Johannes 20,1-18

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Johannes 20,1-18

Ostermontag | 01.04.24 | Joh 20,1-18 (dänische Perikopenordnung) | Marianne Frank Larsen |

”Einen Frühlingsmorgen schön”[1]

”Wer stirbt, wird augenblicklich in Vergangenheit verwandelt. Es ist gleichgültig, ein wie wichtiger Mensch er war, wieviel Güte und Willenskraft er besaß und wie undenkbar das Leben ohne diesen Menschen ist, der Tod sagt Haps, das Leben verschwindet im Bruchteil einer Sekunde, und der Mensch wird in eine Vergangenheit verwandelt“. Es ist ein Junge, der so denkt in dem Buch des isländischen Autors Jón Kalmar Stefánsson: Himmel und Hölle[2], als sein bester Freund im Meer vor der Küste Islands erfroren ist. Der Freund konnte alles erzählen, und der Freund erzählte dem Jungen auch alles. Er was sein einziger Halt. Eben deshalb ist sein Leben undenkbar ohne diesen Menschen. Aber das ist dem Tod gleichgültig. Im Bruchteil einer Sekunde ist der Freund in Vergangenheit verwandelt, kein Herzschlag, keine Gedanken, keine Erinnerungen. Der starke, weiche Körper mit seiner Wärme und seinem Duft ist eiskalt, und all das, was ihn zu dem gemacht hat, was er war, ist verschwunden. Und der Junge weint, als ihm jemand eine tröstende Hand auf die Schulter legt, und die Tränen lindern und sind gut, steht da, „aber sie sind dennoch nicht gut genug. Denn es ist unmöglich, die Tränen auf einer Schnur aufzureihen und sie dann in eine finstere Tiefe zu versenken wie ein funkelndes Seil und die herauszuholen, die tot sind, aber leben sollten“.

Deshalb weint Maria im heutigen Evangelium. Weil der Tod den zu Vergangenheit gemacht hat, den sie liebt. Der Mann, der ihr alles erzählt hat und dem sie alles erzählen konnte, ist verschwunden. Sein Blick, sein weicher Körper, der Klang seiner Stimme, alles, was ihn zu dem machte, was er war, ist verschwunden. Und damit alles, was sie zu dem machte, was sie war. Denn solange er lebte, war sie nicht nur irgendeine Maria, sondern die Maria, für die er einen Blick, ein Ohr und Worte hatte, kostbar in seinen Augen. Aber er ist nicht mehr da. Ohne ihn ist ihr Leben undenkbar. So wie unser Leben, wenn wir die verlieren, die unentbehrlich sind. Wie der Junge und wir anderen über unseren Verlust weinen, so weint Maria. Und die Tränen lindern und sind gut, aber auch ihre Tränen sind nicht gut genug, denn sie können nicht an einer Schnur wie ein funkelndes Seil gezogen werden und in die Tiefe gesenkt werden und ihn heraufziehen, der tot ist, aber leben sollte.

Es ist Ostermorgen, aber in der verweinten Augen Marias ist es noch immer Karfreitag. Sie sieht, dass das Grab leer ist, sie sieht Engel in weißen Gewändern, sie sieht sogar Jesus selbst, aber dieser Anblick macht keinen Unterschied. Durch Tränen gesehen kann das Grab nur leer sein, weil die Leiche weggebracht worden ist, und der Mann vor ihr kann nur der Gärtner sein. Nicht der Anblick, sondern der Klang verwandelt ihre Wirklichkeit. Der Klang der bestimmten geliebten Stimme. Er sagt nicht irgendetwas. Er sagt ihren Namen, wie nur er ihn sagen kann. Und da wird es Ostermorgen für Maria. Als sie hört, dass sie wiedererkannt wird und ihn im selben Augenblick wiedererkennt. Da ist es nicht mehr Karfreitag. Er ist nicht mehr Vergangenheit. Er steht von Angesicht zu Angesicht vor ihr und ist Gegenwart. Einen Frühlingsmorgen schön, lässt er uns im Glauben sehn[3]. In den schönen Zeilen dieses Liedes steht die Morgensonne auf aus den funkelnden Tränen in den Augen Marias.

Matthäus, Markus und Lukas sind sich darin einig, dass Jesus in ein Grab gelegt wurde, das in einen Felsen gehauen war. Aber Johannes fügt etwas hinzu. An der Stelle war ein Garten, sagt er als einziger Evangelist, und ich glaube, das ist kein Zufall. Ein Grab, das in einen Felsen gehauen ist, das klingt genauso kalt und hart wie die rohen Tatsachen. Ein Garten dagegen, das ist ein Wort, das wir mit Fruchtbarkeit verbinden, mit Schönheit, Farben, Vogelgesang, neuem Leben, das beginnt, wenn der Frost nachlässt. Mit diesem Wort legt Johannes eine Spur, einen kleinen Hoffnungsschimmer mitten im Untergang und dem Schrecken von Karfreitag. Als Maria den Auferstandenen wiedererkennt, entfaltet sich das Bild. Sie steht auf einem Friedhof. Das ist der Garten der Toten. Aber ihr gegenüber steht der Tote, der lebendig ist und sie beim Namen nennt. Er ist nicht Vergangenheit. Er ist Gegenwart. Und der Tod ist Vergangenheit. So gesehen ist das der Garten des Paradieses, in dem wir uns befinden. Der Ort, wo neues Leben ständig beginnt. In diesem Sinne ist er wirklich eine Art Gärtner.

