Hiob 3,11-22

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Hiob 3,11-22

Nur das, was wir loslassen, bekommen wir wieder | 16. Sonntag nach Trinitatis | Hiob 3,11-22 (dänische Perikopenordnung) | Von Preben Kræn Christensen |

Zu Beginn des Gottesdienstes hörten wir einen Text aus dem Buch Hiob. Wie unglaublich das auch erscheinen mag, dieses Stück ist eine der positivsten Passagen in diesem Buch, das ansonsten ganz voll ist von Elend und Schmerz. Hiob fragt seinen Gott: „Warum bin ich geboren. Warum bin ich nicht gestorben im Mutterleib? Warum muss ich mich mit diesem Leben herumschlagen mit all seinem Not und Elend?“ Jeder kann seine Frage verstehen, der erfahren hat, was Leid und Schmerz, Entbehrung und Tod ist. Und deshalb sollen diese Fragen gestellt werden. Das ist in der Bibel und in der Kirche an seinem Platz, denn keine menschliche Verzweiflung ist Gott fremd. Sie sollte es nicht sein! Gott ist es eben, der mit den Fragen konfrontiert werden soll, sonst würde sie ja der Teufel beantworten.

Das weiß Hiob. Er weiß, dass das Gute und das Böse existieren. Er weiß, dass er sich auf der Linie zwischen Gott und Teufel befindet. Aber er hält fest an seinem Glauben an Gott, gerade weil das Leben weh tut. Er kann nicht anders. An wen soll er sich sonst wenden, wenn alle andere menschliche Weisheit und Klugheit ihm englitten ist und das Urteil gefällt ist?

Hiob steht also fest und bricht in den Ruf aus: Der Herr hat es gegeben, der Her hat es genommen, der Name des Herrn sei gelobt …. Ich weiß, dass mein Erlöser lebt“. Hiob hat, wie wir es tun bei der Taufe, dem Teufel und allen seinen Werken entsagt.

Er weiß, wenn der Böse mit im Spiel ist. Er hat seine Kinder bei einem furchtbaren Unglück verloren, er hat seinen Besitz verloren, seine Ehre und seine gute Gesundheit. Selbst die Frau hat ihn verlassen. Und er kann sich nicht damit versöhnen, dass es so sein soll, er meint, dass er das nicht verdient hat. Und damit spricht er für uns alle, wenn wir erleben, dass das, was wir erleben, keinen Sinn hat, wenn wir meinen, dass das Leben zu hart und ungerecht ist. Warum soll es all den anderen besser gehen als mir? Was habe ich getan? Was ist der Sinn? Und gibt es überhaupt einen Sinn? Wenn überhaupt, dann sind nur wenige durch das Leben gegangen, ohne so zu denken. Wir denken jedenfalls immer so, wenn wir etwas verlieren oder entbehren. Selten wundern wir uns über das Gute, das uns wiederfährt. Selten fragen wir danach, ob unsere Erfahrungen von Glück, Liebe, Kindern und Enkelkindern Ausdruck von Gerechtigkeit sind.

Hiob hält daran fest zu klagen, zu fragen und zu protestieren. Und damit befindet er sich da, wo jeder Mensch sein würde, der in der Lage Hiobs ist, auf dem Grunde der Verzweiflung. Er hat sein Schicksal, sein Leben erkannt, und von da her kann er weiterkommen. Er muss dahin, damit und dort hinauskommen, wo er sein Leben und seine Gerechtigkeit loslässt und das alles ganz Gott überlässt. Dann geschieht es, dass er alles zurückbekommt, Kinder, Reichtum. Frau und Status. Zehn Mal so viel wie zuvor!

Das Buch Hob ist ein Märchen. Und sein glückliches Ende ist die Art und Weise, in der das Märchen die Wahrheit zum Ausdruck bringt, dass das Verlorene wiedergewonnen gerade dann wird, wenn wir es loslassen. Mensch sein bedeutet, dass wir uns an einander binden. Wir beziehen Menschen ein in unser Leben. Sie werden ein Teil von uns – von unserer Geschichte und unserem Dasein. Sie zu verlieren bedeutet, dass man etwas von sich selbst verliert – das ist eine Katastrophe, ein Verlust, und die Welt wird niemals mehr das, was sie war – man verliert sich selbst, wenn man sie verliert, wenn sie uns verlassen oder wenn sie zum Ausdruck bringen, dass wir für sie das Leben nicht wert sind. Hier hat man geglaubt, dass man alles bedeutete, und dann zeigte sich, dass man das dennoch nicht bedeutete!

