Lukas 12,13-21

Lukas 12,13-21

1. Sonntag nach Trinitatis | 19.06.22 | Lk 12,13-21 (dänische Perikopenordnung) | Rasmus C. Dreyer |

Es ist schwerer für einen Reichen, das Reich Gottes zu erlangen als für ein Kamel, durch das Nadelöhr zu kommen. Das pflegen wir zu sagen mit einem Sprichwort, das direkt aus den Evangelien stammt. Und wenn ich heute nur eine kurze Predigt halten sollte, könnte ich mich damit begnügen. Es ist aber verdammt unangenehm für uns zu hören, wo wir uns zuhause in Reichtum wälzen. Nun ja, die Preise für Lebensmittel steigen, wir merken die Auswirkungen der Weltkrisen, und dennoch können wir hier in der Kirche ein schlechtes Gewissen bekommen, dass wir zufrieden und im Vergleich zu vielen anderen reich sind. „Iss, reise und sei froh“, so formulierte der legendarische dänische Reisekönig Simon Spies das heutige Evangelium. Denn wer will eigentlich nicht Güter und Reichtümer sammeln, um im Überfluss zu leben. Ich habe in der Zeitung gelesen, dass die Dänen in der jetzigen Krise offenbar sehr viel sparen – nur nicht an Besuchen in Restaurants und Ferienreisen! Wir leben mit anderen Worten nach dem Motto von Simon Spies.

Nun gut, genug mit dem schlechten Gewissen für heute. Oder nur ein klein wenig mehr. Die Lesungen dieses Sonntags nach der zweiten Reihe folgen der Perikopenordnung von 1885. Eigentlich war nicht daran gedacht, dass das Evangelium der zweiten Textreihe alleinstehen sollte, und bis 1900 war es denn auch so, dass man auch das ‚richtige‘ Evangelium der altkirchlichen Perikopen las. Nun müssen wir uns vorsehen – die Pointe, der Schlüssel für das Verständnis des heutigen Evangeliums findet sich also in dem Text, den wir erst in einem Jahr hören werden. Nach der ersten Textreihe hören wir die Geschichte von Lazarus, der in Abrahams Schoß sitzt. Er ist im Himmel, ein reicher Mann ist da neidisch. Ein reicher Mann und ein Bettler namens Lazarus. Lazarus war eben ein Lazoron, jemand der vor der Tür liegt. Ein Lazarus unter vielen anderen Lazaronen, die Gott nicht mit Reichtum und Glück gesegnet hatte, so wie er den reichen Mann gesegnet hatte. Der einzige Grund dafür, dass der Name Lazarus und nicht der des reichen Mannes in unserem Gedächtnis geblieben ist, ist der, dass sie ihre Schicksale im Jenseits tauschen. Hier ist Lazarus obenauf und erhält einen Ehrenplatz beim jüdischen Stammvater Abraham, während der reiche Mann bestraft wird.

Dasselbe Schicksal, so können wir hören, wird auch dem heutigen Mann ereilen, der Korn und Güter in seinen Scheunen gesammelt hat. Das Schockierende ist, dass die reichen Leute keine bösen Leute sind. Sie haben nur Erfolg und viel Geld. Nach jüdischer Tradition ist ihr Reichtum tatsächlich ein Zeichen dafür, dass Gott mit ihnen so ist wie Gott seinerzeit mit Abraham war und ihn reich machte. Geld ist also nicht an sich böse. Die Gefahr besteht nur darin, dass Geld den Reichen blind machen kann für die armen Verhältnisse und harte Leiden anderer.

Aber hört her. Wer weiß, ob Lazarus arm war? Wir hören im heutigen Evangelium auch nichts davon, dass da arme Leute sind, die unter dem reichen Bauern leiden. Wer weiß – vielleicht hat sich Lazarus wie viele der Allergrößten in der Kirchengeschichte vielleicht selbst dafür entschieden, in Askese zu leben? Ein glücklicher Lazaron, könnten wir sagen. Vielleicht der Mönch Franz von Assisi.

Franz lebte im 13. Jahrhundert. Er brach mit seiner Familie, legte all seine reichen Kleider ab, gab sie seinem Vater und sagte: „Nun will ich nicht mehr ihn zum Vater haben, sondern mein Vater ist Unser Vater, der du bist im Himmel“. Er lebte in selbstgewählter Armut, krank und geplagt, da sein Körper das asketische Leben nicht ertragen konnte. Er starb auf eigenen Wunsch entkleidet, auf der Erde liegend, so dass er dieses Leben so nackt verließ, wie er gekommen war. Er hinterlässt dennoch immer die Frage: War das genug, um nicht zu enden wir der reiche Kornbauer, dem das Leben genommen wurde?

Kam Franz leichter zu Gott, weil er dem Reichtum und dem Erfolg entsagte? Nein. Es ist nahezu umgekehrt, dass Franz seine Askese zu einem so großen Projekt machte, dass Selbstquälerei für ihn zu einem Gott wurde.

Unser Reformator Martin Luther sagt in seinem Großen Katechismus: Alles worauf du dein Vertrauen setzt, das ist dein Gott. Hier legt Luther das erste von den zehn Geboten aus., wo es bekanntlich heißt: „Du sollst keine anderen Götter haben neben mir“. Das bedeutet nach Luther nicht nur, dass man keine anderen Götter haben soll (Odin, Thor, Buddha oder andere). Nein, worauf du dein Leben baust, dein Vertrauen setzt, was du verehrst und anbetest – eben das ist dein Gott.

