Matthäus 20,1-16

Matthäus 20,1-16

Septuagesimae | 05.02.2023 | Mt 20,1-16 (dänische Perikopenordnung) | Leise Christensen |

In meinem alten Pfarramt bekam ich einmal einen neuen Kollegen in der Nachbargemeinde. Eine tüchtige jüngere Pastorin mit Mut zum Leben, zum Pfarramt und zur Konfirmandenarbeit. Ihre Konfirmanden sollten natürlich etwas zehn Mal in der Konfirmandenzeit in die Kirche gehen. Damit waren Kinder und Eltern einverstanden. Die Pastorin sollte dann kontrollieren, wer an welchen und wie vielen Gottesdiensten teilgenommen hatte. Da wurde angekreuzt und nachgezählt und notiert. Aber es erwies sich, dass die Pastorin die Kreuze etwas zufällig anbrachte. Es konnte geschehen, dass Anastasia dreie Kreuze erhielt, obwohl sie nie zu einem Gottesdienst in der Kirche gekommen war, während Victor, der schon vier Mal in der Kirche war, im Protokoll nur ein Kreuz erhielt. Thor war wütend, weil er jedenfalls sowohl bei einem Taufgottesdienst und bis zu fünf Mal einem Hauptgottesdienst gewesen war, aber dafür nur zwei Kreuze bekam. Emma dagegen war einmal in der Kirche gewesen und hatte schon fünf der versprochenen Kreuze bekommen. Damals gab es noch keine sozialen Medien. Kein Facebook, kein Twitter, kein Instagram. , und Shitstorm war etwas, was man mit den unerträglichen Wochen im März verband, wo die jauche aufs Feld gestreut wurde. Aber wenn man die moderne Bedeutung des Begriffs Shitstorm gekannt hätte, müsste man sagen, dass diese Pastorin einem veritablen Sturm dieser Art ausgesetzt worden wäre. Die Eltern waren wütend! Sie beschwerten sich. Hätten wir in der Kirche einen Papst gehabt, hätte man sich sicher auch an ihn gewandt. Oder gar den Ombudsmann. Was soll das! Emma hatte unverdient Kreuze erhalten, die eigentlich Victor verdient hätte. Und was mit Anastasia, die nie in der Kirche war, und jetzt konnte sie mit sage und schreibe drei Kreuzen prahlen. Die Mutter von Emma nahm an dem Sturm der Entrüstung gegen den Pastor nicht teil, den sie meinte eigentlich, dass Emma ein gutes Mädchen war, sie saß oft in der Halle beim Handball und dachte an die Kirche und die Kameraden dort, und das konnte doch genauso gut sein. Thors Vater erwog, ob man nicht einen Artikel in der Zeitung schreiben sollte, denn nun war die Moral völlig verkommen mit so einer betrügerischen und ungerechten Pastorin, die so tief ungerecht und unglaubwürdig war in seinen Ankreuzungen. Das war einfach nicht in Ordnung.

Der Elternrat der Klasse wurde einberufen, die Pastorin sollte erscheinen und sich vor der Versammlung für sein Fehlverhalten verantworten. So weit, so gut. Die Pastorin erschien, und ihr Beitrag bestand in der Lesung eines Evangeliums, nämlich des Evangeliums dieses sonntags. Der Pastorin ging es um ein pädagogisches Experiment, wo sie mit den Konfirmanden eine Diskussion über Gerechtigkeit anregen wollte und das, was man oft Betrug nennt. Das gelang in diesem Fall nur allzu gut. Es kehrte Ruhe ein in der Gemeinde, als sie bekannt gab, dass sie durchaus Kontrolle darüber hatte, wer wo und wann und wozu war, so dass die durchaus irdische Gerechtigkeit gegenüber Thor, Victor, Emma und die Anderen gewahrt wurde. Sie wollte nur zeigen, dass die Gerechtigkeit, wenn sie von Gott kommt, anders sein kann als die menschliche Gerechtigkeit.

Die Pastorin wollte mit anderen Worten das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg auslegen! Hmmm. Ja, das ist ein herrliches Gleichnis, wenn man gut und sicher in seiner Stellung sitzt, seinem Ort und seinem Zusammenhang. Man kann sehr wohl akzeptieren, dass die, die nur eine kurze Zeit gearbeitet haben, denselben Lohn haben sollen wie die, die seit dem frühen Morgen gearbeitet haben, wo es noch dunkel war. Denn der Besitzer des Weinbergs, d.h. Gott in dem Gleichnis, kann ja mit dem Lohn, den er seinen Arbeitern bezahlt, also uns, tun war er will. Das kann man sagen, wenn man so das ganze aus der Distanz betrachtet. Aber wie das die Geschichte von meiner Nachbarpastorin zeigt, ist es etwas schwieriger, dieses ungerechte System zu akzeptieren, wenn es mich oder die meinen so ganz persönlich berührt. Überhaupt sind wir wohl geneigt, uns mit den Arbeitern zu identifizieren, die schon früh angefangen haben. Ja, man wundert sich darüber, wer die Leute im Grunde sind, die, die erst spät kommen, denn man hört nichts von ihnen. Es sind die frühen Arbeiter, von denen wir immer hören. In dieser Situation haben wir das Gefühl, dass wir wirklich gegen etwas protestieren müssen. Wurde mir etwas vorenthalten, und wer ist schuld daran?