Wenn wir ganz am Boden zerstört sind und darüber geweint haben, dass uns der Tote fehlt als Lebender am Mittagstisch, im Bett, am Telefon, und wenn der Duft, der uns vertraut war, allmählich verschwunden ist, geschieht in der Regel eine Versöhnung. Nicht weil man sich daran gewöhnt, dass der bzw. die Geliebte nicht mehr da ist, sondern weil die Vergebung über einen kommt. Eine Vergebung von dem oder der Toten, dass er oder sie von uns gegangen ist, eine Vergebung von uns selbst, weil wir leben und weiterleben können. Eine Vergebung von aller Schuld für das, was gesagt und getan worden ist und was nicht gesagt und getan wurde. Das klingt vielleicht merkwürdig, es ist aber dennoch nichtsdestoweniger eine bekannte Erfahrung, dass da eine Form von befreiter Zusammengehörigkeit mit dem Toten entsteht, ein Gefühl, das uns dem Leben zurückgibt. Dasselbe kann geschehen, wenn wir den Lebenden loslassen, der uns verlassen will. Vergeben ist sowohl ein loslassen von dem, der fortgeht, als auch dem, der zurückbleibt.

Hiob klagt zu Gott, und er wird erhört. Und Hiob findet seine Ruhe. Es hilft nämlich, seine Klage, seinen Zorn und seine Not an den Allmächtigen zu richten, der alles geschaffen hat. Indem die Klage sich an Gott richtet, erhält sie eine Adresse – und trifft den Richtigen, und deshalb kehrt die Klage nicht zurück als schlechtes Gewissen, wenn man z.B. seine Klage an seine Nachbarn oder seine Helfer richtet.

So wie Hiob seinem Gott begegnet, begegnet der Trauerzug in Nain Jesus am Stadttor. Der Todeszug ist auf dem Wege aus der Stadt, und der Lebenszug sind auf dem Wege in die Stadt, und sie begegnen sich am Stadttor. Die Trauer und die Freude stoßen aufeinander. Menschen und Gott stoßen zusammen. Eine Mutter hat ihren Sohn verloren – sie ist Witwe, und er war ihr einziges Kind. Man kann sich durchaus vorstellen, was für eine Kälte sie spüren musste, man kann sich durchaus vorstellen, wie erschüttert sie gewesen sein muss. Krisenhilfe und Pillen halfen nicht, und die gab es damals ja auch nicht.

Sie hatte ihr Vertrauen auf ihn gesetzt, sie braucht ihn, für sie soll er leben. Sie fühlt sich völlig verlassen – und sie ist neben seiner Bahre in ihrer Verzweiflung so weit gekommen, dass es nicht schlimmer werden kann. Sie ist so weit gekommen wie Hiob, wo sie entweder loslassen oder zugrunde gehen muss.  Wir können alle Fragen Hiobs in ihr Herz legen, denn wir wissen von uns selbst, dass sie existieren. Warum? Warum? Warum?

Dann geschieht es, dass der Himmel auf die Erde kommt. Gott sitzt nicht mehr in seinem Himmel und sieht zu. Er steht auf der Erde in all seiner Menschlichkeit und beantwortet die Tränen der Frau mit einem stillen. „Weine nicht!“ Und dann bekommt sie ihren Sohn wieder. Damit ist nicht gesagt, dass der Tod in Nain abgeschafft ist, sondern dass er aufgeschoben ist. Und damit wird ein dicker Strich unter dem Leben gezogen  – und an ihn, der Leben schenkt, sollen wir glauben.

„Er gab ihn seiner Mutter“, heißt es nun, und damit kommt zum Ausdruck, wozu unser Leben da ist. Das Leben wird nicht, wie wir uns das hin und wieder einbilden können, als unser eigenes persönliches Eigentum gegeben, sondern als Leben für einander. Wir sind geschaffen zur Liebe, auch wenn sie uns das Leben nimmt, wenn wir geben und verlieren.

Wir müssen die Realität des Todes und die Kälte der Gefühle einsehen, um an den warmen Sieg des Lebens über den Tod glauben zu können. Wir müssen die Frage kennen und stellen, um die Antwort zu erhalten. Die Antwort, die nie eine direkte Antwort auf unsere konkreten Fragen ist, die sie aber dennoch berührt.

So wie der Himmel sich über die Begegnung zwischen Gott und Hiob erhob, wie sich das Tor über den Leichenzug und Jesus wölbte, so ist auch die Kirche ein Ort der Begegnung zwischen dem Leben und dem Tod, der Verzweiflung und der Freude. Wir kommen hier jeder mit seinem konkreten Leben, unseren Entbehrungen und Problemen., und wir bekommen eine Antwort, die unsere Fragen berührt. Denn die Fragen werden von dem Gott gehört, der selbst auf dem Grunde der Verzweiflung wandelte, der selbst die Erfahrung gemacht hat, alle die Fragen der Verzweiflung zu stellen, von dem Gott, der selbst aus Liebe starb, der uns sich selbst gegeben hat, der uns einander gegeben hat. Der Glaube an diesen Gott ist die Antwort auf alle unsere und Hiobs Fragen. Dieser Glaube ist das Tor zu dem Leben, das der Tod nicht zerstören kann, in welcher Form wir auch immer dem Tod begegnen. Der Herr ist dennoch den Seinen treu, auch wenn wir verzweifeln. Amen.

Propst Preben Kræn Christensen

DK-6710 Esbjerg V

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