Musik …

Musik …

Musik –ein Klangraum für das Göttliche | 2.5.21 | Ezechiel 36,26-28; Apostelgeschichte 9,1-18; Johannes 16,5-15 (dänische Perikopenordnung) | verfasst von Christiane Gammeltoft-Hansen |

Predigt zu einem Musikgottesdienst

Da wird ein Geist kommen, schreibt der Evangelist Johannes, der Geist der Wahrheit.

Derr Geist der Wahrheit kommt nicht mit einer neuen Botschaft und stiftet auch nicht einen neuen Bund zwischen Gott und Menschen. Was er sagt, das ist das, was er gehört hat. Er gibt die Wahrheit wieder, eine alte Wahrheit, die jedoch nicht zu alt ist, ihr gehört auch die Zukunft.

Da war so viel, was die Leute nicht begriffen, und so vieles, wo sie irrten damals, als das Christentum neu war. Es gibt noch so viel, was wir nicht begreifen und wo wir uns irren. Es ist noch immer notwendig, dass wir auf den Weg gebracht werden, dass uns von Gott und Menschen erzählt wird. Dabei kommt uns der Geist zu Hilfe.

Der Geist kommt an. Das bedeutet, dass da mehr ist, als wir uns selbst sagen können. Wir empfangen etwas von außen. Zugleich aber ist der Geist etwas in uns. Er verwandelt Herzen aus Stein in Herzen aus Fleisch. Er macht uns lebendig, zu Menschen aus Fleisch und Blut. Und er macht Worte lebendig, so dass sie das hervorbringen, was sie sagen, und wir hören die Worte direkt an uns gerichtet. Du bist es, dem der Segen, die Gerechtigkeit und die Vergebung gelten.

Seit seiner Ankunft weht der Geist, wo er will. Nirgends ist er fremd. Er verweist auf die größere Bedeutung des Lebens und lädt uns mit ein in das Deutungsuniversum des Glaubens. Und auch wenn er nicht mit einer neuen Wahrheit kommt, kann es hin und wieder so sein, als werde einem das ganze Evangelium neu geschenkt, wenn der Geist es lebendig macht. Das ist wie eine Landschaft, die beim Sonnenaufgang aus dem Dunkel und der Konturlosigkeit heraustritt und Form und Farben erhält. Oder wie eine Selbstverständlichkeit, etwas, was wir kaum bemerken, was aber durch das Wirken des Geistes plötzlich ganz deutlich und frisch wird und unsere Sinne und unser Verstehen neu erweckt.

Der Geist weht, wohin er will. Hier unten auf Erden ist es jedoch, als habe er seine eigenen Lieblings-Freiräume. Oder auch ist es umgekehrt – wir haben unsere Lieblings-Freiräume, Orte wo wir tief durchatmen, uns öffnen und die Ohren spitzen – und dann mehr bereit und offen für den Geist sind.

In sich selbst sind die Buchstaben nichts, aber wenn der Dichter sie zusammensetzt, können sie die Augen wieder für das Leben öffnen. In sich selbst sind die Striche nichts, aber zusammen mit dem Pinselstrich des Künstlers können sie eine Landschaft zum Leben erwecken. Die Worte des Dichters, die Bilder des Künstlers – das sind Freiräume. So kann auch die Musik ein Freiraum sein.

„Manchmal habe ich das Gefühl, dass ich nicht ich selbst bin, sondern ein offenes Rohr, durch das ein Strom von Musik läuft, den milde starke Kräfte in einer gewissen seligen Schwingung bewegen“. So beschreibt ein Komponist sich selbst und seine Musik. Er sieht sich selbst mehr als Empfänger denn als Schöpfer. Er gibt etwas weiter, was er empfangen hat.

Der Komponist ist der Däne Carl Nielsen. Carl Nielsen hat sowohl einfache volkstümliche Melodien als auch große symphonische Werke komponiert. Er war ein Spielmann, zugleich aber hat er auch die Musik veredelt in großartigen komplexen Kompositionen.

Die seine Musik studiert haben, haben ihn einen Erneurer genannt. Aber selbst beschreibt er sich als einen Gehilfen. Er ist gerade nicht Schöpfer neuer Musik. Er ist ein offenes Rohr, ein Mittel für milde starke Kräfte. Wollte man ihn Bahnbrecher nennen, wäre er das deshalb in dem Sinne, dass er dabei behilflich ist, dass etwas Neues hervorbricht. Etwas, was nicht als solches neu ist. Er offenbart, was schon verborgen da ist.

Man braucht kein Komponist zu sein, um das wiederzuerkennen. Auch der Hörende und Suchende kann hier mit dabei sein. Jedenfalls können das Hören und Singen einer neuen Melodie, die einen im Inneren besonders bewegt, so erlebt werden, dass man etwas hört und singt, was man wiedererkennt. Die Melodie ist neu, und doch ist es, als hätten wir sie schon einmal gehört, ja vielleicht schon immer gekannt. Und auch gibt es Melodien, die man immer wieder singen kann, ohne dass man mit ihnen fertig wird. Die Melodien können viele hundert Jahre alt sein, und doch sind sie nicht veraltet. Sie hören sich so frisch an, als wären sie von heute und nicht aus ferner Vergangenheit. Sie erlösen eine unbewusste Sehnsucht danach, diese Töne zu singen, wie sie gerade so zusammengesetzt sind.

Carl Nielsen kann eine Symphonie einleiten, als handele es sich um einen musikalischen Big Bang. Aber das wäre dann ein Big bang, der von anderen Kräften als ihm selbst bewirkt ist. Und mehr Big Bang ist das denn auch nicht, als die Musik ein Licht anzündet, das erhellt, was schon ist, die Landschaft, wie wir sie kennen, und die Hoffnung, mit der wir leben. Das ist eine Orchestrierung von Gefühlen und Temperamenten, die wohlbekannt sind. Und das ist ein Klangraum für das Göttliche.

Die Geschichte des Geistes verbindet sich mit der Geschichte des Menschen, und sie tut das in einem Maße, dass es von außen so aussehen kann, als bestimme sie die Richtung für den Komponisten. Ganz so wie ein Mann, der auf dem Wege nach Damaskus war, vom Heiligen Geist erfüllt wurde und von da an aus einem Verfolger zu einem Verkündiger wurde – der Apostel Paulus, dessen Worte durch Jahrhunderte in den christlichen Gemeinden gehört wurden – auch heute bei uns.

Wie eine Fuge schlägt der Geist den Ton an, der dann weitergegeben wird. Der Geist erzählt, was er gehört hat. Der Apostel erzählt, was er gehört hat. Der Spielmann spielt, was er gehört hat. Das Thema der Fuge ist die Wirklichkeit Gottes. Jede Stimme stellt das Thema in neuen Variationen vor, spielerisch, deutend, klingend, treu gegenüber dem Ausgangspunkt. Manchmal entfaltet es sich und wird großartig, manchmal auch erdnah und unmittelbar. Der Freiraum kann sich so plötzlich einfinden in einer einfachen volkstümlichen Melodie, so wie er auch in großen Kompositionen erfahren werden kann oder dort, wo man ansonsten mit ganz anderen Dingen beschäftigt ist. Vielleicht liegt darin auch eine Schule des Geistes, dass im Einfachen und im Alltag auch das große mitschwingt – und umgekehrt.

Einst kam der Geist in die Welt. Die Fuge begann. Auch in dieser Zeit schwingt er in ihr mit. Amen.

Pastorin Christiane Gammeltoft-Hansen

DK-2000 Frederiksberg

E-mail: cgh(at)km.dk

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