Nun kann man sagen, wenn das Gleichnis tatsächlich vom Arbeitsmarkt handelte, wäre es natürlich schlimm. Selbstverständlich ist es so, dass zwei Kassierer gleich bezahlt werden müssen – naja, so ist es ja draußen in der Wirklichkeit nicht. Und da kann man sehr wohl kritisch sein. Aber um die Frage, was auf dem Arbeitsmarkt oder in der Konfirmandenarbeit gerecht oder ungerecht ist, geht es in diesem Evangelium nicht. Es geht nicht um Betrug! Es geht um Gnade, es handelt von der Gnade. Man kann es auch die Mathematik des christlichen Glaubens oder der Liebe nennen. Für den christlichen Glauben oder in der Nächstenliebe ist es nicht notwendigerweise so, dass die Rechnung im traditionellen Sinne aufgeht. Hier ist es so, dass 1 gleich ist mit 99 – also mein verlorenes Schaf ist genauso viel wert wie 99 andere Schafe, die an ihrem Platz geblieben sind, oder wenn der Letzte der Erste werden soll, oder wenn 1 Denar gleich ist mit 12 Stunden Arbeit, und 1 Denar gleich mit einer Stunde Arbeit. Das geht mathematisch und tarifmäßig überhaupt nicht auf, aber in der Gnade geht es auf. Denn Gott ist nie kleinlich. Er ist gütig. Er sieht darauf, wer zuerst kommt und wer zuletzt zum Christenglauben und darauf, wie fleißig man gewesen ist mit seinem Christenleben. Er geht nicht und beschwert sich darüber, dass es mit diesem und jenem nicht so gut läuft, der dieses oder jenes nicht so und so getan hat. Er schüttet seine Liebe aus über alle Häupter, schorfig oder weniger schorfig, hart arbeitend oder weniger arbeitend. Das ist eben einfach so ungerecht! Aber wenn man in einem ehrlichen Augenblick zurückschaut auf sein Leben und vielleicht sogar einräumt, dass nicht immer zu den Arbeitern gehört hat, die schon früh beginnen, ja dann ist es in der Tat ganz beruhigend, dass Gott nicht ganz so kleinlich ist wie wir in seiner Mathematik über das Leben.

Gleich werden wir hier in der Kirche das Abendmahl feiern. Dort sieht man im Grunde deutlich, wie Gott seine Liebe und seine Gnade in Bezug auf die Menschen verwaltet. Wenn man zum Abendmahl geht, erhält man nicht einen Denar, also eine Münze, sondern man bekommt etwas Ähnliches, nämlich eine Oblate. Die bekommen alle Abendmahlsgäste. Es ist nicht so, dass die, die sich für mehr verdienstvoll halten als andere, drei Oblaten bekommen, während andere, nicht ganz so eifrige, zwei oder nur eine Oblate bekommen, ganz zu schweigen von gar keiner Oblate. Nein, alle bekommen eine, Große und Kleine, Junge und Alte, diejenigen, die zum ersten Mal am Abendmahl teilnehmen, und die, die schon hunderte Male dabei waren. Alle erhalten denselben Denar, denselben Lohn, dieselbe Oblate – ganz gleich ihrer Beweggründe, ihrer Muster und Vorstellungen von diesem oder jenem. Das ist für alle – alle erhalten eine Oblate, oder man könnte vielleicht sagen: Alle für einen, nämlich für und von Gott. Wenn es so ist beim Abendmahl, so deshalb, weil wir das Gleichnis Jesu von den Arbeitern im Weinberg gehört haben. Dann wissen wir, dass die zuletzt Angekommenen genauso viel auf dem Konto haben wie die Ersten. So ist es mit der Mathematik der Gnade. Am Tisch des Herren sind wir alle Arbeiter im Weinberg von Gottes Gnaden, wir sind alle Teile der Gemeinschaft, wir schmecken alle die Güte Gottes. Und da wird nicht etwas angekreuzt! Amen.

Pastorin Leise Christensen

DK 8200 Aarhus N

Email: lec(at)km.dk

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