Lukas 1,46-55

Lukas 1,46-55

Judika | 17.03.24 | Lk 1,46-55 (dänische Perikopenordnung)[1] | Tine Illum |

Nicht wir singen, der Gesang sing in uns

Im Jahre 1980 verbot die Militärdiktatur in Guatemala einen festen Bestandteil des traditionellen Abendgottesdienstes seit Jahrhunderten. Das Verbot galt eben den Bibelversen, die wir eben gehört haben, dem Lobgesang der Maria.

Der war allzu kraftvoll, meinte der Diktator. Er hetze die Zivilbevölkerung auf in ihrem Widerstand gegen das Militärregime. Sie würden weniger furchtsam und mehr mutig. Da hatte er Recht, der Präsident. Die Leute sangen den Fürsten klein.

Das konnten sie, denn das kann Maria. Sie spürt eine Kraft in sich, die nicht von ihr selbst stammt, sondern von Gott, und sie singt die Furcht klein. Sie entlehnt Worte aus einem Lied, das sie gehört hat, den Lobgesang der Hanna aus dem Alten Testament, und sie macht sich diese Worte zu eigen, so wie es viele von uns auch kennen, dass wir Lieder und Gesänge zu uns singen lassen, sie werden ein Teil von uns.

Seine Barmherzigkeit kennt keine Grenzen, singt sie.

Er hat große Dinge getan.

Er verdammt Hochmut und eingebildete Klugheit und Machtgier.

Aber die Armen, die Hungernden, die Übersehenen, die erhebt er in den Himmel.

Dass sie dieses Lied singen kann – dass dieses Lied in ihr singen kann – das ist wirklich groß, größer als die Furcht und die Schande und die Sorge.

Das sind fast dieselben Worte, die Jesus in der Synagoge in Nazareth verwendet, als er zum ersten Mal erzählt, was Gott mit ihm vorhat. Er sagt: Er hat mich gesandt, um gute Botschaft für die Armen zu bringen, um die Befreiung der Gefangenen zu verkünden

und Augenlicht für die Blinden,

Freiheit für die Unterdrückten,

um ein Gnadenjahr des Herrn auszurufen.

Das ist Hingabe an Gott – und der Protest gegen alles, was ihm entgegensteht. Das singt in Maria mit himmlischer Kraft.

Wenn sich alle großen Gefühle im Jubel aufdrängen – oder in der Ohnmacht, der Hoffnung oder der Verzweiflung – dann singen wir. Wenn wir nichts tun können, dann singen wir. Wir singen nicht so als wäre jetzt alles gut. Nein, wir sehen und singen von der Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte.

„Die Kraft des Gesangs bringt alle dazu, sich aufzuführen als ob die Welt glücklich sein könnte“, hat jemand einmal gesagt.

Und Jahrhunderte lang haben Menschen mit Maria gesungen von Hoffnung für die Hoffnungslosen, von Gott, der die braucht, die für andere nichts wert sind. Mit Maria hat der Gesang die Furcht und die Resignation überwunden.

Einen Nachklang ihres Gesangs besitzen wir selbst am 4. Mai, dem Gedenktag der Befreiung von der deutschen Besatzung 1945, „eine Lärche erhob sich“:

„Und du, der du stützt die Reiche der Stolzen,

und löst die gefangene von Fesseln und Ketten“.[2]

Maria singt nicht von dem, was sie sieht oder erfährt oder fürchtet. Sie lächelt auch nicht verlegen wie Sara in Mamre.

Sie glaubt das ganz Unmögliche. Sie singt von dem, worauf sie hofft und woran sie glaubt. In einer Weise, wo wir noch immer einen Sinn in ihrem Gesang finden. Und dann singen wir auch mit ihr. Der Gesang ist eine Verheißung von Begleitung bis in die dunkelste Finsternis und durch sie hindurch.

Von Maria wissen wir, dass sie eines Tages mit ihrem gefolterten und toten Sohn in den Armen sitzen wird, so wie Mütter in Guatemala, so wie man es gerade jetzt erlebt in der Ukraine, in Gaza, im Kongo und in Israel – und an vielen anderen Orten.

Und nein, weder die Mütter noch wir anderen bekommen die wieder, die wir verloren haben, auch wenn wir noch so himmlisch singen. Wir können nicht die Toten ins Leben singen.

Christus aber kann seine Lieder in uns singen. Unsere Herzen weich singen und den Glauben in uns hineinsingen – den Glauben, der so klein ist wie die Leibesfrucht, von der Maria heute erfährt, dass sie sie in sich trägt. Dieser Glaube genügt. Der singt weiter in uns und wird zu Liedern von der Hoffnung und davon, dass ein Ostermorgen kommen wird mit Auferstehung und Leben – was wir durch ihn empfangen, dem Sohn Marias, Jesus.

Die Geschichte von Maria ist immer auf Verwunderung und Misstrauen gestoßen. Wie kann das sein? Ja, das wissen wir nicht. Aber wir wissen, dass uns dies erzählt wird, damit wir uns dem Mysterium hingeben sollen, dass Jesus ganzGott ist und ganz Mensch, „empfangen durch den Heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria“, bekennen wir. Gott, der in unser Leben hineingeboren wird ganz so wie wir alle geboren sind. Von einer Frau. Nicht wie man sonst damals meinte, dass Götter geboren werden sollten, aus den Wogen des Meeres oder der Stirn eines anderen Gottes.

