Lukas 11,14-28

Lukas 11,14-28

Okuli | 12.03.2023 | Lk 11,14-28 (dänische Perikopenordnung) | Tine Illum |

Nehmt hin das Zeichen des Kreuzes

Zunächst, man tut gut daran, konkretes Wissen mitzubringen, ehe man anfängst darüber nachzudenken, was in aller Welt wir mit einer Geschichte von Dämonen, Satan, Beelzebub und bösen Geistern im Jahre 2023 anfangen sollen:

   Es ist nicht der Pastor bzw. die Pastorin, die jeden Sonntag einen Bibeltext wählt, den er bzw. Sie für sinnvoll hält. Die Wahl der Predigttexte geht weit zurück bis vor 1500 Jahren – in die Zeit, als Fasten in hohem Maße eine Zeit der Vorbereitung war für die vielen, die gerne am Ostertag getauft werden sollten und wollten. Jeden Sonntag hörte man da einen Bibeltext, der einen Aspekt der Taufe behandelte.

   Heute geht es darum, sich von dem Bösen zu distanzieren – so wie man das noch heute in Dänemark bei der Taufe tut in der Entsagung: „Wir entsagen dem Teufel und allen seinen Werken und seinem ganzen Wesen“-

  In der Taufe kennen wir das auch in einem anderen Zug wieder, dem Zeichen des Kreuzes am Gesicht und der Brust, dem Gehirn und dem Herzen. Hier soll das Böse keinen Zugang und keine Macht haben. Hier hat man sich für eine Seite entschieden: „Nimm hin das heilige Zeichen des Kreuzes an deinem Gesicht und deiner Brust“, Wir sehen das, und wir wissen, dasselbe geschah, als wir getauft wurden. Und wir hören, dass dies ein „Zeugnis dafür ist, dass du dem gekreuzigten Herren Jesus Christus gehören sollst“.

In Dänemark singen wir es in dem bekannten Tauflied von Grundtvig:

Der Gott hat geschrieben

das Kreuz seines Lieben

vor Stirne und Brust,

schon eh du’s gewusst,

drum soll dir kein Teufel mehr schaden.

Zur Hoffnung in Christ

Getauft ja du bist,

kannst Seele und Herz darin baden.[1]

Dämonie, der Teufel, ist das überhaupt etwas, mit dem wir etwas anfangen können? Ist das nicht eine Art Aberglaube? Krankheiten und Behinderungen erklären wir nun einmal nicht mit dem Teufel – oder Beelzebub, wie er im heutigen Text genannt wird. Wir sind mehr aufgeklärt und erklären das mit naturwissenschaftlichen Worten, und wir suchen Heilung in den kundigen Händen eines Arztes – nicht in so etwas Unnatürlichem  wie dem Finger Gottes.

   Unsere Art zu denken hat sich ganz einfach verändert. Und wir müssen uns dem, was vor 2000 Jahren in dieser Zeit und dieser Kultur erzählt wurde, auf neuen Wegen und in einer neuen Weise nähern.

Damals hielt man jede Krankheit für eine dämonische Besessenheit. Das klingt für uns fremd, ja vielleicht unheimlich und zynisch. Doch war da jedenfalls ein Trost in diesem Gedanken: Krankheit oder Behinderungen oder was es nun sein mag, das ist nicht meine Identität, das bin nicht ich selbst – das ist etwas, was von außen kommt und mich besetzt. Niemand von uns würde heute diese Worte verwenden. Aber die Frage ist, ob es eigentlich mehr barmherzig oder wahr ist, dies nicht zu tun. Denn wo kommt das Böse denn dann her? Ist es dann meine eigene Schuld – vielleicht etwas, was ich in einem früheren Leben getan habe und wofür ich jetzt bestraft werde? Oder ist es, weil ich nicht positiv genug gedacht habe? Oder habe ich genug Fischöl gegessen oder genug grünen Tee getrunken? Ganz zu schweigen davon, dass es dann glücklicherweise die eigene Schuld der anderen ist, wenn Unglück oder Krankheit sie trifft. Das braucht mich nicht zu kümmern. Das ist nicht meine Verantwortung.

