In die Kirche gehen und …

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In die Kirche gehen und …

In die Kirche gehen und wieder nach Hause | 3. Sonntag nach Epiphanias | 2. Mose 34,27-35; Matthäus 17,1-9 (dänische Perikopenordnung) | von Peter Fischer-Møller |

Irgendetwas ist merkwürdig mit dem Kirchgang der Dänen. Das ist eine alte Geschichte.

Man kann das lesen in alten Erinnerungen von Pastoren aus dem 18. Jahrhundert, wo draußen auf dem Lande darüber geklagt wird, dass es schwer ist, die Leute dazu zu bringen, in die Kirche zu gehen. Und viele können von Pastoren erzählen, die am Heiligen Abend, wo die Kirche voll ist, sich darüber beschweren, dass die Leute nicht an einem gewöhnlichen Sonntag in die Kirche kommen. An diese Taktik glaube ich nicht. Aber warum eigentlich diese Sorge um den Kirchgang? Kann es nicht genauso gut sein, in einer Kneipe zu sitzen und an die Kirche zu denken als in der Kirche zu sitzen und an die Kneipe zu denken. Ja das ist in gewisser Weise richtig.

Das Christentum steht und fällt nicht mit dem Kirchgang. Das Fundament für das alles, das immer deutlich wird, wenn wir die Taufe feiern, ist dies: Unser Wert als Menschen ist nicht etwas, was wir uns verdienen müssen. Jeder Mensch ist von Anfang an einzigartig und unendlich wertvoll in den Augen Gottes – diese Botschaft steht unverrückbar fest. Hier macht es keinen Unterschied, ob man jeden Sonntag in die Kirche geht oder ob man sich da zurückhält und sich damit begnügt, an Weihnachten zu kommen und bei Taufe, Konfirmation, Hochzeit und Beerdigung. Gottes Verhältnis zu uns kann man nicht daran messen, wie oft wir in die Kirche gehen. Trotzdem meine ich, dass der Kirchgang etwas bedeutet. Nicht für das Verhältnis von Gott zu uns, sondern für unser Verhältnis zu Gott und damit zu uns selbst, unsere Mitmenschen und unsere Umwelt.

Wir sollen nicht in die Kirche gehen, um Gott einen Gefallen zu tun, sondern um unserer und unserer Nachbarn willen.

Man könnte das mit der Teilnahme am Gottesdienst damit vergleichen, dass man an einem Frühlingstag in einer lauschigen Ecke sitzt und die Sonne genießt. Das tun wir nicht, um der Sonne einen Gefallen zu tun, sondern für uns selbst, um Licht und Wärme zu genießen und uns zu freuen, und ganz von selbst nehmen wir etwas von diesem Licht und dieser Wärme mit in den Alltag, den wir miteinander teilen.

Der Gottesdienst ist – oder sollte gerne sein – ein solcher Ort der Erholung, ein Ort, wo wir jeder für sich eine Stunde lang in Frieden sitzen dürfen – ohne Telefon, Spülmaschine, und unser Leben in einer anderen Perspektive sehen als der des Alltags. Der Gottesdienst ist ein Ort der Lebenserhellung, wo wir auf das aufmerksam werden, was das eigentlich ist, woran wir gemeinsam glauben, und was es für unser gemeinsames Leben bedeutet.

Im Gottesdienst sollte gerne etwas von dem geschehen, was wir im heutigen Evangelium hören. Petrus, Jakobus und Johannes erfahren ein neues Licht oben auf dem Berg Tabor. Als das Antlitz Jesu weiß wie das Licht leuchtete, sahen sie, dass Jesus nicht nur ein Mensch war, sondern auch Gott. Als er mit den alten Propheten Moses und Elia sprach, entdeckten sie, dass Jesus nicht nur ein Kind seiner Zeit war, sondern auch etwas aus der Ewigkeit in sich trug. Und als sie die Stimme Gottes aus der Wolke hörten, wurden sie darin bestätigt, dass dies nicht nur ihre eigenen Traumvisionen waren, sondern dass das, was sie sahen, wahr war.

