Matthäus 28,1-9

Matthäus 28,1-9

Auferstehung ist Protest und Unvorhersehbarkeit | Ostersonntag | 31.03.2024 | Matthäus 28,1-9 (dänische Perikopenordnung) | Peter Skov Jakobsen |

Derzeit scheint es so zu sein, dass es Kulturen gibt, von denen wir nicht meinen, etwas lernen zu können. In dieser Situation sollten wir besonders aufmerksam und hellhörig sein. Es gibt eine fruchtbare Diskussion zwischen der großen orthodoxen Tradition im östlichen Teil von Europa und der westlichen Tradition. Besonders die russisch-orthodoxe Tradition hat immer behauptet, dass bei uns eine merkwürdige Verflüchtigung stattgefunden hat. Sie behaupten, dass wir gleichsam nie Christus wirklich angenommen haben, wir sind nie richtig von ihm überzeugt.

Sie sagen, dass wir so klug, so redlich sind, so überzeugend – und an hohem Ansehen leiden. Besonders untereinander. Wir könnten das Dasein beherrschen. Wir können es beherrschen mit unserer Wissenschaft, und wir glauben, dass wir die Welt nach unserem Bilde formen und nach unser en Bedürfnissen einrichten können.

Segen ist dann nur Behändigkeit, Verfügbarkeit.

Von sich selbst sagen sie, dass sie arm sind, dumm, versoffen, schmutzig, schlimmer als Barbaren. Aber sie haben Christus, den Heiligen, und er wird sie befreien.

Das ist zugespitzt formuliert. Aber lasst uns versuchen, etwas davon aufzunehmen. Es ist wohl etwas daran wahr, dass der Mensch, der mit seinem Wissen und seiner Wissenschaft so viel kann, sich dabei selbst vergisst. Unser Respekt vor der Erde, unseren Ressourcen, ist nicht sehr groß. Wir sind auch immer der Meinung, dass der andere Mensch selbstverständlich nach unserem eigenen Bild verändert werden kann. Wir haben unendliches Vertrauen zu unserer eigenen Schnelligkeit, Konsequenz und Effektivität. Wir vertrauen darauf, dass wir das Dasein beherrschen können.

Es ist diese Überzeugung, Macht zu haben, zu beherrschen, die der östlichen Tradition missfällt. Es ist, als würden wir nicht eingehen auf das Mysterium des Daseins, denn wir sind so überzeugt von unserer Selbstgerechtigkeit und entdecken deshalb auch nicht die eigene Macht des Lebens.

Wir entdecken nicht, dass das Leben uns auf den Leib rückt!

Gar nicht so dumm mit einer Zivilisationskritik, die uns aufmerken lässt, aber ich möchte nun die Behauptung wagen, dass wir sehr wohl wissen, dass das Wunder des Lebens sich uns offenbart, sich unser annimmt und uns aufnimmt, uns das Gefühl gibt, dass das Böse und Hässliche uns in aller Ewigkeit nie überwinden darf.

Wir sehen zurück auf sein Leben und entdecken, dass er uns noch immer verwandelt mit seinen Taten und seinen Worten. Die Langeweile, die Trivialität, die Kleinlichkeit und die Zimperlichkeit haben nie das letzte Wort. Er ist auch eingegangen in unsere Kultur als der, der uns den Glauben daran schenkt, dass wir von dem angenommen sind, den wir lieben (Weil). Er gibt uns das Gefühl, dass das gute Leben natürlich nicht im trivialen Stress des Alltags besteht. Stets kommt er uns entgegen mit dem Leben, das sich für uns offenbaren und uns ergreifen will.

Wenn wir uns zu Tode Sorgen machen, fragt er still: Wer unter euch kann seinem Leben eine Elle hinzusetzen, indem er sich sorgt? Wenn wir uns darum bemühen, den größten Baum im Wald zu fällen, der Ehre heißt, verweist er auf das Kind, und wir verstehen, dass es das sprudelnde Leben ist, das spielende Leben, das sich uns immer öffnet, wenn wir es wagen, die Kontrolle aufzugeben.

