Matthäus 9,18-26

Matthäus 9,18-26

Das Leben im Worte Jesu | Vorl. Sonntag des Kirchenjahres | Matthäus 9,18-26 (dänische Perikopenordnung) | Von Laura Lundager Jensen |

Wenn man in unsre Kirche in Osted in Dänemark geht – geht man über einen Grabstein aus dem Jahre 1621.

Er wurde als Grabstein für die 21-jährige Stine Olsdatter dort angebracht. Und am Ende der Inschrift auf diesem Grabstein steht: „Das Mädchen ist nicht tot – sie schläft“.

Wie man hören kann, ein Zitat aus dem Evangelium dieses Sonntags.

Aber der Stein in der Kirche erzählt ja eine andere Geschichte – hier kam kein Jesus vorbei und legte seine Hand auf sie, so dass die die Augen aufschlug von ihrem Schlaf. Hier haben sie bei ihr gesessen – man muss vermuten wie alle Eltern, die so einen Verlust erlebt haben. In Trauer und Schmerz haben sie geweint und dafür gebetet, dass der Tod nicht eine geliebte Tochter von ihnen nimmt. Dass der Tod nicht das Leben in ihren Augen ausgelöscht hat. Dass das Leben noch da sein durfte.

Wie alle, die das Evangelium heute gehört haben, hat man gedacht: Möge der liebe Gott sich auch unserer Trauer annehmen und den Tod ins Leben wenden! Und wie andere haben sie erlebt, dass das Gebet nicht erhört wurde. Dass der Tod ein für alle Mal unabwendbar war. Hatten gehört, dass das Evangelium mit seiner buchstäblichen Bedeutung zwar gehört wird, aber nicht ganz konkret in dem Leben erlebt wird, in das wir gestellt sind und aus dem wir existieren.

Als Beispiel für die wunderbare Macht Jesu ist das eine feine Geschichte, aber als eine Geschichte, die in unserem Leben Sinn machen soll, ist sie schwer zu verstehen.

Und dann machte sie trotzdem Sinn in Osted im 17. Jahrhundert – wie wir es auf dem Grabstein lesen können.

Und das macht sie auch für uns heute.

Weil sie an einer Hoffnung festhält. Die Auferstehungshoffnung, auf dem das ganze Christentum beruht. Die Hoffnung darauf, dass das Leben zwar zum Tod führt, aber zu einem Tod, der sich wie ein Schlaf zu einem neuen Leben öffnet, Eine Hoffnung, dass eine Lebensgemeinschaft nicht endet, weil der Tod eintrifft, sondern fortfährt und sich im Laufe der Zeit vollendet. Und auch deshalb geht das Leben weiter, in dem wir stehen.

Dass das Evangelium so gelesen werden soll, dafür gibt es einen Hinweis in der kleinen Geschichte, die kurz vor dem mirakulösen Erwachen des Mädchens erzählt wird.

Denn mitten in der Geschichte vom Tod der Tochter des Synagogenvorstehers hören wir eine andere Geschichte.

Das ist die Geschichte von einer Frau, die zwölf Jahre lang, also unendlich lange, an Blutungen gelitten hat. Das ist nicht nur eine gefährliche Krankheit für sie. Das ist eine katastrophale Lage, die bewirkt hat, dass sie als Frau zwölf Jahre lang unrein war – denn in der jüdischen Tradition, wie in vielen anderen Religionen, ist man unrein, wenn man seine Blutung hat. Man darf sich nicht in der Synagoge zeigen, man darf nicht bei seiner Familie sein oder in der Stadt sein. Man muss sich im Verborgenen aufhalten, sich weit weghalten.

Zwölf Jahre ist sie also kein Teil der Gemeinschaft gewesen.

Aber sie hat sich zwar ferngehalten, aber weg ist sie nicht. Und als sie Jesus sieht, sieht sie ihren Heiler, ihren Erlöser – „wenn ich nur sein Gewand berühre, so werde ich gesund“, denkt sie.

Deshalb begibt sie sich in die Menge, drängelt sich durch die Scharen, begibt sich in die Gemeinschaft, und Jesus merkt, dass sie ihn anrührt. „Wer hat mich angerührt“, fragt er, und die Leute um ihn herum müssen gelacht haben. „Herr, alle können dich berührt haben, wir sind so dicht gedrängt, dass wir einander schubsen. Viele haben dich berührt“.

„Ja, aber da war jemand, der mich anrührte“ – und die Frau meldete sich.  „Ja, ich habe dich angerührt“. Und die Schar um sie herum war erschrocken. Sie hat Jesus angerührt. Sie hat den Herrn selbst unrein gemacht.