In derselben Weise will der Gottesdienst unsere Augen und Ohren und Herzen öffnen für Perspektiven, die wir in unserem gewöhnlichen geschäftigen Alltag selten bemerken oder für die wir uns oft keine Zeit nehmen. Die Orgel und der Gesang ist ein Wiederhall des himmlischen Lobgesangs, ein Dank an Gott für ein Leben, das wir nicht selbst erfunden haben und uns nicht selbst verdanken.  Der Altar in der Kirche ist nur die eine Seite eines großen Tisches, der bin in den Himmel reicht, wo Platz ist für alle Menschen Gottes, Lebende und Tote. Und der Heilige Geist, den wir nicht sehen können, bläst neues Leben in uns, inspiriert uns, überrascht und provoziert uns, so dass wir unsere vorgefassten Meinungen überwinden und mehr lebendige und offene Menschen werden.

Im Gottesdienst werden wir daran erinnert, dass die Geschichte mit Gott und uns eine lange Geschichte ist, die keineswegs schon zu Ende ist. In der alttestamentlichen Lesung hörten wir davon, wie Moses Gott auf dem Berg Sinai begegnete. Sein Gesicht strahlte, als er mit Gott geredet hatte. So stark war die Erleuchtung, die er empfangen hatte, dass die Leute erschraken, als die das leuchten im Gesicht des Moses sahen, so dass er sein Gesicht verdecken musste, wenn er mit ihnen sprach.

Menschen können es nicht ertragen, Gott von Angesicht zu Angesicht zu sehen. Ihr könnt an das erste Mal denken, als Moses Gott am brennenden Dornenbusch begegnete. Als sich Moses neugierig näherte, rief Gott aus dem Busch: „Du darfst nicht näherkommen!  Ziehe deine Sandalen aus, denn der Ort, wo du stehst, ist heilige Erde!“ Sogleich verbarg Moses sein Gesicht, denn er wagte es nicht, Gott zu sehen. Und da bekam Moses dann die Aufgabe seines Lebens: Nach Ägypten zurückkehren und seine israelitischen Landsleute aus der Knechtschaft befreien. Und Gotte nannte Moses gegenüber seinen Namen: Jahwe, d.h. „Ich bin, der ich bin!“. „Sage deinem Volk, ‚Ich bin‘ hat dich gesandt!“

Das Problem mit unseren merkwürdigen dänischen Vorbehalten gegenüber dem Gottesdienst ist: Wenn wir da nicht recht oft hingehen, dann laufen wir Gefahr, zu Moses zurückgebombt zu werden. Dann wird Gott genauso fern und gefährlich und furchteinflößend wie er damals auf dem Berg Sinai war. Er wird ein Gott, den wir in der Natur finden an einem schönen Morgen oder bei einem stimmungsvollen Sonnenuntergang. Ein Gott, dem wir danken, wenn es uns im Leben gut geht, vor dem wir uns aber verbergen, wenn es schief geht, wenn wir unsere Lieben allzu früh verlieren, wenn uns all das genommen wird, wovon wir geträumt haben, nun wo wir endlich das Leben genießen wollten. Dann erfahren wir Gott als einen unberechenbaren, zufälligen Schöpfergott. Oder wir versuchen mit den zehn Geboten in der einen Hand und unserem eigenen Gerechtigkeitssinn in der anderen Hand eine Form von Ordnung im Dasein zu etablieren. Und dann kommt es sehr leicht dazu, dass wir denken: Eine Hand wäscht die andere, wenn Freundschaft halten soll, Auge für Auge, Zahn für Zahn, wenn Ungerechtigkeit abgerechnet werden soll. Und so kommen wir dann dazu, dass wir für das, was in der Welt schief läuft, anderen die Schuld geben, den Bösen, den auf den schwarzen Pferden, während wir uns selbst als die vorstellen, die für das Gute kämpfen auf der Seite Gottes gegen die dunklen und teuflischen Kräfte in aller Welt.  Wenn wir uns als Christen nicht die die Zeit nehmen, in die Kirche zu gehen und auf den Jesus Christus zu hören, auf dessen Namen wir getauft sind, dann hängen wir fest in unseren eigenen Vorurteilen und Vorstellungen von Gott und der Welt und anderen Menschen, dann fehlt uns die Perspektive für unser eigenes Leben und Inspiration für das Leben mit anderen.

