Matthäus 26,17-30

Matthäus 26,17-30

Gründonnerstag | 06.04.2023 | Mt 26,17-30 (dänische Perikopenordnung) | Marianne Christiansen |

Im Dunkeln sitzen sie und singen. Alle diese Menschen um den Tisch, die nicht von sich selber sagen können: „Ich weiß von mir selber, dass ich meinen Freud und Meister niemals verraten könnte. Niemals könnte ich das verleugnen, woran ich glaube“. Jeder einzelne muss fragen: „Das bin wohl nicht ich Herr?“ Alle diese Menschen, die gerne gut sein wollen, aber nichts ausrichten. Er sagt, sie sind rein, aber sie fühlen sich schmutzig. Er sagt, er wird sterben, sie wissen nicht, was sie glauben sollen – über ihn, über sich selbst. Und es ist finster, und sie haben Angst.

Und dann beginnen sie zu singen. Die Lieder, die man singen soll, weil ein Fest gefeiert wird. Es ist das Fest der ungesäuerten Brote, Ostern. Sie singen die alten Lieder aus den Schriften:

Halleluja!

Lobet den Namen des Herrn!

Gelobt sei der Name des Herrn

Von nun an bis in Ewigkeit!

Vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang

Sei gelobet der Name des Herrn.

Der Herr ist hoch über alle Völker;

Seine Herrlichkeit reicht, so weit der Himmel ist.

Wer ist wie der Herr, unser Gott,

der oben thront in der Höhe,

der niederschaut in die Tiefe,

auf Himmel und Erde;

der den Geringen aufrichtet aus dem Staube

und erhöht den Armen aus dem Schmutz. (Ps. 113,1-7)

Sie singen wie bei allen Osterfesten Loblieder. Sie singen Halleluja für die Geschichte von der Befreiung aus der Sklaverei in Ägypten, dem Auszug durch das Rote Meer. Jesus, der sterben wird, singt. Die Jünger, die verraten werden, singen mit. Judas, der verraten wird, singt mit. Sie singen dasselbe Lied und essen dasselbe Festmahl zum Gedächtnis an das, was einmal war. Sie singen von einer Hoffnung auf das, was kommen wird. Sie feiern das Fest in der sinnlosen Gegenwart. Das Fest erinnert sie an jemanden, der einst durch das Rote Meer kam, durch Leiden und Todeskampf hinaus in die Freiheit und das neue Leben.

Kann eine Freude darin liegen, die Freude anderer zu feiern, die Befreiung anderer, das, was schon lange her ist – wenn man selbst mit der Furcht dasitzt und auf dem Wege ist auf das nächtlich finstere Meer ohne einen Moses, der die Wasser scheidet?

„Halleluja – aus dem Staube erhöht er den Schwachen, aus dem Schmutz erhöht er den Armen“.

„Halleluja für den Tisch des Herrn, im Himmel jenseits und auf Erden“.[1]

Sie sangen. Wir singen von denen, die sangen, und singen weiter ihr Halleluja in unserer Sprache in unserer Zeit. Jeder von uns mitten in einem Leben von Freud und Leid mit dem Versagen, das andere kennen, und dem, das wir nur selbst bedauern, und mit Hoffnung und Erinnerungen, und immer ein Bewusstsein, eines Tages durch das rote Meer von Untergang und Tod zu müssen.

Halleluja.

Wo ist Gott abgeblieben? Was soll aus der Welt werden, was soll aus mir werden?

Gelobt sei der Name des Herrn.

Der Gesang und das Fest widersprechen der Wirklichkeit. Oder besser: Der Gesang und das Fest reden von der Wirklichkeit in einer anderen Weise, weil sie die Gegenwart zugleich in die Vergangenheit und in die Zukunft versetzen. So geschieht es auch für uns. Die Zeit vergeht, und es wird Weihnachten, und es wird Ostern. Wir bestimmen das nicht, es kommt. Ostern wird der erste Sonntag nach den dem ersten Vollmond nach dem Frühlingsbeginn, ob nun unser Leben in voller Blüte oder in Ruinen steht, das Fest kommt. Solange jemand die Geschichte weitererzählen will, solange jemand die Lieder singen und das Essen zubereiten will, kommt das Fest und feiert etwas, was einmal war – wer weiß, vielleicht kommt es auch, obwohl alle vergessen haben warum. Noch erinnern wir uns daran:

Die Befreiung aus der Sklaverei und den Menschen Jesus, der vom Osterfest in den Tod ging, aber am dritten Tag von den Toten auferstand. Schon wenn wir beginnen, von der Trauer zu singen, sind wir in der Melodie, die uns in die Freude führt. Während wir ein Lied singen, das vor vielen Jahren gedichtet wurde, nimmt es uns mit in die Zukunft.

