Markus 16,14-20

Markus 16,14-20

Die Fußspuren Jesu | Christi Himmelfahrt 2021 | Markus 16,14-20 (dänische Perikopenordnung) | Von Peter Fischer-Møller |

Die Fußspuren Jesu

Wie steht es mit euren Füßen?

Ich erinnere mich daran, wie mein Vater, als er meine nun 35-jährige Nichte Julie als Neugeborene sah, als erstes ihre Füße bemerkte. Man denke nur, dass die so kleinsein können, und man sehe, wie lang und fein die Zehen waren – und dann konnte sie alle Zehen zugleich spreizen.

Vielleicht hang die Faszination der kleinen Babyfüße damit zusammen, dass die Füße später im Leben nicht etwas sind, was wir besonders beachten und was die meisten nicht als etwas besonders Präsentables ansehen.

Die Füße sind im buchstäblichen Sinne etwas sehr Erdnahes. Und doch haben sie ihren Platz in der himmlischen Geschichte, um die wir uns heute hier versammelt haben.

Während Ostern etwas mit den Händen zu tun hat: Jesus, der das Brot am Gründonnerstag mit seinen Händen bricht, den Händen, die am Karfreitag von den Nägeln durchbohrt werden, Thomas, der mit den Erzählungen der anderen von der Begegnung mit dem Auferstandenen nichts anfangen kann und deshalb sagt, er wolle die Löcher in den Händen Jesu sehen, ehe er an die Berichte von der Auferstehung glauben will. Und dann steht Jesus da mit den Händen, und erhebt sie schließlich über sie, um sie zu segnen.

Während Ostern also mit den Händen zu tun hat, ist die Himmelfahrt paradoxerweise mit den Füßen verbunden. Sie werden in den biblischen Berichten nicht erwähnt, aber sie spielen eine Rolle in der Kunst. Vielleicht inspiriert durch die sehr anschauliche Beschreibung der Himmelfahrt, wo wir hören, dass Jesus in den Himmel emporgehoben wird und in einer Wolke verschwindet, während die Jünger auf der Erde zurückbleiben und ihm nachschauen – mit ihren Füßen solide auf der Erde stehend. Im Chor des Doms von Roskilde befindet sich im Gestühl eine herrliche Holzskulptur, wo man diese Geschichte sieht. Die Jünger schauen verwundert nach oben, von Jesus sieht man nur den unteren Saum eines faltenreichen Gewandes und ein paar Füße, die herausragen.

Auf dem Ölberg in Jerusalem ließ die Mutter Kaiser Konstantins Helena an der Stelle eine Kirche errichten, wo man sagte, dass Jesus gen Himmel gefahren sei. Heute ist nur der Turm erhalten. Wie eine schlanke Rakete steht er da und zeigt nach oben zum Himmel. Und in einer kleinen Kapelle daneben sieht man zwei Fußabdrücke auf dem Boden, angeblich die Abdrücke, die Jesus dort hinterließ, als er absetzte. Eine imponierende Schuhgröße 56 scheint es zu sein, wohl zu groß für uns, um darin zu gehen!

Die Füße im Gestühl des Roskilder Doms und die Fußspuren in Jerusalem, die oft in der kirchlichen Kunst dargestellt werden, sind eine Weise, zum Ausdruck zu bringen, dass Jesus ein wirklicher Mensch war, der hier auf Erden wandelte.

Er hat mit seinen neugeborenen Zehen in der Krippe in Bethlehem gestrampelt. Er hat seine ersten Schritte in Nazareth getan, und als Erwachsener ist er kreuz und quer auf seinen nackten Füßen durch das Heilige Land gegangen. Die Füße signalisieren, dass Jesus ein Mensch war wie du und ich.

Die Füße sind das erste, was wir an einem Menschen bemerken. Wenn das Kind im Mutterleib heranwächst und die Mutter Leben spürt, sind es die Füße, die strampeln. Es sind auch die Füße, die man als Vater sehen und merken kann, wenn man die Hand auf den Bauch der Mutter legt. Und die Füße sind das letzte, auf das wir bei einem Menschen sehen. Wenn wir in der Kirche sitzen und einer unserer Lieben im Sarg liegt, dann liegt der Kopf an der Seite zum Altar, die Füße sind uns zugewandt. Wir können uns einander nähern und voneinander entfernen mit den Füßen. Unsere Gemütslage lässt sich an den Bewegungen der Füße ablesen, ob wir schleppend hinterhergehen, ob wir einen schweren oder einen leichten Gang auf Erden haben.

Wir denken vielleicht unmittelbar an die Füße als weniger bedeutende Körperteile. Der Apostel Paulus nennt, wenn er die Gemeinde mit einem Körper mit einem Leib mit vielen Gliedern vergleicht und die Bedeutung der Unterschiede hervorhebt, die Füße als die geringsten Glieder – und dennoch als einen unverzichtbaren Teil des Körpers.

