Johannes 5, (1-9) 19-23

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Johannes 5, (1-9) 19-23

Die Nacht vor dem Sonntag aller Sonntage | Joh 5, (1-9) 19-23 | Osternacht | 31. März 2024  | Jochen Riepe |

                                                                               I

Denn wie der Vater die Toten erweckt und macht sie lebendig, so macht auch der Sohn lebendig, welche er will‘.

Was für ein Satz für diese nächtliche Stunde! ‚Soll der Christus etwa aus Galiläa kommen‘ (7,41 )? Er, der Mann aus Nazareth, sollte das tun, was doch Gott allein kann? Er könnte Anfänge ermöglichen, wo wir nur Sackgassen sehen, er könnte hinweg nehmen, was uns belastet. Er könnte mit dem liebenden Schöpfer liebend zusammen arbeiten, den ‚Maschinengang‘  unserer Welt überholen und ihr neuen Glanz geben… ‚Steh auf, nimm dein Bett und geh hin.‘

                                                                               II

Osternacht. Gang in den Morgen. Es heißt, daß kurz vor Sonnenaufgang, wenn die Dämmerung  den ersten Strahlen weicht und die Sonne im rosigen Schein sich majestätisch erhebt, die Kreatur verstumme und ihr Pfeifen und Zwitschern stockte … Als hielte sie den Atem an – aus Furcht, der Schöpfer hätte es sich anders überlegt und die Dunkelheit bliebe stärker. Stille. Staunend, erschreckt, dankbar, ergriffen ergreifen wir die Hand des anderen und empfangen das Licht des östlichen Himmels. Am Ende einer Nachtwanderung, nach schlaflosen, weinenden Stunden, aus langem, ruhelosem Warten erwacht das Staunen: ‚Jeden Morgen die Sonne neu‘ – Gott hat ‚alles wohl geordnet‘ (Ps 104,27), daß du aufstehen, handeln und diesen Tag erleben darfst.

‚Es werde Licht‘, sprach Gott im Anfang. Es werde Licht, so ruft er an jedem Morgen. Und wir verlassen uns darauf, daß die ‚Feuerflammen‘ des Gestirns ihm ‚dienen‘ (Ps 104, 4). Die Sonne wird ihre ‚vorgeschriebne Reise‘ vollenden.

                                                                               III

Wenn wir Christen in dieser Nacht der Auferstehung Jesu und dem Sonntag aller Sonntage entgegengehen, so stellen wir sein Leben, sein Sterben, sein Handeln in das Licht des ersten Tages. Schöpfungslicht. Mit Johannes, dem Evangelisten, dürfen wir es hören: Er, der Jesus aus Nazareth, der zum energielosen Kranken eben noch sprach: ‚Steh auf, nimm dein Bett und wandle‘(5,7), gerade ihm, dem Gekreuzigten und Gestorbenen, ruft der Vater in dieser Nacht zu: ‚Ich lebe und du sollst auch leben‘(14,18). Und der Sohn antwortet voller Kooperationsfreude: ‚Ja, Vater. Ich will leben‘. ‚Ich habe Macht, mein Leben zu lassen, und habe Macht, es wieder zu empfangen‘ (10, 18).

In vielen Liedern, Bildern und Sätzen haben die Christen versucht, dieses gleichsam innergöttliche Wunder, diese Überbietung der Schöpfungsordnung, dieses Außerordentliche zu umschreiben. Im Morgengrauen aus ‚Zittern und Entsetzen‘( Mk 16,8)) kommend, erschreckt angesichts des leeren Grabes, suchten sie Worte für das  Geheimnis, für das, was zwischen Gott und Jesus in der Nacht des Todes, in jenem atemberaubenden Augenblick,  geschah: ‚Ich liebe und will, daß du bist‘. Der Vater wiederholt seine Schöpfungsfreude, er gibt großzügig und  ‚steigert‘ seine Lebendigkeit im Sohn, und der Sohn bekräftigt es seinerseits und  wird uns, seine Schwestern und Brüder, lebendig machen. Ja, um es mit einem ermunternden populären Liedtitel  zu sagen: ‚Freunde, das Leben ist lebenswert‘… wer hier  mitsingt, wird es lebenswert machen.

