Lukas 2,41-52

Lukas 2,41-52

1. Sonntag nach Epiphanias | 08.01.2023 | Lk 2,41-52 (dänische Perikopenordnung) | Mikkel Tode Raahauge |

So sagen wir dir, Vater, Dank

für das, was wir fanden in deinen Heiligtümern,

und Dank für das teure Pfand des Geistes

für das, was noch kommen mag!

Und leite uns im Leben des Glaubens

weiter durch das Licht des Wortes,

dass wir im Himmelreich unsere Heimat finden. Amen.[1]

Manchmal kann man sehr wohl etwas darüber nachdenken, dass es noch mehr gibt zwischen Himmel und Erde. Ich glaube das, und da ist irgendetwas in diesem Evangelium über den zwölfjährigen Jesus im Tempel, was offenbar dieses „mehr“ betrifft. Jedenfalls für mich. Denn als ich das letzte Mal auf die Kanzel stieg, um über diesen Text zu predigen, da war das an einem der ersten Gottesdienste nach der ziemlich brutalen Schließung der Kirchen an Weihnachten 2020 wegen der Corona-Epidemie. Ich meine in der Tat, dass es der erste „richtige“ Gottesdienst war, den ich als Pastor hielt, auch wenn ich zugestehe, dass ich ungehorsam war und am 24. Dezember alle Gottesdienste durchführte. Und ich erinnere mich deutlich an das Gefühl, die violette Kanzel in der Kirche von Jægersborg (einem Vorort von Kopenhagen) zu besteigen und diesen Text aus dem Lukasevangelium vorzulesen, wo der junge Jesus mit der ganz besonderen Mischung von Wundern und Anklage, die nur ein Teenager aufweisen kann, seine Eltern fragt, die drei Tage lang herumgelaufen sind, um nach ihm zu suchen: „Wusstet ihr nicht, dass ich sein muss in dem, was meines Vaters ist?“ – Wusstet ihr das nicht?

Diese Worte machten damals auf mich einen großen Eindruck. Und das liegt wohl auch an einer Mischung von einer Verwunderung darüber, dass man auf die Idee kommen konnte, die Kirchen zu schließen – nicht nur zu Weihnachten, sondern dazu noch in einer Krisenzeit, wo sich die Leute Sorgen machten und Angst hatten – und dann auch an dem Umstand, dass ich selbst ein ganz neuer und nervöser Pastor war. Aber die Worte machen auch Eindruck auf mich im Lichte des Plans, den unsere neue dänische Regierung neulich vorlegte, man werde „aufrecht und mit offenen Augen“, wie es die Ministerpräsidentin kühl ausdrückte, den dänischen Buß- und Bettag als Feiertag abschaffen. Diese Formulierung zeigt fast, dass sie im Grunde gut wissen,  dass sie sich auf unsicherem Boden befinden, und das wird nicht besser durch die etwas manipulatorische Rhetorik, dass die meisten Dänen sicher gerne dieses Opfer bringen würden für mehr Frieden in der Welt, denn der Gewinn soll ja bekanntlich die erhöhten Verteidigungsausgaben Dänemarks finanzieren.

Der Vorschlag ist aus mehreren Gründen problematisch. Erstens kann man sich etwas darüber wundern, dass eine Regierung, die selbst in ihrem Regierungsprogramm geschrieben hat, dass Dänemark „ein christliches Land ist“, was immer das bedeuten mag, kirchliche Feiertage infrage stellt. Zweitens ist es schade, wenn al die ziemlich vielen und alten Traditionen verschwinden, die sich mit dem Buß- und Bettag verbinden, das einstündige Glockengeläut z.B., das Essen von besonderem Gebäck und der Abendspaziergang am Wall von Christianshavn in Kopenhagen am Vorabend. Es ist schade, dass das alles in Vergessenheit gerät – vor allem in einer Zeit, wo wir so sehr etwas brauchen, was uns zusammenhält. Drittens ist das recht merkwürdig zu hören nach einem Wahlkampf, in dem vor allem das Leben der jungen Menschen, psychische Belastungen und Gefährdungen, Verschleißerscheinungen und Stress ein Thema waren. Dann muss man hören, die Lösung bestehe in noch mehr Arbeit. Und viertens nimmt man also großen Teilen der Bevölkerung die Möglichkeit, in die Kirche zu kommen und das Wort Gottes zu hören, jedenfalls wenn sie nicht bereit sind, dafür zu bezahlen.