Der niedrige Rang der Füße in der Zeit Jesu kommt auch darin zum Ausdruck, dass es als ein reiner Sklavendienst angesehen wurde, die Füße eines anderen zu waschen. Deshalb wurden die Jünger auch verwirrt und verlegen, als Jesus selbst am letzten Tag seines Lebens vor den Jüngern niederkniete und begann, ihre Füße zu waschen – als Vorbild für sie, als Zeichen für die Aufgabe, die er ihnen auferlegte, nicht über andere zu herrschen, sondern dass Menschen, die von Jesus inspiriert sind, einander dienen sollen, vor allem den Schwachen und Verachteten.

Die Jünger standen bei der Himmelfahrt Christi und sahen, wie seine Füße in der Wolke verschwanden. Sie sahen nur seine Füße, aber sie hatten mehr als die Füße, woran sie sich halten konnten. Sie hatten auch seine Fußspuren, die Spuren, die er in ihrem Sinn und Denken in all den Jahren hinterlassen hatte, in denen sie ihm gefolgt waren. Und wir können diesen Spuren folgen, die ihre Geschichte von Ihm in unserer Welt hinterlassen haben, in der Kultur, in unserem Denken, im Leben miteinander, in unserem Gefühl für das, was richtig ist und verkehrt.

Vor einigen Jahren kam es – jedenfalls in vieren kirchlichen Kreisen in Dänemark – zu großem Aufruhr und großer Empörung angesichts einer ungewöhnlichen Kombination von Jesus und Füßen. Es ging um eine Serie von Klipp-Klapp-Sandalen mit einem Bild von Jesus auf der Trittfläche – glaubte man. Bei näherem Hinsehen zeigte sich, dass es in Wirklichkeit ein Bild von einem der Jünger war, Judas Thaddäus. Der Produzent wurde von einem Mitglied der katholischen Gemeinde in Vordingborg angezeigt bei der Polizei, der der Auffassung war, Jesus werde verhöhnt, wenn man Sandalen mit seinem Bild verkaufen und mit diesen Sandalen herumlaufe. Manche fanden das blasphemisch und schrieben zornige Leserbriefe. Ein zwölfjähriges Mädchen kaufte ein Paar Sandalen und wunderte sich, als ihre Mutter ihr entrüstet verbot, mit diesen Sandalen zu gehen. So hatte das Mädchen das gar nicht gemeint. „Jesus ging doch auch mit Sandalen“ erklärte sie, und jetzt wollte sie nun also in seinen Fußspuren wandeln.

Das Evangelium des heutigen Tages konfrontiert uns mit denselben Fußspuren und fordert uns auf, ihnen zu folgen.

Jesus spricht zu den Jüngern und zu uns ein letztes Mal, ehe er uns verlässt und wir seine Füße in den Wolken verschwinden sehen. Er spricht von Unglauben und Hartherzigkeit – nicht bei anderen, sondern bei uns selbst. Das wussten die Jünger, zu denen er sprach, denn sie hatten selbst versagt und gezweifelt. Das würden sie nie vergessen können. Das ist eine der Fußspuren, die er in unsere Sinne und Herzen gelegt hat, eine Durchleuchtung unseres Lebens, so dass wir uns nie werden einbilden können, dass Unglauben und Hartherzigkeit etwas ist, das nichts mit uns selbst zu tun hat. Zugleich aber sendet er seine Jünger aus, zugleich werden wir ausgesandt. Nicht um dasselbe zu sagen und zu tun wie Jesus, sondern eben um in eigener Verantwortung in seinen Fußspuren – oder besser in denen von Judas Thaddäus und der anderen Jünger zu folgen. Jesus ist nicht mehr hier auf Erden in ganzer Figur. Wir sehen nur die Füße. Das ist ein schöner bildlicher Ausdruck dafür, dass das Evangelium, dass das Christentum, dass die Kirche uns hier kein fertiges Rezept für das wahre Menschenleben bietet, uns nicht mit fertigen Lösungen für die vielen Fragen und Entscheidungen des Daseins kommt. Denn das Leben ist allzu groß und beweglich, als das es mit fertigen Lösungen bewältigt werden könnte, die Liebe ist allzu lebendig, als dass sie in Systeme gepresst werden könnte. Es gibt keinen anderen Weg als dass man seine Augen und Ohren gebraucht und Aufmerksamkeit walten lässt.

Wir tragen die Verantwortung selbst und damit die Möglichkeit, dass wir hin und wieder falsche Entscheidungen treffen, wie die Riesin Skade in der nordischen Mythologie, als sie zwischen Göttern wählte.

Wir tragen alle selbst Verantwortung dafür, dass wir den Weg weitergehen, den Jesus begann. Uns ist die Aufgabe übertragen, das Evangelium mit hineinzubringen in unser Leben mit anderen Menschen, indem wir die Geschichte von ihm erzählen und Menschen in seinem Namen taufen, indem wir den Kampf gegen das Böse führen in uns selbst und in der Welt, indem wir uns der Kranken und Notleidenden annehmen.

Wir müssen das tun so gut wie möglich. In eigener Verantwortung. Mit den Füßen auf der Erde und der Liebe und Vergebung Gottes als der blaue Himmel über unseren sündigen Häuptern. Man muss nur beginnen. Viel Spaß bei der Arbeit! Amen.

Bischof Peter Fischer-Møller

Roskilde

Email: pfm(at)km.dk

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