Ich will das in einer Weise formulieren, es das leichter verständlich macht. Das erfordert, dass wir uns auf Skiurlaub begeben – in die Welt des Films. Ich erzähle von dem schwedischen Film „Force Majeure“. Der Regisseur ist Ruben Östlund, was vielleicht nicht so wichtig ist – aber vielleicht ist ja bekannt, dass er neulich den großen Filmpreis die goldene Palme in Cannes für seinen letzten Film erhielt. Und sein erster Film hatte also einen französischen Titel. „Force Majeur“ ist ein Ausdruck der Versicherungssprache, und es bedeutet, dass man von Verpflichtungen befreit ist, wenn eine extraordinäre Lage eintrifft. Das kann zum Beispiel plötzliche ernstliche Erkrankung sein, Krieg oder eine Naturkatastrophe, die es einem unmöglich machen, dass man das einhält, was man versprochen hat.

So weit so gut. Lasst uns die Hauptpersonen betrachten. Sie heißen Thomas und Ebba. Sie sind auf Skiurlaub irgendwo in Frankreich. Ihnen fehlt nichts. Alles im Überfluss, Geld, zwei Kinder, nach außen das perfekte Leben. Im Film begegnen wir der kleinen Familie am ersten Tag im Hotel, wo alles Friede und Idyll ist. Sie machen zusammen Urlaub, weil Thomas viel gearbeitet hat, und jetzt ist es an der Zeit, mit der Familie zusammen zu sein. Am nächsten Tag sitzen sie auf der Dachterrasse des Hotels mit der Aussicht auf die schneebedeckten Alpen. Und dann geschieht es – eine Lawine, eine Schneelawine kommt herab vom Berghang. Aber es handelt sich um eine kontrollierte Explosion, es besteht also in Wirklichkeit keine Gefahr. Während die Lawine vom Berg herabrollt, wird der Schnee aufgewirbelt, und als die enorme Schneewolke die Dachterrasse erreicht, glauben die Familie und die anderen Gäste, dass die Lawine auch das Dach erreicht. Ebba fasst sogleich die Kinder und versucht zu fliehen – aber was tut ihr reicher Mann? Ja, Thomas nimmt stattdessen sein Telefon und läuft davon. Allein um das zu retten, was ihm lieb und teuer war. Nein, das sind nicht Frau und Kinder, sondern er selbst und das Telefon! Eben in dem Augenblick werden seine Prioritäten offenbar. Er ist sich selbst der Nächste, Reichtum und materielle Güter kommen zuerst. Ebba und die beiden verzweifelten Kinder, die nach der Hilfe des Vaters schreien, lässt er im Stich.

Die Masken sind gefallen. Niemand kann mehr Thomas richtig ernst nehmen. Also nun, das ist nicht ganz richtig, wenn wir sagen, dass unsere Taten nichts bedeuten. Luther hat auch gesagt, ein guter Mann tut gute Werke. Also, wenn du Christ bist, wirst du von selbst imstande sein, die Liebe an erste Stelle zu setzen, und dann muss alle Furcht verschwinden.  So wie das im ersten Johannesbrief steht: „Furcht ist nicht in der Liebe, sondern die vollkommene Liebe treibt die Furcht aus, denn die Furcht rechnet mit Strafe, wer sich aber fürchtet, der ist nicht vollkommen in der Liebe“.

Gott ist die Quelle der Liebe, und wir sollen als seine Kinder frei leben, unbesorgt und im Vertrauen auf ihn. Und so sollen die, die von unserer Liebe und unserem Schutz abhängig sind, das sind unsere Kinder, auch in unserer Gegenwart leben können.

Der reiche Kornbauer im heutigen Predigttext ist deshalb ein Beispiel, das nicht zum Befolgen geeignet ist. Gegen seinen Reichtum ist nichts einzuwenden, aber aus der Geschichte vom reichen Mann und dem armen Lazarus müssen wir entnehmen, dass das Problem darin besteht, dass man zuerst an sich selbst denkt – und die Not und die Armut anderer wegen seines eigenen Reichtums übersieht. Wie Thomas, der in dem Film Force Majeure seine Frau und seine Kinder im Stich lässt. Sie waren reich, sie hatten alles im Überfluss, aber sie nahmen nicht die Verantwortung wahr für ihre Nächsten und ihre Mitmenschen.

Der dänische Liederdichter Jens Rosendal ist gerade 90 Jahre alt geworden. Er hat viele gute und beliebte Lieder verfasst, Heute ist Jens Rosendal ein alter Mann, und in einem Rückblick auf sein Leben sagt er: „Dass kannst vielleicht leben, wie es die Leute am liebsten haben und sogar viel Erfolg damit haben, aber du kannst so nicht sterben“. Es ist wichtig, was er hier sagt. Denn wie der reiche Kornbauer des heutigen Evangeliums sollen wir ein Leben leben, zu dem wir uns auch im Tode bekennen können. Rosendal sagt: „Du kannst es dir nicht deinem Gott und Schöpfer gegenüber erlauben … zu sterben, ohne versucht zu haben, mit den Gaben zu leben, die dir gegeben waren. Du kannst nicht das vergraben, was dir anheimgegeben wurde. Du kannst kein uneigentliches Leben abliefern“. Nein, unser Leben muss ein eigentliches Leben sein. Und ein eigentliches Leben, das ist ein Leben, das uns bewegt, wo wir lieben und Verantwortung übernehmen.

Oder sollten wir nur sagen: Ein guter Mann versteckt weder Gut noch Talente. Er tut gute Werke. Das ist die Verpflichtung der Liebe. Amen.

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Dr. theol. Rasmus H.C. Dreyer

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