                                                                              IV

Hören sollen wir allerdings auch: Wer Leben bejahen und es weitergeben, wer andere gleichsam auf die Füße stellen und in ihren Lebenslauf entlassen will, muß dies auch lernen. Er darf kein Stümper oder Täuscher sein.  Er muß gesehen, gehört und dabei sich zurückgenommen und geschwiegen haben. Wir begrenzten, kleinen, nach Beachtung und Aufmerksamkeit schnappenden Menschen, wir sollten es dem Schöpfer gleichtun? Der Evangelist bemüht ein Bild: ‚Der Sohn kann nichts von sich aus tun, sondern nur, was er den Vater tun sieht. Denn der Vater hat den Sohn lieb und zeigt ihm alles, was er tut‘.

Vielen von uns mag solch ein väterlicher Lehrer, der Vorbild und Ermutigung war, schmerzlich gefehlt haben. Jesus stammt bekanntlich aus einem Handwerkerhaushalt. Robuste und sensible Leute in einem, Hausbauer, Zimmerer, Bauleute. Die Hand sei ein Fenster zum Geist, sagt man. Der Sohn sah dem Vater bei der Arbeit zu und der Vater machte es ihm geduldig  und liebevoll vor, vielleicht gar als ein pfeifender, ‚flammender Handwerker‘ (J. Ruskin), der einen gewissen ‚swing‘ in seinem Tun hat:  Welche Werkzeuge wann zum Einsatz kommen, wie die schweren, widerständigen Materialien  zu bearbeiten sind, welche Griffe und Kniffe es gibt. Wir wissen,  daß dieser Lernprozeß nur gelingt, wenn der Lehrling dem Meister ‚gehorsam‘ und ebenso geduldig und lernwillig ist. Er läßt sich etwas zeigen und ahmt es nach. ‚Selber machen‘, fordert das Kind… ‚Ja‘, sagt der Meister, ‚aber zuerst schau genau hin, du darfst Lehrling sein, Azubine oder Azubi, und dann eines Tages dein Gesellen- und Meisterstück fertigen …‘

                                                                                V

‚Lebendig machen‘, das klingt in dieser Nacht etwas karg und allgemein. Darum stelle mit dem matten Mann vom Teich Bethesda auch dein Leben unter den kühnen Ruf des kommenden Morgens. ‚Willst du denn gesund werden?‘ fragt Jesus provokativ. Du empfängst seinen beflügelnden ‚Hauch‘ (Joh 20,22) und bist in der Lage, deine kleine Welt zu beseelen und ihr Glanz zu verleihen. Ja, die Wirklichkeit umzingelt, begrenzt, zwingt uns in ihre Gesetze-  auch ‚die Sonne tönt nach alter Weise…‘ und mancher klagt: ‚Nichts Neues unter der Sonne‘.

Aber, wenn Gott, der Schöpfer sich wiederholt, liegt darin immer ein ‚Mehr‘, ein Plus. ‚Morgen sieht die Welt schon anders aus‘, tröstet die Mutter das sorgenvolle Kind.  Der neue Tag eröffnet Möglichkeiten, die ich noch nicht gesehen habe. Bist du schon aufgestanden? Man kann den ‚Widerstand der Realität‘ durch Illusionen, Ideologien und Rechthabereien leugnen, man kann ihn aber auch annehmen und das Unmögliche erproben. Österlich-swingend, dem Handwerker folgend, meine ‚Lebens-Materialien‘ gestalten. Die Hand ist ein Fenster zum Geist.

Wir erinnern uns: Der Kranke weicht aus und winkt ab. Ja, ‚… die anderen‘.  Die anderen sind schneller, ‚ich bin immer zu spät…‘, aber es kommt der Augenblick, da wir dieser Ausrede entsagen und einen eigenen Willen und eigene Fähigkeiten zeigen dürfen. Streitbar. Derzeit fürchten sich viele, ihre Meinung ‚frei und offen‘(7, 26) zu sagen. Wer in der Tradition der Ostermärsche für Friedensverhandlungen eintritt,  wer wie der Papst vom Mut zum Hissen der ‚weißen Fahne‘, wer vom ‚Ausloten von Kompromißlinien‘  im Ukrainekrieg spricht, wird schnell in die naive oder gar böse Ecke gestellt. Das sog. ‚Moralin- Virus‘ (M. Andrick) wirkt. Das plakative Wort des Propheten  ‚Wehe denen, die aus Licht Finsternis machen und aus Finsternis Licht‘  (Jes 5,20) ist leicht eingesetzt, um andere einzuschüchtern oder gar zu denunzieren. Aber es erspart mir nicht, Gründe und Argumente auszutauschen, Grauzonen zu durchschreiten und mich selbst zu prüfen, ob ich dem anderen wirklich zuhören will.

