer am Kreuz ruft er:Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände“. Sterbend legt er aktiv seine Identität in Gottes Hand und stellt somit den Tod mit leeren Händen ins Abseits. Auch mit seinem Ruf „Es ist vollbracht!“ stimmt er kein Triumphlied an. Mit „It is finished“ betont die englische Übersetzung, dass er in seinem Erliegen alles erledigt hat. Alles Leid hat er gebündelt und alles Heil kommt von ihm. Mit seinem Ruf „Es ist vollbracht!“ hat er sich wieder kompatibel gemacht zu seinem himmlischen Gottvater. Daher konnte er machtvoll die fröhliche Frage stellen: „Du, Tod, sag mal: wo ist nun dein Sieg?“ – Doch zuerst sagt sein Ruf, dass er das Finale erreicht hat. Unmittelbar nach seinem Ruf neigt er sein Haupt und stirbt. Das sieht nach einem Stillstand aus. Die nächsten menschlichen Aktionen werden erfolgen, an Ostern auch Gottes Großtat der Auferweckung. Alle Einzelszenen, sagt Paulus, haben einen Zusammenhang. Eine Dynamik, die aus dem Hintergrund alle Aktionen prägt. Es schlägt den Begriff des „Verschlingens“ vor und sagt: „Der Tod ist an Ostern vom Leben verschlungen worden“.

Doch wie kann das Leben den Tod verschlingen? Wir fragen das, weil wir zwischen Gewissheit und Verlegenheit schwanken, zwischen Einwilligung und Sehnsucht. Wir, die wir in uns keine letzte Sicherheit haben über unsre Sterblichkeit hinaus. Auch in der damaligen Sprachwelt ist der Begriff des „Verschlingens“ ungewöhnlich für einen Vorgang zwischen Himmel und Hölle. Als Bild aus der Natur meint er wohl das Verschlingen eines Beutetieres, zum Beispiel eines Kükens durch eine Schlange. Der Vergleich wurde in vielen historischen Osterliedern strapaziert, er ist wohl wirkmächtiger als die Naturbilder eines aufbrechenden Frühlings. Das Küken hat unser Mitleid, die Schlange soll nicht siegen. So verstärkt dieses Bild die Todesangst, die es doch überwinden will.

An Ostern erfasst das „Verschlingen“ wohl eher das Hineingezogen werden in einen Strudel. Z.B. wenn ein Abfluss verstopft ist, und der Pfropfen herausgerissen wird, sodass das gestaute Wasser abfließen kann – mitsamt des verursachenden Abfalls und vieler Schwebstoffe. Das Verschlingen ist also aus Sicht des Problems ein passives „Mitgerissenwerden“. Auf die Frage: „Tod, wo ist dein Sieg?“ müsste dessen Antwort lauten: „Ich bin mitgerissen worden. Von einem starken Wirbel. Ich habe den Halt verloren!“ Das ist nun ein fröhliches Bild: Fauliges Wasser fließt in einem Strudel ab, weil die Verstopfung entfernt wurde. Wir sind erleichtert und spülen gleich frisches, lebendiges Wasser nach.

Diese Fröhlichkeit bleibt uns, auch wenn wir skeptisch fragen, warum es das Leben so schwer hat gegen den Tod. Wir sind uns sicher, dass der Tod nicht einfach verschwindet. Er wurde auch durch Jesu Auferstehung für uns nicht gegenstandslos. Auch wenn uns die Werbung es einsuggeriert, nein, gegen den Tod haben wir kein Heilmittel zur Hand. Paulus hat seinem Dialog zwischen Leben und Tod einige kühne Gedanken angehängt. Z.B. wie genau der Tod dann letztlich doch vernichtetet werden wird. Ob bei der Großen Auferstehung jeder seinen alten Körper in einen Neuen verwandelt bekommt. Ob das Monate braucht oder nur Sekunden, wie beim Signalstoß einer kräftigen Trompete.

Ich nehme diese Möglichkeiten dankbar zur Kenntnis, finde aber, dass die aktuellen Bedrohungen vorrangiger sind. Gegen sie haben wir einen unerledigten Überschuss in Sachen Hoffnung und Glaubensmut. Zwar will keiner dem widersprechen: „Der Tod ist verschlungen im Sieg!“ –  aber wie sollen wir ihn anwenden, wenn es um das Sterben ganzer Völker und Ethnien geht, um das Artensterben in der Natur und um das Abmurksen vieler Freiheitsbewegungen und die Ermordung vieler Aktivisten. Hat die Osterbotschaft die Kraft, gegen diese Gegenkräfte anzutreten? Denn Vieles läuft nach dem Gegenmotto: „Das Leben geht zu oft zugrunde!“ Oder salopp gesagt: „Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt!“ In einem neuen Osterlied lautet ein Vers: „Manchmal feiern wir mitten im Streit ein Fest der Auferstehung: Waffen werden umgeschmiedet und ein Friede ist da.“ (Alois Albrecht) Dieses „manchmal“ klingt verzagt, ist aber ehrlich – und doch nicht endgültig. Die endgültige Geste Gottes werden wir so erfahren: „Er wird alle Tränen von ihren Augen abwischen: Der Tod wird nicht mehr sein, keine Trauer, keine Klage, keine Mühsal.“ Bis dahin gilt: „Jeder Tod fließt in einen Sieg Gottes hinein!“ Amen

Lieder:

Jesus, unser Trost und Leben (Ernst Christoph Homburg)

Seht, der Stein ist weggerückt (Lothar Zenetti)

Gott hat den Sieg (Kommunität Gnadenthal)

Manchmal feiern wir mitten am Tag (Alois Albrecht)

Solang wir Atem holen (Sytze de Vries/Jürgen Henkys)

Wir stehen im Morgen (Jörg Zink)

Gebet:

Du, Auferstandener, lebendiger Christus!
Wir leben noch im Schatten des Todes, leiden an der Vergänglichkeit unseres Glücks, unserer Gesundheit, unserer Kraft. Wir fürchten die Endgültigkeit des Abschieds von unseren Weggefährten
und wollen nicht erinnert werden an das Ende der eigenen Zeit, weil wir nicht ergründen können, was danach kommt. Präge uns ein, dass du uns am Ende alle erwartest, und dass du schon jetzt die Schatten des Todes aus unserem Leben vertreibst mit der Macht der Liebe, die stärker ist und ewig bleibt. Amen (Sylvia Bukowski in reformiert-info.de)

Manfred Mielke, Pfarrer der EKiR im Ruhestand, geb 1953, verheiratet, 2 Söhne. Sozialisation im Ruhrgebiet und in Freikirchen. Studium in Wuppertal und Bonn (auch Soziologie). Mitarbeit bei Christival und Kirchentagen. Partnerschaftsprojekte in Ungarn (1988- 2011) und Ruanda (2001-2019). Musiker und Arrangeur.

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