Und das ist bedauerlich, wo nun Gott tatsächlich eine Geschichte hat mit Menschen, die weiterführt als Moses. Das ist der Kern des Christentums: Der Gott, der in seiner majestätischen Größe als Schöpfer des Universums und Herr der Zeiten für uns so unbegreiflich ist wie er für Moses und die alten Israeliten war, dieser Gott hat sich für uns in dem Kind von Bethlehem, in dem Mann aus Nazareth, in Jesus Christus gezeigt. Wir können uns keinen Weg zu Gott erträumen, erdenken oder einbilden. Wir sind völlig davon abhängig, dass er selbst zu uns herabkommt. Das geschah mit Jesus. Er erzählte uns, dass Gott im Himmel ganz anders ist als wir uns vorgestellt hatten. Dass Gott nicht eine ferne, willkürliche Macht ist oder eine unbeugsame strenge Gesetzmäßigkeit handhabt, sondern dass sein innerstes Wesen Liebe ist, eine Liebe, die alles dafür einsetzte, die Herzen der Menschen zu erreichen.

Das wurde an jenem Tag auf dem Berg Tabor ganz deutlich. Petrus und Jakobus und Johannes erschraken über das Licht der Verklärung ganz wie Moses am Dornenbusch. Es fiel über ihre Gesichter.

Aber habt Ihr bemerkt, was dann geschah? Jesus beließ sie nicht in ihrer Furcht. Er reichte die Hand aus zu ihnen und berührte sie und sagte ihnen, sie sollten keine Angst haben.

In Jesus lernen wir Gott kennen auf Augenhöhe. Im Evangelium begegnet er Menschen auf dem Wege, am Tisch, am Krankenbett, auf dem Sterbebett, selbst als er an Palmarum seinem Volk entgegenreitet als der König der neuen Zeit, reitet er auf einem Esel, so dass er noch immer auf einer Höhe mit dem Volk ist.

Die heutige Geschichte von der Verklärung auf dem Berg Tabor erinnert uns daran, dass Jesus mitten in seiner Menschlichkeit, ja gerade in seiner Menschlichkeit Gott für uns ist.

So wie wir daran im Wort und in den Sakramenten stets erinnert werden, wenn wir den Gottesdienst feiern. Wenn wir davon singen, beten und bekennen mit unseren eigenen Lippen, so dass es für uns deutlich wird, dass dies für uns nicht nur eine alte Geschichte ist, sondern eine stets neue, überraschende, provozierende und inspirierende Geschichte, die auch uns angeht. Eine Geschichte, die uns erzählt, dass die Grenze zwischen Licht und Finsternis, Gut und Böse, Wahrheit und Lüge nicht zwischen uns und den anderen verläuft, so dass wir das Problem lösen könnten, indem wir andere ausschließen. Die Grenze verläuft vielmehr mitten durch einen jeden von uns, so dass der Kampf, der zu kämpfen ist, in erster Linie ein Kampf in und mit uns selbst ist.

Und dann ist da eine wichtige Pointe, die wir heute durchaus beachten sollten. Nämlich die, dass Jesus nicht oben auf dem Berg blieb mit seinen drei Jüngern. Dazu wollte ihn Petrus ja überreden, als er sich an das Licht gewöhnt hatte. Petrus wollte gerne auf dem Berg bleiben weit weg von den Sorgen und Problemen des Alltags. Aber Jesus ließ ihn da nicht bleiben. Er nahm ihn wieder mit herunter vom Berg.   Und schon auf dem Weg herab begegnete er einem verzweifelten Vater, der ihn darum bat, seinem epileptischen Jungen zu helfen. So sollen auch wir nicht hier in der Kirche bleiben, auch wenn es hier schön ist, wenn man sich etwas daran gewöhnt hat. Denn es ist draußen vor der Kirche, wo unser Glauben Frucht tragen soll.  Dort soll im Leben zwischen uns, auf der Straße, bei Tische, am Krankenbett, am Sterbebette die Inspiration aus den Worten und Taten Jesu deutlich werden, so dass wir und freuen können und einander helfen können, dieses besondere, schwere, phantastische Menschenleben zu leben.

Während Moses auf dem Berg Sinai allein war, waren drei Jünger zusammen mit Jesus auf dem Berg Tabor. Denn das Christentum ist nun einmal nicht etwas, was wir allein und für uns selbst leben können. Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, will ich mitten unter ihnen sein, sagt Jesus. Das Christentum lebt davon, dass wir es miteinander teilen. Deshalb ist es eine gute Idee, hin und wieder in die Kirche zu gehen – für uns selbst und unseren Nachbarn. Amen.

 

Bischof Peter Fischer-Møller

Roskilde

Email: pfm(at)km.dk

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