Christus ist auferstanden von den Toten. Wenn ihr glaubt, dass das nur reine Tricks sind, irrt ihr euch! An diesem Tag öffneten sich das Leben, die Liebe, die Wahrheit, die Hingabe und das Opfer. An diesem Tag wurde klar, dass das Reich Gottes hier ist. Die Welt ist nicht im Stich gelassen. Das Universum muss nicht warten. Wir sind davon befreit, in unseren eigenen Gefühlen und Gedanken gefangen zu sein – da ist etwas, was größer ist.

Christus begegnet uns hier auf Erden, wo uns Wut, Wahnsinn, Völkermord und Flüchtlingsströme beunruhigen. Er richtet unsere Augen zu den Leidenden und schickt uns zu ihnen. Er weckt unser Mitgefühl und entfacht eine heilige Glut, damit wir reden mögen von Gott und Glauben an Gott in einer Welt, die immer in Gefahr ist. Er ist nie fern.

Die Erde singt in Freude und Erleichterung, weil das Leben siegt und keiner Destruktion ausgeliefert ist. Das Leben wird uns geschenkt! Die Wahrheit wird uns gegeben. Alles wird uns geschenkt.

 „An der Brücke“ heißt eine kleine Novelle von Heinrich Böll. Wir folgen einem Mann, der nach dem Kriege zusammengeflickt ist und eine Arbeit bekommen hat, wo er Passanten an einer Brücke zählen soll. Er liefert täglich seine Zahlen und macht sie froh. Er ist es, der ihnen die Möglichkeit gibt, den Triumph der Zahl zu erleben. Aber seine Statistik ist nicht genau. Er nennt sich selbst einen unzuverlässigen Menschen. Er hat ihre Freude an dem guten Ergebnis entdeckt. An einem guten Tag lässt er seinen Großmut in gute Zahlen übergehen. Da ist jemand, den er nie zählt. Das ist seine Geliebte. Das Herz steht still, wenn sie kommt. Er folgt ihr und kann nicht zählen. Aber sie weiß nicht, dass sie Gegenstand seiner Bewunderung ist, und sie soll nicht wissen, dass sie daran schuld ist, dass alle Berechnungen falsch sind, wenn sie kommt. Eines Tages soll er kontrolliert werden, und er nimmt es genau und wird gelobt. Es weicht nur eine Zahl ab von der des Kontrollanten. Das war seine kleine Geliebte. Sie hatte er nicht gezählt. Er war fast innerlich verblutet, weil er ihr an diesem Tage nicht mit den Augen folgen konnte. Das war furchtbar gewesen! Sie wurde nicht mitgezählt. Sie sollte nicht multipliziert, dividiert und in eine unbedeutende Zahl verwandelt werden. Er ahnte nicht, für wie viele sie zählte. Aber er wusste, dass sie die Geliebte war, auch wenn sie es nicht ahnte!

Böll beschreibt den Protest des Lebens gegen die Voraussehbarkeit. Auferstehung ist Protest und Unvorhersehbarkeit. Das Ganze begann mit einem Ärgernis – die Spießer sagten, dass das nicht möglich ist! Nun leben wir weiter mit Verblüffung und Verwunderung. Die eigene Überraschung des Lebens ist das Vorzeichen unseres Lebens und Todes geworden, deshalb singen und vergessen wir für einen Augenblick alles über die Macht des Beweises und die Schattenwahrheit der Statistiken. Wir ergeben uns der Schönheit der Auferstehung und hoffen, dass der Protest uns und die Welt verwandelt.

Wir sind nicht der Selbstbespiegelung des Moralismus, dem guten Ton und dem Mangel an Leidenschaft überlassen. Wir gehören Christus, und das heißt Verblüffung, Ärgernis und Verwunderung. Ostern ist Protest, Auferstehung!

Frohe Ostern! Amen.

Bischof Peter Skov-Jakobsen

Nørregade 11, DK-1165 København K

Email: pesj(at)km.dk

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