                                                                               VI

In jeder Lebensgabe, da, wo wir neue Möglichkeiten, Chancen, Veränderungen spüren, liegt eine Provokation und schon bald stehen die Provozierten oder sich provoziert Fühlenden auf ihre Weise auf. Wo die großherzige Liebe des Vaters in der schenkenden Menschenliebe des Sohns sich wiederholt, kommt es zu Mißverständnissen, Verkennung und schließlich tödlicher Feindschaft. ‚Das ist doch anmaßend‘, sagen die Gegner Jesu. ‚Das ist Gotteslästerung‘.

Im Evangelium wird ihm vorgeworfen, er spalte das Volk und säe Zwietracht. Die einen halten ihn für einen Genossen der Dämonen, andere setzen dagegen: ‚… kann denn ein Dämon die Augen der Blinden auftun‘ (10, 21b)? Jesu Legitimation wird infrage gestellt und die, die ihm folgen, spüren es als erste. Der Geheilte vom Teich Bethesda wird verhört und muß soz. die Tiefe seiner Heilung, seinen Sonnenaufgang, sein ‚Aufstehen‘, bewähren. Der Schatten des Kreuzes ist immer dabei.

Der Zweifel kann quälen:  Sollte gerade ich dem Mann aus Galiläa folgen, mit ihm kooperieren und mein Sein im Schöpfungslicht ‚auf-klären‘ lassen? Wir möchten doch ‚dazu gehören‘.  Diplomatie ist immer gut, aber eine gespaltene Zunge, ‚double speak‘, vergiftet unser Leben. Gottes Sonne geht ‚über Gut und Böse‘ (Mt 5,45) auf. Leiste dir deinen ‚swing‘ und halte so die Welt zusammen. Es gibt mehr als zwei Meinungen. Einen federnden, soll ich sagen: pfeifenden Gang  zu üben und ‚alles zu prüfen‘ (1. Thess. 5,21), rät der Apostel. Nimm auch das wahr, was dir nicht paßt. Laß dir Zeit, aber schenke  ‚keine Sekunde den Energieräubern‘ (M. Meyen), denen es gefällt, wenn wir uns mit ihnen beschäftigen und unser Eigenes verlieren.

                                                                               VII

Osternacht. Kurz vor Sonnenaufgang, sagt man, hielte die Kreatur den Atem an. Wird es einen neuen Tag geben? Wird es den neuen Morgen, den Ostermorgen, geben? Licht aus der Nacht, Leben aus dem Tod. Stille. Dank und Erschrecken in einem. ‚Herr, deine Werke sind wohlgeordnet‘, am Ostertag aber tritt aus der Ordnung der Außerordentliche in unser Leben, überbietet das Bekannte und belebt uns mit dem Geist seines unendlich vielfältigen Lebens: ‚Der Herr ist auferstanden. Er ist wahrhaftig auferstanden‘.

 ‚Es werde Licht‘, daß wir im ‚Morgenglanz der Ewigkeit‘ unser Leben österlich fröhlich und österlich kühn führen können… und die anderen auch.

(Gebet nach der Predigt:)

Wenn ich des Nachts oft lieg in Not / verschlossen gleich als wär ich tot / läßt du mir früh die Gnadensonn / aufgeh‘n: nach Trauern Freud und Wonn‘. / Halleluja.  (eg 111.2)

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Liedvorschläge: eg 114 Wach auf, mein Herz, die Nacht ist hin /eg 450 Morgenglanz der Ewigkeit https://www.youtube.com/watch?app=desktop&v=gsDpC8wU1Eo  /  eg 111 Frühmorgens da die Sonn aufgeht   / Dich rühmt der Morgen ( J. Zink, Mel.: eg 398)

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Lit.: J.W. v. Goethe, Faust I, Gesang der Erzengel / J. van der Watt, Der Meisterschüler Gottes, in: R. Zimmermann et al. (Hgg.), Kompendium der Gleichnisse Jesu, 2007, S. 745ff / R. Sennett, Handwerk, 2008  / M. Andrick, Im Moralgefängnis, 2024 / https://www.vaticannews.va/de/vatikan/news/2024-03/papst-franziskus-ukraine-verhandlungen-pressesprecher-erklaerung.html/   https://www.johannes-varwick.de/rauf/vonKrause_Varwick_Krieg_18032024.pdf

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