Das alles ist für Jesus völlig uninteressant. Er verharmlost das Böse nicht. Er mischt sich ein. Er handelt. Denn so ist Gott. Der Feind des Todes, der Gleichgültigkeit und des Lebensverdrusses. Er berührt die Welt und uns mit dem Finger – und da geschieht eine Verwandlung. Viele von Euch haben sicher das Gemälde von Michelangelo gesehen, wo Gott den ersten Menschen schafft – mit seinem Finger.

Das Gute kommt von Gott, sagt Jesus. Und das Böse kommt vom Teufel. Es gibt keine neutrale Zone zwischen den beiden. Da ist nichts, was gleichgültig wäre. Du sollst dich auf die Seite des Lebens und des Guten stellen. Ja du wurdest schon auf die gute Seite des Lebens gestellt, als du getauft wurdest, wo der Finger Gottes ein Kreuz über dich schlug. Eine Liebeserklärung. Eine ewige Verheißung, ihm zu gehören. Du bist von diesem Kreuz eingedeckt, an dem Jesus starb. Du bist einbezogen in seine Auferstehung und sein Osterleben. Das ist gut zu wissen. Das ist in der Tat der letzte Rest der Dämonenaustreibung, die zuvor in der Taufe so eine große Rolle gespielt hat. Nun stehst du an der Seite des Lebens. Du sollst hören, was Gott sagt, und danach handeln. Du sollst nicht an der Seitenlinie stehen. Du sollst dich einmischen. Auch durch dich geschieht der Wille Gottes in der Welt, das geschieht auch durch deine Worte und dein Tun. Gott rührt die Welt an.

Aber das Böse existiert ja noch immer. Das ist eine schreckliche Realität. Und weil das Böse selten so offenbar ist wie die Bilder, die wir kennen vom Teufel mit dem Horn auf der Stirn, so kann es schwer sein in einer Welt zu existieren und zwischen Gut und Böse zu unterscheiden. Und es kann unbequem und unangenehm sein, wenn ich ahne, dass ich hier neue Wege gehen muss, neu denken muss. Protestieren, wenn die Welt und Menschen wie Dinge behandelt werden. Gegen das Böse und Apathie kämpfen. Die Leute um Jesus geraten in Zweifel, hören wir. „Es ist der Teufel, der ihm hilft“, sagen sie. Jesus sagt zu ihnen, dass das unmöglich ist -Böses kann nicht mit Bösem ausgetrieben werden. Der Teufel treibt sich nicht selbst aus. Das kann nur Gott.

  Den Zweifel kennen wir auch. Und die Bequemlichkeit. Die Versuchung der bösen Gleichgültigkeit, wenn wir Zeugen von Übergriffen auf Menschen oder ganze Völker sind, oder wenn wir den Ruf von Armen nach Brot und ärztlicher Hilfe überhören … und die vielen Male, wo ich sehr wohl weiß, dass ich nicht in dem versagt habe, was ich getan habe, sondern in dem, was ich nicht getan habe.

Wir denken an den Krieg in der Ukraine. Die meisten von uns haben Gedanken gedacht, von denen wir nie geglaubt hätten, dass wir sie denken würden, und wir sind verdammt im Zweifel, was das Richtige zu tun ist. So ist es in der Welt der Menschen. Die Dinge sind selten ganz eindeutig. Die Frage, die sich viele gestellt haben, ist diese: Ganz gleich wie sehr wir Krieg hassen und wie friedliebend wir sind und wie sehr wir wünschen, dass Bomben und Panzer von der Erdoberfläche verschwinden – können wir in eine ganz besondere Lage geraten, in der Neutralität ein aktives Tun ist, dass den bösen Kräften freien Lauf lässt!

Es gibt keine einfache Lösung. Die Dinge laufen lassen, das heißt auch Partei ergreifen. Das ist auch Politik. „Du bist entweder auf der Seite des Teufels oder Gottes“, sagt Jesus im heutigen Evangelium. Du kannst nicht neutral sein, wenn Böses geschieht.

