1.Samuel 2,1-8a

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1.Samuel 2,1-8a

„Hinabgestiegen in das Reich des Todes“ | Ostersonntag | 31.3.2024 | 1. Samuel 2,1-8a | Rainer Stahl |

„Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus,

die Liebe Gottes

und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes

sei mit Euch allen!“

Liebe Leserin, lieber Leser!

Liebe Schwestern und Brüder!

An den Anfang stelle ich eine eigene Übersetzung des Predigttextes:

1aα      Und es betete Hanna, und sie sprach:

1aβ      „Es freut sich mein Herz an Jahwe, am Herrn, erhöht ist mein Horn durch Jahwe, durch den

Herrn,

1bα      weit öffnet sich mein Mund gegen meine Feinde,

1bβ      denn ich freue mich wegen deiner Hilfe.

2a        Keiner ist heilig wie Jahwe, wie der Herr, denn keiner ist außer dir,

2b        und keiner ist ein Fels wie unser Gott.

3aα      Nicht redet fortwährend: »Hoch hinaus, hoch hinaus.«

3aβ      Nicht entfahre Vermessenes eurem Mund.

3bα      Denn ein Gott des Wissens ist Jahwe, ist der Herr,

3bβ      so sehr, dass Taten nicht geprüft zu werden brauchen.

4a        Der Bogen der Helden ist zerbrochen,

4b        aber Schwache gürten sich mit Macht.

5aα      Satte müssen um Brot sich dingen,

5aβ      aber Hungerleider werden fett an Beute.

5bα      Die Unfruchtbare gebiert sieben,

5bβ      aber die Kinderreiche welkt dahin.

6a        Jahwe, der Herr, tötet, und er macht lebendig;

6b        er stößt in das Totenreich, und er führt herauf.

7a        Jahwe, der Herr, macht arm, und er macht reich;

7b        er erniedrigt, und er erhöht.

8aα      Er richtet auf aus dem Staub den Armen, aus dem Kot erhöht er den Dürftigen,

8aβ      dass er sie setze neben die Edlen, und den Ehrenstuhl er ihnen gebe.“[i]

In der Gestalt der Hanna, eine der beiden Frauen des Elkana, wird eine Grundverunsicherung vieler Frauen dargestellt: Dass sie Kinder nicht bekommen können. In unserer modernen Zeit sind zur Lösung dieser Herausforderung viele Therapien möglich – für die Frau, für den Mann. Wenn alles scheitert, greifen Wohlhabende auch auf den Weg zurück, eine Leihmutter in Anspruch zu nehmen, die ein Kind austragen kann. Allerdings sind solche Schritte in Deutschland nicht erlaubt.[ii] Solch ein verzweifelter Schritt macht besonders deutlich, wie sehr die betroffene Frau und ihr Mann grundlegend von der Kinderlosigkeit erschüttert sein können. Ich bitte darum, diese Notlage – wenn sie in Ihrem Umfeld auftritt – sehr ernst zu nehmen.

In unserer biblischen Geschichte hilft der Frau ihr Gebet im Jahwe-Heiligtum, im Heiligtum des Herrn, in Silo. Sie erhält das Hoffnungswort: „Gehe in Frieden! Der Gott Israels wird dir das geben, was du von ihm erbeten hast“ (1. Samuel 1, Vers 17).

Hanna reagiert in ganz beeindruckender Weise: Sie zieht natürlich ihren Sohn Samuel auf. Aber nachdem er das nötige Alter erreicht hatte, gibt sie ihn an das Heiligtum in Silo, dass er dort als Mann Jahwes, als Mann des Herrn, zu leben lernt. Den Sohn, den diese Frau von Gott erbeten hatte, gibt sie also Gott zurück, sobald das möglich ist. Das ist also eine Geschichte, die grundlegend von unseren normalen Verhaltensweisen unterschieden ist! Aber einen auch heute noch besonderen Weg gehen Frauen und Männer, die sich für das Leben in einer Kommunität, in einem Kloster entscheiden. Ich benenne also zwei grundsätzliche Möglichkeiten: ein Leben in unserem normalen Alltag oder ein Leben in einer Sonderexistenz in einer Glaubensgemeinschaft. Diese Möglichkeiten vor Augen wollen wir aus Aussagen des Lobgesangs der Hanna Hinweise für unser eigenes Glaubensleben entnehmen.

Ein Teil ihres Lobgesangs ist unser heutiger Predigttext. Ich hebe folgende Worte hervor:

2a        „Keiner ist heilig wie Jahwe, wie der Herr, denn keiner ist außer dir,

2b        und keiner ist ein Fels wie unser Gott. […]

6a        Jahwe, der Herr, tötet, und er macht lebendig;

6b        er stößt in das Totenreich, und er führt herauf.

7a        Jahwe, der Herr, macht arm, und er macht reich;

7b        er erniedrigt, und er erhöht.“

Wenn wir diese Worte an uns heranlassen, wird uns ein mehrmaliger Wechsel zugemutet: Von der Frau, die von ihrer Kinderlosigkeit grundlegend verunsichert war, zu uns mit unseren vielleicht ganz anders gelagerten Problemen. Von uns, deren Probleme gelöst worden waren, zur Bereitschaft, dem Gott, der uns geholfen hatte, existentiell zu danken – also unser Leben von diesem Dank her prägen zu lassen. Von uns, die wir uns völlig neu orientiert hatten, hin zum Osterfest, in dem wir die Auferweckung des gekreuzigten Christus feiern. Von diesem Osterfest her will ich nun auf unser Bibelwort für die Predigt schauen. Wir werden uns fragen: Warum ist dieses Lied Bibeltext für das Osterfest?

