Matthäus 20,20-28

Matthäus 20,20-28

13. Sonntag nach Trinitatis | 11.09.2022 | Mt 20,20-28 | Mikkel Wold |

20 Da trat zu ihm die Mutter der Söhne des Zebedäus mit ihren Söhnen, fiel vor ihm nieder und wollte ihn um etwas bitten. 21 Und er sprach zu ihr: Was willst du? Sie sprach zu ihm: Lass diese meine beiden Söhne sitzen in deinem Reich, einen zu deiner Rechten und den andern zu deiner Linken. 22 Aber Jesus antwortete und sprach: Ihr wisst nicht, was ihr bittet. Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinken werde? Sie sprachen zu ihm: Ja, das können wir. 23 Er sprach zu ihnen: Meinen Kelch werdet ihr zwar trinken, aber das Sitzen zu meiner Rechten und Linken zu geben steht mir nicht zu. Das wird denen zuteil, für die es bestimmt ist von meinem Vater. 24 Als das die Zehn hörten, wurden sie unwillig über die zwei Brüder. 25 Aber Jesus rief sie zu sich und sprach: Ihr wisst, dass die Herrscher ihre Völker niederhalten und die Mächtigen ihnen Gewalt antun. 26 So soll es nicht sein unter euch; sondern wer unter euch groß sein will, der sei euer Diener; 27 und wer unter euch der Erste sein will, der sei euer Knecht, 28 so wie der Menschensohn nicht gekommen ist, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und gebe sein Leben als Lösegeld für viele. (Lutherbibel 2017, Lk 20,20-28)

Wenn man denkt, in den Evangelien finde man keinen Humor, hat man das Evangelium dieses Sonntags wohl kaum gehört. Jedenfalls nicht, was den Anfang betrifft. Vor allem in Bezug auf so viel in unserer Zeit, wo es eine Art Volkssport zu sein scheint, sich selbst in einem positiveren Licht erscheinen zu lassen als es in Wirklichkeit ist. Bei einigen geht das schief, weil sie entdeckt und entlarvt werden, aber das passiert ja nur den besonders Gierigen und Übermütigen. Andere haben wohl damit Erfolg, dass sie sich so darstellen, dass ihr übertriebenes Selbstbild als authentisch erscheint.

   Und auch wenn die aufdringliche Mutter der Zebedäus-Söhne nicht dezidiert betrügt, so hat ihr Ehrgeiz für ihre Söhne dennoch keine Grenzen, und irgendein Sinn für gleiche Würde für alle Jünger steht ihr da nicht im Wege. Sie ist ja vielmehr über alle Maße aufdringlich. Davon erzählt das heutige Evangelium zunächst. Die Frau will ihr Söhne vordrängeln lassen zu den höchsten Plätzen im Himmelreich, von dem sie offenbar nicht viel versteht. Es kann deshalb nicht verwundern, dass Jesus sie fragt, was sie da eigentlich will. Die Frage deutet an, dass er ahnt, dass sie unschöne Absichten hat. Und die anderen Jünger sind sogleich nicht erfreut über den Versuch der Zebedäus-Familie, sich am Thron des Menschensohnes vorzudrängeln. Sie können sehr wohl sehen, worum es geht, nämlich um Macht. Die Macht als Ziel und deshalb als Ausdruck für einen krankhaften Zustand. Eben gegen diesen krankhaften Zustand wendet sich Jesus. Er sieht ihn in seinen Anfängen und belehrt seine Jünger darüber. Es ist schlimm genug, dass die Fürsten der Völker die Völker unterdrücken und dass die großen Leute ihre Macht missbrauchen, das kannte man sehr wohl in der Zeit Jesu. „So soll es aber nicht sein unter euch“, sagt Jesus. Weder bei den zwölf Jüngern noch in der Kirche Gottes auf Erden. Die Worte: „So soll es nicht sein unter euch“ sind ja nicht nur ein Satz, der sich auf ihre spezielle Situation bezieht. Wenn Jesus sagt: „Wer unter euch der Erste sein will, der sei euer Knecht“, dann denkt er an das Volk Gottes, dessen Beginn die Jünger sind und das später die Kirche sein wird.

   Wenn es einen Satz gibt, der den Wünschen und Sehnsüchten vieler im Wege steht, so ist es dieser Satz. Viele würden wünschen, dass Jesus das nie gesagt hätte. Dann könnte man vielleicht mit seinem Machtstreben durchkommen. Aber nun führt kein Weg vorbei an der Verurteilung der Gier nach Macht. Wo sie auch existieren möge in der Kirche auf der ganzen Erde und zu allen Zeiten, bei großen und kleinen Leuten. Zu allen Zeiten war da Grund genug, vor dieser Gefahr zu warnen. Hört einmal, was Gregor der Große Ende des sechsten Jahrhunderts schrieb in dem, was das erste Buch über Seelsorge war:

   „Keiner kann Demut lernen in einer hohen Position, wenn man nicht zuvor, während man in einer niedrigeren Position war, auf den Stolz verzichtet hat. Wer danach dürstete, in den Himmel gelobt zu werden, als er darauf verzichten musste, ist nicht fähig, der Versuchung zu entgehen, wenn sich die Chance bietet. Im Spiegel des vergangenen Lebens soll man sich selbst sorgsam prüfen …“.

