Matthäus 4, 1-11

Matthäus 4, 1-11

„Da wurde Jesus vom Geist in die Wüste geführt“ –
so beginnt die Geschichte dieses Sonntags.

Unmittelbar vorher hatte Jesus den Geist Gottes noch ganz anders erlebt.
Wie viele andere hatte er sich von Johannes am Jordan taufen lassen.
Da hatte sich der Himmel über ihm aufgetan. Und er hatte den Geist
Gottes wie eine Taube auf sich herabkommen sehen: liebenswert und unendlich
behutsam war er von Gottes Geist berührt worden mit der Botschaft: „Dies
ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe!“ In seiner
Person – so war deutlich geworden – berührt der Himmel die Erde;
er ist der erklärte Sohn, der Repräsentant Gottes auf Erden.

Nun sollte man erwarten, daß Jesus in die Geheimnisse der himmlischen
Welt eingeführt und von der Freude der Seligen durchdrungen wird.
Doch derselbe Geist führt ihn dahin, wo die Erde am bedrohlichsten
ist, in die Wüste. Die Menschen, die eben noch um ihn waren, voller
Bewunderung und Respekt – sie sind verschwunden. Jesus ist allein. Allein
mit seinem Leib, der Nahrung braucht und Flüssigkeit, Schutz vor
der sengenden Sonne und den nach Beute suchenden Tieren in der Nacht.
Allein mit seiner Seele, die sich nach Gott sehnt wie nach menschlicher
Gemeinschaft.
Da will der Geist Gottes ihn haben. Damit er sich ganz auf sich selbst
gestellt klar werden kann über den Auftrag, der ihm allein gilt.
Und stellen soll er sich dem, was diesen Auftrag durcheinanderbringen
und verkehren kann. Versucher, Satan, Teufel wird er genannt. Und wir
denken dabei unwillkürlich an eine unheimliche abstoßende
Gestalt, die den Menschen mit allen möglichen Tricks ins Verderben
ziehen will. Doch der Versucher, der Durcheinander- werfer – wie das
hier für den Teufel verwandte Wort wörtlich zu übersetzen
wäre – der, so zeigt sich, steckt in uns Menschen. Er steckte auch
in Jesus. Er will, wie es aussieht, nur unser Bestes. Und führt
dabei genau ins Gegenteil.
Woran wir ihn erkennen, was er zu unserem Schaden durcheinanderbringt,
wird an der Weise deutlich, wie er Jesus begegnet.

Zunächst meldet der Versucher sich in dem, was dem hungernden Jesus
in der Wüste am meisten fehlt: Brot, Nahrung, Sättigung. Was
ist da natürlicher als die Frage: Muß ich als Sohn Gottes
nicht vor allem anderen dafür sorgen, daß der Hunger der Menschen
gestillt wird? Aus Steinen Brot machen. Das meint mehr, als daß Jesus
sich im Handumdrehen etwas Nahrhaftes besorgen soll. Aus Steinen Brot
machen – das ist ein Regierungsprogramm, mit dem der Sohn Gottes voll
ausgelastet gewesen wäre: Dafür zu sorgen, daß die natürliche
Nahrungsgrundlage der Menschen systematisch erweitert wird. Aus Wüsten
Gärten machen. So viel Nahrungsmittel produzieren, bis alle satt
sind und für jeden da ist, was er und sie braucht und alle Bedürfnisse
befriedigt sind. Ist das nicht die Voraussetzung dafür, daß wahrhaft
menschliches Leben entsteht mit Zeit und Phantasie auch für Gott?
Jesus freilich kommt zu einem anderen Schluß: Der Mensch lebt nicht
vom Brot allein. Auch nicht für eine Zeit lang. Nach der Devise:
Erst kommt das Fressen, dann die Moral, die Religion, der Glaube an Gott.
Ebenso wichtig für den Menschen wie das Brot ist die Erfahrung,
von Anfang an geliebt und gewollt zu sein, angesprochen und beansprucht
zu werden. Wenn ein Mensch davon nichts mitbekommt, dann bleibt es beim
Fressen, und es wird nie etwas anderes daraus. Nahrung und die Erfahrung,
angesprochen und wertgeschätzt zu sein, sie gehören zusammen
und dürfen um Gottes Willen nicht durcheinander gebracht, nicht
gegeneinander ausgespielt werden. Etwa nach der umgekehrten Devise: Vergeßt
Eure Initiativen für Wärmestuben und Tafeln für die Armen
im eigenen Land. Vergeßt die Aktion BROT FÜR DIE WELT. Kümmert
euch statt dessen um Glaubenskampagnen und Evangelisationen. Damit hätte
der Versucher Jesu Hinweis auf die Gottesbedürftigkeit des Menschen
zum Zynismus verkehrt.
Die Bitte um das tägliche Brot und die offene Hand für die
Hungernden waren für Jesus an der Tagessordnung. Sie waren es aber
deshalb, weil Gottes Name, Gottes Reich, Gottes Wille am Anfang stehen
und über das hinaus, was wir täglich brauchen und einander
schuldig bleiben, erlösend zum Zuge kommen.