Der erste Gedanke Marias ist natürlich, ihn zu umarmen. Aber das soll sie nicht. Denn er ist nicht mehr der Jesus, der an eine bestimmte Stelle auf der Erde gebunden ist. Er ist der auferstandene Christus, der bei seinem Vater im Himmel ist. Und damit ist er überall, wo Maria und wir anderen hinkommen. Genau so dicht bei ihr, wie er war, als er auf Erden lebte, unsichtbar. Aber nicht unansehnlich, denn das war er nie. Er kann gehört werden und erkannt werden an seinen Worten, die Maria von ihm hörte und an denen sie ihn am Ostermorgen erkannte. Sie soll ihn nicht mehr in ihren Armen halten. Sie soll sich mit ihrem Herzen und ihrem Glauben an ihn halten und an alles, was er sagt und tut. Mit dem Klang seiner Stimme in ihr und mit seinen Worten auf ihren Lippen soll Maria aus dem Garten gehen, hinein in die Stadt, und auf die neue Wirklichkeit verweisen für die, die trauern. Dass der Tote von den Toten auferstanden ist. Gegenwart geworden ist. Und der Tod ist Vergangenheit geworden. Er soll nicht mehr Menschen in einer Sekunde in Vergangenheit verwandeln dürfen.

Das tut er ja dennoch. Wenn da jemand ist, den wir liebhaben, dann werden wir an unseren Gräbern stehen wir der Junge in dem Buch von Stefánsson und wie Maria im Evangelium und spüren, dass die Tränen gut sind, aber sie sind nicht gut genug. Sie sind nicht wie funkelnde Seile, die Menschen herausziehen können, die leben sollten. Aber da ist ein anderer, der das kann. Denn wir stehen nicht allein. Zusammen mit uns steht er, der den Tod zu einer Vergangenheit gemacht hat. Wir können ihn nicht sehen. So wenig wie Maria haben wir etwas von unserem Augenlicht, wenn wir auf dem Friedhof stehen. Aber wir können ihn hören. Und darum gehen wir in die Kirche. Um ihn quer durch die vielen Worte zu hören, wie er sich selbst unseren Bruder nennt und seinen Vater unseren Vater nennt und uns beim Namen nennt wie einst als wir getauft wurden, so dass wir wieder darauf vertrauen können, dass wir nicht irgendwer sind, sondern die bestimmten Menschen, für die er Blick und Ohren und Worte hat, kostbar in seinen Augen.

Von dem Anblick haben wir nichts, habe ich gesagt, aber das stimmt natürlich nicht. Mit dem Klang seiner Stimme in uns können wir vielleicht sehen, was wir zuvor nicht gesehen haben. Sehen, dass der Friedhof Farbe bekommt, wenn der Frost schließlich nachlässt.  Hellgrüne Knospen in Zäunen und Hecken, blaue Stiefmütterchen, gelbe Osterblumen. Schönheit, Fruchtbarkeit, neues Leben, das beginnt. Und Gesang der Lärchen, wenn man Glück hat. Das ist der Garten der Toten, aber er spiegelt eine Hoffnung, die der Auferstandene in Maria am ersten Ostermorgen weckte. Lässt uns einen Glanz von dem Garten sehen, wo er uns verheißt, dass die Geschichte ein Ende hat. In Bezug auf diesen besonderen Gärtner wird unsere Wirklichkeit eine andere. Vor uns liegen nicht allein Verlust und Tränen und Kälte in uns. Vor uns liegt als äußerster Horizont ein sonniger Morgen in dem Garten, wo der Tod Vergangenheit geworden ist, und wir die bestimmten, geliebten Stimmen wieder hören sollen. Seine Stimme und die Stimmen der Mitmenschen. Amen.

Pastorin Marianne Frank Larsen

DK 8000 Aarhus C

mfl(at)km.dk

[1] Aus dem Lied von Grundtvig: Nehmt das schwarze Kreuz vom Grabe, V. 5, Deutsch-Dänisches Kirchengesangbuch Nr. 241.

[2] Reclam Verlag Stuttgart 2009.

[3] Aus dem Lied von Grundtvig: Nehmt das schwarze Kreuz vom Grabe, V. 5, Deutsch-Dänisches Kirchengesangbuch Nr. 241.

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