6a        „Jahwe, der Herr, tötet, und er macht lebendig;

6b        er stößt in das Totenreich, und er führt herauf.“

Diese Vision ist in unserer christlichen Religion als Vorankündigung von Karfreitag, von Karsamstag und vom Osterfest verstanden worden:

Für Karfreitag: Als Andeutung der Hinrichtung Jesu: „Der Herr tötet.“

Für Karsamstag: Als Andeutung der Existenz Jesu im Totenreich: „Gestoßen ins Totenreich.“

Für das Osterfest: Als Andeutung des Wunders der Auferstehung: „Jahwe, der Herr, macht lebendig und führt wieder herauf.“

Ich bleibe also ganz unsicher, was wir hierzu als Erfahrungen unsererseits anführen können. Sicher – nur knapp angedeutet – den schweren Weg durch eine lebensgefährliche Erkrankung und die Erfahrung, dass wir herausgerettet worden waren! Dann die Erfahrung der Genesung, die Erfahrung wieder in alte Lebenskraft zurückgefunden zu haben! Aber natürlich bleibt dieses alte Leben ein Leben, dass wieder von Mängeln gezeichnet werden kann, ein Leben, das wieder Krankheiten auferlegt bekommen kann, ein Leben, das letztlich vom Tod beendet werden wird.

Was wir über Christus glauben – das ist die größte Verwirklichung einer Hoffnung über Gefährdungen hinaus, letztlich: über den Tod hinaus. Die Aussage, dass Gott auch ins Totenreich führt, hat mir ein besonderes Erlebnis erinnert, ein Erlebnis, das damals, in dem konkreten Moment, in dem es mir zuteilwurde, ganz bei mir geblieben war, das niemand sonst gespürt hatte:

Im Juli 2002 hatte ich einen Berg-Wander-Urlaub im Ötztal gemacht. Unsere Gruppe war am 7. Juli nach Bozen gefahren. Wir besuchten das Museum für den „Ötztal-Mann“, für den „Mann im Eis“. Er war im September 1991 unterhalb des Similaun-Gipfels auf 3.120 Metern Höhe entdeckt worden. Der Kopf und ein Teil seines Oberkörpers hatten aus dem Eis herausgeragt. Deshalb wurden Wanderer aus Nürnberg auf ihn aufmerksam. Die Untersuchungen ergaben, dass dieser Mann um 3.200 vor Christus im Alter von etwa 46 Jahren ums Leben gekommen war – wohl durch den Pfeilschuss eines Gegners. Unser Bergführer, Robert Höck, erzählte uns, dass er selbst an der Bergung dieses Mannes beteiligt gewesen war.

Dann kam für mich der Moment, dass ich an die Fensterscheibe treten konnte, die den Blick in den Spezialraum erlaubt, in dem die Mumie bei minus 6 Grad Celsius und einer Luftfeuchtigkeit von fast 100 Prozent gelagert wird.[iii] Vor mir hatte sich eine Schulklasse vor der Scheibe gedrängt und zum Teil unsicher gekichert. Mich aber überfiel völlig unvorbereitet der Satz aus unserem Glaubensbekenntnis: „Hinabgestiegen in das Reich des Todes“. Christus ist auch für diesen Toten in das Totenreich hinabgestiegen und hat ihn gerettet. Wenn ich und jede und jeder von uns, die diese Predigt lesen, einmal gestorben sein werden, wird Christus auf uns treffen und wird jede und jeden von uns aus dem Tod in das ewige Leben herausholen – er wird uns heraufführen!

Amen.

„Und der Friede Gottes,

der höher ist als unsere Vernunft,

bewahre Eure Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn!“

Liedvorschläge:

„Wir danken dir, Herr Jesu Christ…“ EG 107 – Strophen 1-3

„Er ist auferstanden, Halleluja!“ EG 116 – Strophen 1-5

„Ich lobe meinen Gott, der aus der Tiefe…“ EG 615 od. 638 – Strophen 1-3


Dr. Rainer Stahl, Erlangen

[i]  Für diese Übersetzung vgl.: Rainer Stahl: Der einzige Gott hat die Macht zur Umwälzung. Erwägungen im Anschluß an den Lobgesang der Hanna, in: Gott glauben – gestern, heute und morgen, FS zum 70. Geburtstag von Landesbischof i.R. Dr. Dr. h.c. Werner Leich, Weimar 1997, S. 107-115, Übersetzung: S. 107. Die Aufteilung der Verse erfolgte nach den masoretischen Hinweisen.

[ii]  Vgl. die Information des Außenministeriums: https://www.auswaertiges-amt.de/de/service/fragenkatalog-node/06-leihmutterschaft/606160 (Zugriff am 10.3.2024): Die Tätigkeit von Ärzten zugunsten einer Leihmutterschaft sind in Deutschland strafbar. Eine Leihmutterschaftsvermittlung steht in Deutschland nach dem Adoptionsgesetz unter Strafe.

[iii]  Vgl. Angelika Fleckinger und Hubert Steiner: Der Mann aus dem Eis, Südtiroler Archäologiemuseum, 1999, 3. Auflage.

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