Doch mit dieser Feststellung ist Jesus den Versucher nicht los. Gut,
sagt der, wenn der Mensch wie das Brot auch Gott braucht, dann richte
dich als Sohn Gottes auch danach. Dann bring endlich handfeste Beweise
dafür, daß Gott auch da ist und man sich auf ihn verlassen
kann. Dann demonstriere doch mal in aller Öffentlichkeit, daß das
Gotteswort, von dem wir angeblich leben, auch hält, was es verspricht.
Etwa jenes bis heute so beliebte Wort: „Er wird seinen Engeln befehloen,
daß sie sie dich auf Händen tragen, damit du deinen Fuß nicht
an einen Stein stößt.“ Komm mit auf die Spitze des Tempels
und stürze dich hinab.
In der Tat, das wäre nicht ohne Wirkung geblieben, wenn Jesus gezeigt
hätte, daß rückhaltloses Gottvertrauen die Naturgesetze
außer Kraft zu setzen und einem aus der Höhe Stürzenden
zu unversehrter Landung zu verhelfen vermag.
Jesus aber durchschaut den so naheliegenden Wunsch nach unwiderlegbaren
Gottesbeweisen. Wer Gott mit außerordentlichen Aktionen beweisen
will, drängt ihn heraus aus dem alltäglichen Leben und legt
sein Wirken fest auf eine Art von Sonderwelt. Er fordert Gott dort heruas,
wo wir ihn gar nicht brauchen. „Warum – so fragt der unübertrefflich
nüchterne Martin Luther – sich herunterstürzen, wenn da eine
Treppe ist, auf der man ohne Gefahr heruntergehen kann?“
Wieder sagt Jesus entschieden Nein. Mit seinem auf die Nähe Gottes
vertrauenden Wirken hat er Menschen in erstaunlicher Weise helfen können,
gewiß. Aber nur da, wo sie sich von ihm ansprechen und aktivieren
ließen. Da kamen Lahme wieder in die Gänge, Blinden wurden
die Augen aufgetan, Aussätzige wurden rein, Besessene kamen wieder
zu Verstand. Das alles geschieht auch heute noch. Am eigenen Leib aber
hat Jesus nicht seine Unbesiegbarkeit, sondern seine Verletzbarkeit demonstriert.
Bis zum Tod am Kreuz. Damit wir uns daran halten können: Auch wo
alles am Ende ist, haben wir den lebendigen Gott vor uns.

Die letzte Versuchung für den sein Amt antretenden Gottessohn lag
darin, sich politische Macht übertragen zu lassen. Und sich dem
zu unterwerfen, was Macht und Herrschaft verleiht. Das war ja die landläufige
Erwartung an den, der im Namen Gottes als Messias, als Christus kommen
sollte: Mit unwiderstehlicher Gewalt würde er das Land von den heidnischen
Besatzern befreien und einen Staat errichten, wie Gott ihn haben will.
In der christlichen Kirche hat diese Versuchung sich als besonders wirksam
erwiesen. Seit dem vierten Jahrhundert bis zum Ende des Kaiserreiches
war die Kirche des Abendlandes fest verbunden mit weltlicher Herrschaft.
Und wenn wir uns inzwischen auch an die Trennung von Staat und Kirche
gewöhnt haben: Die Säkularisierung, die zunehmende Verweltlichung
aller Lebensbereiche wird fast überall als schmerzlicher Verlust
empfunden und beklagt. Kirchliche Feiertage, der Religionsunterricht
an den Schulen, der Sonntagsschutz – all das, was bisher für uns
selbstverständlich war, verliert zunehmend an staatlicher Verbindlichkeit.
Mit großer Zähigkeit versuchen wir, uns dagegen anzustemmen
und so viel wie möglich von der Partnerschaft von Staat und Kirche
so festzuhalten.
Jesus aber hat konsequent Nein gesagt zu der Versuchung, staatliche Gewalt
für die Sache des Reiches Gottes an Anspruch zu nehmen. Weil wir
Gottes Ehre antasten, wenn wir seinen Willen mit Machtpolitik durchzusetzen
versuchen.
Gottes Reich beginnt, wo die Liebe zu ihm groß wird, wo die Kleinen,
die Abgeschriebenen, die Verlierer aufgerichtet werden, wo die Starken
den Schwachen dienen. Staat läßt sich damit nicht machen.
Der ist da und hat seinen guten Sinn, solange er sich nicht an die Stelle
Gottes setzt und bedingungslose Loyalität fordert. Da werden die
Leute Jesu auf der Hut sein und Widerstand leisten und daran erinnern:
Du sollst Gott mehr gehorchen als den Menschen!

„Da verließ ihn der Teufel. Und siehe, da traten die Engel
zu ihm und dienten ihm.“
Gottes Engel sind da, wo der Mensch sich nicht an Gottes Stelle setzt,
sondern sich an seinem Platz von Gottes Willen leiten läßt.
Amen.

Superintendent Rudolf Rengstorf
Wilhadikirchhof 11
21682 Stade
e-mail: Rudolf.Rengstorf@evlka.de

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