   Gregor hatte ein wachsames Auge auf machtgierige Leute im kirchlichen Leben, und deshalb spricht er von der Demut, die nicht nur etwas Schönes ist, sondern etwas Notwendiges. Nicht eine Schein-Demut, die nur die Worte Jesu heute als etwas betrachtet, was schön klingt und gut aussieht, so wie wir ein Kunstwerk oder einen Sonnenuntergang betrachten, sondern etwas, was sich verwurzeln soll. Demut ist eine Haltung. Sie ist eine Bedingung dafür, Macht in rechter Weise auszuüben. Wer die Demut nicht gelernt hat, wird eine schlechte Autorität, wenn man ihm Macht gibt, sagt Gregor. Er sagt nicht, dass es nicht Personen geben muss, die Macht haben, denn wenn da niemand ist, der die Macht verwaltet, fällt die Macht nur denen zu, die die Macht selbst erobert haben, ohne ein Mandat dazu erhalten zu haben. Macht soll aber nicht ein Ziel sein, sondern ein Mittel. Und das lehrt uns die Demut. Demut ist jedoch nicht nur etwas, was für Machtstrukturen Bedeutung hat. Demut hat auch mit Erkenntnis zu tun. Die Demut gegenüber der Wahrheit bedeutet, dass mein Ziel, an einem Gespräch teilzunehmen, nicht dies ist, das Gespräch zu gewinnen, sondern herauszufinden, was wahr ist. Nur so wird ein Gespräch fruchtbar, weil es an der Wahrheit orientiert ist und nicht an der Frage, wer gewinnt. Einige Philosophen sprechen von dem machtfreien Gespräch. Das ist eine Seltenheit, aber wenn es sich einfindet, öffnet sich das Gespräch zu Tiefen, die man nicht hätte erreichen können, wenn es darum gegangen wäre zu gewinnen. Und da ist es eigentlich gleichgültig, ob das Gespräch in einem wissenschaftlichen Raum oder daheim in der Familie am Mittagstisch stattfindet. Wir kennen das ja sehr gut, dass wir an einem Gespräch teilnehmen, das dadurch misslingt, weil es in eine Diskussion verwandelt wird. Nur auf einer der Internetseiten der Zeitungen dieses Sonntags kann man einen kleinen Lehrgang darüber kaufen, wie man mit einigen rhetorischen Mitteln mehr überzeugend wirken und am Arbeitsplatz und Zuhause am Mittagstisch Diskussionen gewinnen kann. Das wird sicher Frucht bringen.

    Demut hat nichts zu tun mit Zurückhaltung, sie ist etwas viel Tieferes als das. Oft wird Demut in dem Sinne missverstanden, dass man sich alles gefallen lässt und seine Würde ignoriert. Aber das ist nicht Demut, sondern Demütigung. Demütigung bedeutet, dass man auf das Recht auf Respekt verzichtet und anderen erlaubt, einen zu verletzen. Das meint Jesus nicht, auch wenn er an andren Stellen davon spricht, dass man für den Glauben leiden können muss und für sein Zeugnis verhöhnt werden kann. Aber für seinen Glauben leiden bedeutet nicht, dass man sich ganz allgemein und in jeder Situation herumjagen lässt von denen, die so etwas gerne tun.

   Jesus spricht nicht von einem Akt der Selbstverleugnung, sondern davon, dass man Diener und Knecht sein soll: “Wer unter Euch der Erste sein will, der sei euer Knecht“. So wie der Menschensohn nicht gekommen ist, um sich dienen zu lassen, sondern um selbst zu dienen und sein Leben zu geben als Lösegeld für viele.

   In der Welt sieht das anders aus, denn dort geht es viel um Image und Performance und darum, dass man als mehr erscheint als man ist usw. Aber so wie in der Welt soll es unter euch nicht sein, sagt Jesus. Hier geht es nicht um Macht und Ehre, sondern um Liebe.

   So gesehen ist das ja sehr einfach. Die Liebe kann nicht zu Macht und Ehre führen, wohlgemerkt wenn es um die Liebe zu Gott und zu meinem Nächsten geht. Wo es nicht um eigene Macht und Ehre geht, bezieht sich die Liebe auf etwas außerhalb meiner selbst. Die Liebe bezieht sich auf die anderen und auf Gott. Indem wir uns an Gott wenden, finden wir das Fundament unseres Lebens. Damit wird unser Leben nicht in dem verwurzelt, was andere meinen, sondern darin, dass ich Gott gehöre und seine Barmherzigkeit zu mir jeden Tag neu ist. Ganz frei von der Einstellung anderer zu uns werden wir nie, denn wir sind noch immer Menschen, aber das Ziel ist klar vor unseren Augen. Wenn Paulus im heutigen Episteltext (1. Tim. 1,12-17) davon spricht, was für ihn das Grundlegendste ist, tut er dies in dieser Formulierung: „Aber mir ist Barmherzigkeit widerfahren … Es ist aber desto reicher geworden die Gnade unseres Herrn samt dem Glauben und der Liebe, die in Christus Jesus ist“. “Reicher geworden“ über alle Grenzen, auch denen, die meine Zweifel und meine Vorbehalte setzen, die durch meine Vergangenheit oder meine Gesinnung gesetzt sind oder was es nun sein mag. In diesem Licht bin ich ein Diener. Zugleich aber habe ich Teil an Christus selbst, und das ist meine Hoffnung und mein Leben. Das kommt vielfältig zum Ausdruck, vor allem zeigt sich das im Abendmahl, wo wir an dem Tisch teilhaben, wo er uns sich selbst gibt. Eigentlich ist das Abendmahl Ausdruck dafür, dass wir teilhaben an Christus, dass wir an dem Mahl teilnehmen, an dem auch Jesu eigene Jünger teilnahmen und wo er gegenwärtig ist. Und gerade beim Abendmahl haben wir alle den gleichen Anteil. Hier gibt es keine besonderen Plätze für hoch und tief, denn alle sind eingeladen. Amen.


Pstor Mikkel Wold

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