Das ist ein Mysterium. Wir können uns zu ihm nur verhalten, indem wir uns dem anheimgeben, dass wir einen Gott haben, der Mensch wurde wie wir, und der unsichtbar in unserem Leben gegenwärtig ist, in unserem Gesang, in unserem Tod – und der selbst stirbt, damit der Tod nicht das letzte Wort über uns ist.

Der Himmel beginnt in Maria – weil es Gott will „in der Kraft des Geistes“, sangen wir – und der Himmel Gottes soll auch in uns beginnen. Eben nicht durch das, was wir selbst können – denn das wäre zu wenig. Sondern in der Kraft des Geistes – und er soll zu Glauben und Kraft werden, die größer sind als unsere Furcht.

Wir hören das bei jeder Taufe: „Durch Wasser und Heilen Geist“  … und „Ich bin bei euch alle Tage bis an das Ende der Welt“.

Wir können es geschehen lassen … uns hingeben … den Gesang der Maria singen lassen hinein in unsere Herzkammer und mit dem Blut in unseren ganzen Körper fließen lassen.

Einige Christen beten jeden Tag, wenn sie ihren Rosenkranz Gebete haben, die beginnen: „Gegrüßt seist du Maria, gnadenreiche, der Herr sei mit dir! Gesegnet seist du unter allen Frauen und gesegnet sei die Frucht deines Leibes, Jesus“.

Nicht weil Maria eine Art Gott wäre, sondern weil sie in ihrer Hingabe und ihrem Gesang ein Bild für den Glauben ist. Für Vertrauen auf die Gegenwart Gottes, wenn alles unmöglich aussieht. Für Kraft in einem Leben, wo die Ohnmacht ansonsten naheliegt.

„Mein Leben ist zerstört. Alles ist umgeworfen, ich verstehe nicht, was Gott mit meinem Leben will“.

Und dann singt sie: „… ich danke Gott aus meinem ganzen Herzen“.

„Was soll ich denn tun. Das hier ist das Schlimmste, was passieren konnte …“

Aber das Lied sagt: „Gott ist voller Macht, und er hat Großes für mich getan“.

Ich sehe nur Gewalt und Machtmissbrauch, dass die Schwächsten ausgenutzt werden, dass Menschen hungern und sterben. Ich sehe Krieg und Einsamkeit, Unglück, unheilbare Krankheit, Leiden“.

Aber Maria singt: „Die Gewaltigen stößt er von ihren Thronen, die Niedrigen erhebt er. Die Hungrigen füllt er mit Gütern …“. Und in Mariupol, der Stadt Marias in der Ukraine, die zu dem zerbombst ist, was man wohl fast als Hölle auf Erden bezeichnen kann … in Bethlehem, wo Maria Jesus gebar … in Städten in Asien, zerstört durch Überschwemmungen … und in Afrika, Dürre und Hunger zehren an den Körpern und Seelen der Menschen … und wenn wir mehr erleiden als wir ertragen können uns es durch unsere Körper flüstert, dass uns Gott vergessen hat. Dann singt die Hoffnung den Lobgesang Marias: „Er gedenkt unser … in Ewigkeit“.

Gebet:

Gott im Himmel!

Dank dafür, dass du den Gesang bei Maria hervorbrechen lässt, so dass er heute uns erreicht.

Und uns von all den großen Denken erzählst, die du tust.

Dank für das Lied, das du in uns legst,

das unseren Glauben stärkt und uns Hoffnung gibt.

Dank für alle, die in der ganzen Welt Wiegenlieder und Protestlieder singen,

für alle, die die Furcht klein singen, die trösten, die neue Kräfte hervorsingen.

Wir beten für Eltern in der ganzen Welt.

Für die, die verzweifelt ihre Trauer über den kleinen Leichensäcken in Gaza singen.

Für die, die in der Ukraine und in Russland ihre jungen Männer ins Grab legen mit den Puppen ihrer Kindheit.

Für die, die mit ihren hungernden Kindern in den Armen sitzen.

Wir bitten für die Flüchtlinge in der Welt und alle, die sie aufnehmen.

Wir bitten für alle, deren Gesang für Hoffnung längst verstummt ist,

und für alle Unterdrückten und Arme, deren Gesang von Gerechtigkeit und Leben niemand hört.

Wir bitten um eine Hoffnung und eine Zukunft für alle. Wir bitten um Frieden.

Singe du selbst unter Herz weich, so dass wir deine Worte von Gerechtigkeit und Leben für alle mit uns tragen.

Gib uns den Mut und die Kraft Marias, die den Machtmissbrauch der Tyrannen bedrohen.

Lege auch eine mutige Stimme in unsere Körper, so dass wir das tun, was du gesagt und getan haben willst. Hilf uns, dass wir die Welt zu einem mehr barmherzigen Ort machen. Im Namen Jesu. Amen.

Pastorin Tine Illum

DK-6091 Bjert

Email: ti(at)km.dk

[1] In Dänemark wird dieser Sonntag als Verkündigung Mariae begangen.

[2] Ein dänisches Lied zur Befreiung 1945.

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