Aber Jesus sagt: „Dein Glaube hat dir geholfen. Sei getrost.“

Diese Frau war von allem ausgeschlossen – tot für alle. Sie wurde von Jesus wieder einbezogen – sie, die bekannt war als unrein und unerwünscht, wurde als rein betrachtet, gelobt und gesegnet, um getrost ins Leben zurückzukehren.

Bevor wir also davon hören, dass das tote Mädchen wieder zum Leben erwacht, hören wir von der Verwandlung der Frau aus einer Ausgeschlossenheit aus der Gemeinschaft als jemand der für die Gemeinschaft tot ist, zu jemanden, der wieder in die Gemeinschaft aufgenommen wird.

Dazugehören und nicht ausgeschlossen werden.

Dieses Erlebnis bringen die Jünger mit, als sie in das Haus des Synagogenvorstehers kommen. Das Erlebnis eines Wunders, das sich zwar nicht mit einer Totenerweckung messen kann – sich aber sehr wohl damit vergleichen lässt.

Aber eigentlich gehört noch eine Erzählung dazu.

Denn wie viele andere Evangelien beginnt der Text recht abrupt.

„ – als Jesus dies mit ihnen redete“, beginnt es.  Vor dem Evangelium findet sich schon ein Gespräch – wo Jesus davon gesprochen hat, wie wichtig es ist, dass neuer Wein in neue Schläuche gefüllt werden soll, damit der Reifeprozess des Weins die alten Schläuche nicht sprengt und zerstört und der Wein ungenutzt verschüttet wird.

Das heutige Evangelium ist also in einen Zusammenhang gestellt, der im übertragenen Sinne davon handelt, dass diejenigen, die auf die Worte Jesu hören, das nicht nur für sich aufnehmen sollen und in das Leben einordnen sollen, wie es nun einmal passt. Die Worte Jesu verwandeln alles und machen alles neu. Mirakulös verwandeln sie alles. Wenn man also noch immer an die alten Regeln von rein und unrein glaubt. So wie wenn man noch immer an die jüdischen Regeln vom Sabbat und von der Beschneidung und von den Tischgemeinschaften glaubt. So wie wenn man nicht versteht, dass der Glaube an Jesus Glaube an das ewige Leben trotz des Todes ist. Dann hat man nichts verstanden.  Dann verlaufen die Worte wie der Wein im Sande.

So gesehen handelt das Evangelium in einer gewissen Weise davon, dass man wie die Frau mit den Blutungen Wagemut zeigt – es wagt, getrost zu sein im Glauben, es wagt, an die lebensverändernde Kraft in den Worten Jesu zu glauben. Es wagt, die Grenze dessen zu überschreiten, worauf man vertrauen kann, dass Gott den will, der voll und ganz zu ihm kommt.

Ja und Dank sagen zum Leben in den Worten Jesu – und das voll und ganz ausleben. Und es leben im Glauben daran, dass da trotz Einsamkeit, trotz der Gefahr, ausgeschlossen zu werden, trotz der vielen Ausflüchte und Vorbehalte der Vernunft auch für uns Platz ist in der Gemeinschaft. Und auch wenn das Leben sich gegen uns wendet. Wenn wir erleben, dass der, den wir lieben, nicht mehr da ist. Wenn wir erleben, dass der Fels, den wir für einen festen Grund unter uns hielten, plötzlich verschwindet.

Wie dies 1671 geschah – wie es heute geschieht.

Es zu wagen, die Hoffnung anzunehmen, dass Jesus gibt, was wir erbitten, wie er dem Synagogenvorsteher seine Tochter zurückgab und wie er der Frau wieder einen Platz im Leben und der Gemeinschaft gab. In der ihm eigenen Weise, so dass sich das Leben für uns öffnet, auch wenn es am finstersten aussieht.

Denn das ist die Hoffnung, auf dem das Leben beruht. Eine Hoffnung so stark, dass wir wieder in die Gemeinschaft einbezogen werden. Und auch wenn der Tod in diese Gemeinschaft eingebrochen ist, ist die Hoffnung dennoch lebendig. Die Hoffnung darauf, dass der Tod nicht das Letzte ist, sondern dass wir ihn sehen müssen als einen Schlaf, aus dem wir einmal aufwachen – so wie wir jeden Morgen aufwachen zu neuen Möglichkeiten und neuen Freuden.

In der Hoffnung erhalten wir das Leben wieder. Eine Hoffnung, die man nicht in alten gebrauchten Weinschläuchen einschließen kann, sondern die eine ganz neue Sicht von Sinn und Wahrheit erfordert. Eine Hoffnung, die eine Brücke zwischen Leben und Tod baut.

Heute wird das Band des Wortes auf uns gelegt, wenn dies gesagt wird: Steh auf und gehe getrost ins Leben. Das darfst du gerne. Amen.

Pastorin Laura Lundager Jensen
Langetoften 1, Osted
DK-4320 Lejre
E-mail: luje(at)kp.dk

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