Gott kann nicht Abstand halten

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Erster Weihnachtstag | Christfest I | Lukas 2,1-14 (dänische Perikopenordnung) | von Thomas Reinholdt Rasmussen |

Man muss sagen, das Jahr 2020 verlief anders, als die meisten von uns sich das wohl gedacht haben. Fast alle Reisen und soziale Veranstaltungen, hierunter Weihnachtsfeiern, sind abgesagt.

Das Korona-Virus hat uns im Griff, es hat unser gemeinsames Leben geprägt und prägt es noch immer. Wir müssen uns desinfizieren, Hände waschen, uns abschirmen und Abstand halten.

Und Weihnachten in der Kirche ist auch anders als wir das gewohnt sind. Auch hier gibt es Einschränkungen, das Gedränge in der Herberge ist überschaubar.

Trotzdem wird es Weihnachten. Dennoch findet Weihnachten seinem Platz. Trotzdem findet Weihnachten statt.

Denn das Weihnachtsevangelium ist die Erzählung davon, dass Gott nicht Abstand halten kann. Es ist die Geschichte von einem Gott, der Liebe ist, und diese Liebe kann keinen Abstand halten, sondern sie kommt auf Erden zur Welt und liegt mitten unter uns in der Krippe – auf Heu und Stroh.

Denn Gott kann nicht Abstand halten.

Er drängt sich auf mitten unter uns allen, und weil er nicht Abstand halten kann, endet er am Kreuz. Denn das alles war zu viel mit der aufdringlichen Liebe. Das wurde zu anmaßend und zu dicht. Er musste weg.

Denn Gott kann nicht Abstand halten.

Das könnten wir ihm natürlich beibringen. Lernen, Abstand zu halten. Im Laufe der Geschichte haben unzählige Religionen versucht, Gott auf Abstand zu halten.

Dann wird er auf einer Wolke angesiedelt oder in einem fernen Himmel. Oder draußen in der Natur oder nur so überall, was ja in Wirklichkeit heißt nirgends.

Dann muss er es verstehen. Verstehen, Abstand zu halten.

Aber im Christentum ist das nicht so einfach. Hier drängt sich Gott auf. Hier kommt er uns nahe. Hier ist Gott nahe bei uns. Das ist der Kern des Christentums. Wir können ihn nicht auf Abstand halten, denn er ist die Liebe selbst, und ihr Wesen ist es, nahe zu sein, nahe zu treten.

Gott kann also nicht Abstand halten.

Er ist so dicht bei uns, dass er in eine Krippe gelegt wird, und in der Krippe ist nur er. Er liegt da – in Windeln gewickelt – als eine Aussage, dass die Welt von Liebe umwunden ist. Darauf weist das Kind in der Krippe hin. Und das Kind kann nicht Abstand halten. Die Liebe kann nicht fern und kalt leben, sie muss vielmehr nah und warm sein.

Aber ist das wahr? Ist es wirklich so, dass die Liebe das innerste Geheimnis der Welt ist? Kann es so sein, dass das der ganze Sinn des Lebens ist? Davon redet das Kind in der Krippe. Aber ist das wahr? Können wir das in unserer Erfahrung erfassen?

Unsere Erfahrung spricht leider oft vom Gegenteil. Von Verlust, Trauer und Streit. Das sind unsere Erfahrungen. Und vor allem in diesem Jahr haben wir sicher das Unvermögen erfahren, dass wir fast nicht davon reden können, dass die Liebe das Größte von allem ist. Wir haben Erfahrungen, die vom Gegenteil sprechen.

Aber so ist es. Das ist eine Glaubensfrage, dass das Kind in der Krippe zum Ausdruck bringt, dass die Liebe das Größte von allem ist. Das muss man glauben. Ansonsten muss man sich an seine Erfahrung halten, dass alles vergänglich ist. Das hat auch Konsequenzen für das Leben, das wir gemeinsam leben.

Denn die Botschaft ist die, dass Gott sich aufdrängt. Er drängt sich auf, er dringt ein, wo wir ihn vielleicht nicht sehen und fassen können. Die Worte werden deshalb groß im raschen Leben des Alltags, aber Gott drängt sich auf und kann nicht Abstand halten. Nicht unsere Worte und unser Leben sind es, die das erfassen können, aber eben eine Krippe in einem Stall zur Weihnacht, in die Gott gelegt wird, weil nichts anderes das tragen kann. Die Worte werden zu klein, und nur die schlichte Krippe ist merkwürdigerweise wohl groß genug.

Denn er drängt sich auf. Er drängt sich auf, wie nur die Liebe das kann. Nicht mit Gewalt und Macht, sondern mit einem Kind in der Krippe – empfindlich und verletzbar. Der Macht der Welt ausgeliefert. Denn Gott kann nicht Abstand halten.

Er kommt zu dir und zu mir, nicht als ein gewaltiger Herr gekleidet in Größe und Macht. Sondern als ein kleines Kind, dessen wir uns annehmen müssen, und das in uns an etwas appelliert. Et was in uns anspricht, etwas in uns hervorruft: Liebe, Fürsorge, Nähe.

Wir sind auf Abstand zu einander in dieser Zeit. Wir sind auf Abstand aus Fürsorge für einander. Dennoch müssen wir aber glauben, dass wir eben in diesem Abstand einander nahe sind in dem, was wir tun.

So auch mit Gott, der nicht Abstand halten kann. Er kommt uns nahe und ruft uns hinaus in ein Leben, das getragen ist von Liebe, Fürsorge und Nähe zu einander, denn das ist es ja, was er selbst in der Krippe zur Weihnacht hervorruft. Das ist es ja, was bleibt.

Gott kann also nicht Abstand halten. Mitten in Drangsal und Unruhe, mitten in den Befehlen des Kaisers und der überfüllten Herbergen kann Gott nicht Abstand halten. Er kommt vielmehr in die Welt, um das hervorzurufen, was der innerste Kern des Lebens ist: Liebe, Fürsorge und Nähe. Das brauchen wir in diesem Jahr, und das brauchen wir in der kommenden Zeit. Wenn alles zu sauer und traurig wird, dann denke an das Kind in der Krippe und lasst es die Liebe, die Nähe und die Fürsorge in dir hervorrufen.

Denn Gott kann nicht Abstand halten. Und das nicht nur, um dicht dran zu sein. Denn dass er keinen Abstand hielt, bewirkte gerade, dass wir einander näherkamen – auch trotz Desinfektion, Mundschutz, Abschirmung und Abstand. Denn durch die Liebe Gottes sind wir einander nahe – trotz allem. Amen.

Propst Thomas Reinholdt Rasmussen

DK 9800 Hjørring

Email: trr(at)km.dk

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