Ich weiß sehr wohl, der Buß- und Bettag ist ein besonderer dänischer Feiertag, der erst 1686 eingeführt wurde, er ist auch nicht genauso groß und wichtig wie z.B. Weihnachten, Ostern, Himmelfahrt oder Pfingsten. Und ich weiß auch sehr wohl, dass viele eine wohlverdiente Pause schätzen, eine notwendige Pause mit der Familie oder dergleichen – mehr als den Kirchgang am Buß- und Bettag, und das sei jedem gegönnt. Aber für einige ist es von größter Wichtigkeit, in die Kirche zu kommen, nicht nur für die Konfirmanden, die ja unsere Kirche in Skovshoved an diesem Tag bis zum letzten Platz füllen mit Menschen und frohen Erwartungen an ihre Konfirmation, der sie monatelang entgegengefiebert haben, aber auch für alle die, die etwas anderes hören möchten als all das, was sonst den Alltag bestimmt.

„Bittet, so wird euch gegeben, suchet, so werdet ihr finden, klopfet an, so wird euch aufgetan. Denn wer da bittet, der empfängt; und wer da sucht, der findet; und wer da anklopft, dem wird aufgetan“. So hören wir am Buß- und Bettag jedes zweite Jahr nach der dänischen Perikopenordnung. Und wir brauchen es durchaus, das zu hören – sowohl diese Worte als auch die anderen Worte, die wir im Laufe des Kirchenjahres hören. Denn die Kirche ist wohl eigentlich der einzige Ort in der Welt, wo wir hören können, dass wir unsere Menschenwürde nicht aus Fähigkeiten, unserem Fleiß, unseren guten Intentionen beziehen oder, wie es in dem Kirchengebet heißt, das ich meist verwende, kraft all dessen, was wir können und wollen und glauben. Die Kirche ist vielmehr der Ort, wo wir uns versammeln können als die Menschen, die wir sind. ganz gleich, von wo aus wir unser Leben leben und wie wir es leben, mit all unserer Freude und unserem Leid, all unserem Glauben und unserem Zweifel, all unseren Hoffnungen und Sehnsüchten das Wort hören, dass sich Gott in seinem Sohn ganz offenbart hat als Liebe – und uns als die, die Gott liebt. Nicht weil wir irgendeinen besonderen Anspruch darauf hätten oder weil wir uns das irgendwie verdient hätten, sondern weil es Gott offenbar so will.

Für uns ist es allesentscheidend, das zu hören, was wir uns nicht selbst sagen können. Und dann besonders in diese Zeit, wo Kriege, Krisen und Katastrophen bewirken, dass das Leben als noch unsicherer erfahren wird, als wir das schon gewohnt sind. Denn wenn wir hier in die Kirche kommen und das Wort hören, dass unsere ganze Wirklichkeit mit all dem, was sie an Gutem und Bösen enthält, immer schon von der Liebe Gottes umfangen und gehalten ist, dann können wir auch wieder von hier hinausgehen und als die freien Menschen leben, zu denen wir von Anfang an geschaffen sind, voll versehen mit Mut zum Leben, Glauben an die Zukunft, Hoffnung für die Welt und eine Liebe von oben, die alles überwindet. Mit seiner Frage: „Wusstet ihr nicht, dass ich sein muss in dem, was meines Vaters ist?“ will der zwölfjährige Jesus eben dies seinen Eltern und uns zu verstehen geben: „Lebt doch der Mensch von Gottes Wort, hat bei dem Vater Heim und Hort“, wie es in einem Lied heißt.[2] Deshalb sollen wir uns in der Kirche versammeln -oder zumindest die Möglichkeit dazu haben – um immer wieder daran erinnert zu werden, dass es sich so verhält.

Und dann wird es interessant sein zu sehen, was mit dem Buß- und Bettag geschieht – ob wir ihn behalten dürfen, oder ob er aus finanziellen Gründen abgeschafft wird. Aber wie auch immer, liebe Gemeinde, wir werden das überleben. Denn das Wort Gottes war nie gebunden. Denn Gottes Wort will gehört werden. Es findet seinen Weg an den merkwürdigsten Orten: In der Kirche, im Stall, in der Wüste, am Kreuz, im Grab. Und wenn weder Wächter, noch Felsen oder Gesetze der Physik ihm im Wege stehen konnten – wer oder was in aller Welt könnte das?

Im Namen Jesu. Amen.

Pastor Mikkel Tode Raahauge

Skovshoved, DK 2930 Klampenborg

Email: mitr(at) km.dk

[1] Str. 2 des Liedes 424 aus dem dänischen Gesangbuch.

[2] Dänisches Gesangbuch 41, Str. 2, hier nach Deutsch-dänisches Kirchengesangbuch.

de_DEDeutsch