Können wir darin sein? Teil einer Feier von etwas sein, was vor vielen Jahren geschah und was wir vielleicht gar nicht verstehen können? An Weihnachten spricht man davon, in die rechte Weihnachtsstimmung von Freude und Gemütlichkeit zu kommen. Zu Ostern ist das ganz unmöglich, denn keine Stimmung kann die Gegensätze von Ostern erfassen: Gemeinschaft und Einsamkeit, Liebe und Hass, Leiden und Tod und unbegreifliche Lebensfreude.

Wie können wir das fassen? Das können wir nicht, und das sollen wir nicht. An diesem einen Abend können wir ganz still um den Tisch sitzen und empfangen und singen und an dem Liebesmahl teilnehmen, ohne es zu verstehen. Das Fest lässt uns in dem sein, was wir nicht fassen können. Das gemeinsame Ostermahl Jesu mit den Jüngern, das wir jeden Sonntag Jahr für Jahr, jedes Menschenleben wiederholen, wenn wir Abendmahl feiern. Abendmahl ist ein eine abendliche Mahlzeit, das tägliche lebensnotwendige Fest.

„So brich denn aus in Freudenruf, du alter Glaube, du junge Hoffnung, und was nie altern wird, die ewig junge Liebe“.[2]

Es ist nicht zu entscheiden, ob wir es sind, die singen, oder ob es der Glaube, die Hoffnung und die Liebe sind, die in uns singen und uns durch das tragen, was wir nicht verstehen. Aber wir sind mit Leib und Stimme mit bei einem Gesang und einem Fest, das hier vor uns war und nach uns sein wird. Dabei haben wir teil an der Tischgemeinschaft mit ihm, der uns sich selbst gibt und singt, ehe er seinem Leiden entgegengeht. Wir sitzen mit ihm zu Tisch, der der Tode und der Auferstehung entgegengeht.

Wir, die lieben und verraten – Gutes tun und Böses, was wir nicht wollen.

Wir, die wir jeder an einer Schwäche zu tragen haben, einer Gier, einer Furcht, die uns dazu bereit sein lässt, das zu verraten, woran wir glauben: „Das bin wohl nicht ich, Herr“, der so etwas Dummes und Hässliches und Schreckliches tun könnte? Ja, das bin ich auch.

Und das ist das Mysterium des zugleich traurigen und frohen Festes: Als alle als Verräter und Verleugner offenbar werden, da nimmt er das Brot, dankt und gibt es ihnen und sich selbst. Judas und allen uns anderen, die auch Judas sein könnten. „Nehmet, esset … Trinket alle. Ich werde von nun an nicht mehr von diesem Gewächs des Weinstocks trinken bis an dem Tag, an dem ich aufs Neue davon trinken werde mit euch in meines Vaters Reich“.

Das bedeutet: Gerade jetzt will er den Wein zusammen mit ihnen, mit uns trinken – eben als den offenbaren Verrätern, die wir sind – und die Hoffnung auf das Fest einst im Reiche Gottes auf der anderen Seite des Roten Meeres teilen.

„Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort“, und jetzt sitzt das Wort am Tisch und singt. Unsere Stimmen sich mit seinem Gesang, ganz gleich wie brüchig sie sind oder ob sie zu Weinen und Flüstern werden. Er singt vor bei dem Gesang, der unsere Vergangenheit in das große Halleluja erhebt. Der Ostergesang hat begonnen. Amen.

Bischöfin Marianne Christiansen

Ribe Landevej 37
6100 Haderslev

Email: mch(at)km.dk

[1] Grundtvig, Dänisches Gesangbuch 466, V. 6.

[2] Grundtvig, Dänisches Gesangbuch 466, V. 8.

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