Jesus sagt, dass unser Sinn immer mit etwas gefüllt ist, entweder von dem, was Gottes ist, oder von dem, was mit dem Teufen zu tun hat. Jesus verwendet ein etwas merkwürdiges Bild und sagt, dass wir glauben, dass wir den Unrat aus dem Haus gekehrt haben und dass es leer und fein dasteht, aber ein Haus – oder ein Sinn – kann nicht leer sein. Wenn wir nicht Gott unseren Sinn füllen lassen – dann ist das eine attraktive Wohnung für den Teufel.

Das lässt mich etwas unruhig auf der Kirchenbank sitzen.  Denn trotz der alten Worte, ich weiß es ja wohl: Ich bin dem Leben hier verpflichtet, meinem eigenen und dem der anderen. Und ich irre mich da so oft. Oft bedeutet es vielleicht nicht so viel, und andere Male bedeutet es alle Welt.

Oft sehen wir es nur im Rückblick. Das ist fast unerträglich. Das kann im Kleinen sein: Wütend habe ich geschimpft, oder müde habe ich nicht die ermunternden Worte gefunden. Aber es können auch die großen Dinge sein, und das ist fast nicht zu ertragen. Mein Gewissen liegt schwer auf mir.

Ein deutscher Pfarrer, Matin Niemöller, hatte sich zunächst lange Zeit neutral verhalten, als die Nazis mit ihren Verfolgungen begannen, hat das sehr bewegend und treffend formuliert:

„Als sie kamen, um die Kommunisten zu holen,

habe ich nicht protestiert,

denn ich war ja kein Kommunist.

Dann kamen sie und holten die Sozialdemokraten,

aber ich protestierte nicht,

denn ich war kein Sozialdemokrat.

Dann kam sie und holten die Gewerkschaftler,

aber ich protestierte nicht,

denn ich war kein Gewerkschaftler.

Dann kommen sie, um die Juden zu holen,

aber ich protestierte nicht,

denn ich war kein Jude-

Als sie dann kamen sie, um mich zu holen,

war keiner mehr da, der protestieren konnte.“[2]

Die Dämonie des Schweigens – die Gleichgültigkeit, die kenne ich gut. Bei mir selbst. Und ich weiß auch, dass ich mich nicht selbst vom Bösen und vom Teufel befreien kann, das kann nur Gott. Der Finger Gottes. Daran erinnert uns das Kreuz, das über mir bei meiner Taufe geschlagen wurde – und bei jedem Gottesdienst in der Kirche. Als Erinnerung – als Vergebung und Anstoß. Als das Kreuz, unter dem wir leben. Nach dem wir leben sollen. Freimütig, stark. Weil das Kreuz nichtausgelöscht oder ungültig wird. – trotz Feigheit und allen Fehlern. Alle Sünde, könnten wir sagen. Und vielleicht ist das am schwersten zu glauben: dass Auferstehung und Ostern nicht schöne Begriffe oder Worte sind, von denen wir singen – nein, dort ist es, wo jede Verzweiflung, alles Böse und jeder Tod ein Ende haben.

Vielleicht sollten wir das tun, von dem Luther spricht, was uns vielleicht so naiv vorkommt.

   Er sagt: Am Morgen sollst du das Vaterunser und das Zeichen des Kreuzes schlagen und dich froh an die Arbeit machen. Und am Abend sollst du das Vaterunser beten, das Zeichen des Kreuzes schlagen und dich getrost schlafen legen.

    Gott hat dich mit seinem Finger angerührt. Du bist geliebt. Das Leben sollst du leben. Amen.

Pastorin Tine Illum

DK-6091 Bjert

Emal: ti(at)km.dk

[1] Dänisches Gesangbuch Nr. 674,2, hier zitiert nach dem Deutsch-Dänischen Kirchengesangbuch.

[2] Ein hier frei wiedergegebenes oft in verschiedenen Versionen überliefertes Zitat von Niemöller, sieh dazu in der vorzüglichen Biographie von Michael Heymel aus dem Jahre 2017, S. 266-270

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