Philipper 3

Philipper 3

Liebe Gemeinde unseres Herren Jesus Christus,

wie gut ist es zu erfahren, daß der Glaube lebt und eine wirkliche
Kraft im Leben von Menschen ist. Besonders in der Zeit, in der wir im
Moment leben, wo die ganze Welt auf dem Kopf steht und erschüttert
wird durch Terrorismus und Todesangst, ist es gut, irgendwo einen Ort
zu haben, wo man ruhig und beschützt vor Anker gehen kann, einen
Ort wo man spürt, daß es noch mehr Menschen gibt, die sich
tragen lassen von der Liebe Gottes. Ich kann mir vorstellen, daß
Ihnen so etwas im Moment schwer fällt. Vielleicht haben Sie die
Aussicht auf diese Liebe durch alles, was in der Welt geschah, in den
vergangenen Wochen völlig verloren. Aber das heißt noch nicht,
daß der Herr selbst aus der Welt verschwunden ist oder Ihr Herz
verlassen hat. Um seine Anwesenheit zu erfahren, sind wir zusammen gekommen
und werden wir zusammen kommen. Sonntag für Sonntag. Das mag im
Licht des Bösen, das die Welt verschlingt, vielleicht als ganz
unbedeutend erscheinen und trotzdem ist es wichtig. Denn unser Zusammensein
berührt die Liebe Gottes in der Welt, deckt die empfindliche Seite
des heiligen Geistes in deinem Herz auf von unter den Schutthaufen des
Bösen.

Levi der Zöllner. Man sieht ihn sitzen vor seinem Zollhäuschen.
Er wartet auf Menschen die zu ihm kommen um ihren Zoll zu bezahlen.
Das heißt mit Wucherzinsen und Wuchergewinn. Und so macht sich
Levi verhaßt bei seinen Zeitgenossen. Er wartet nur vor seinem
Zollhäuschen, das Geld kommt zu ihm ohne Mühe, ohne Leistung
seinerseits. Das ist doch kein aktives oder kreatives Leben, das Levi
lebt. Und die Menschen, denen er begegnet, sind alle schlechter Laune
und böse auf ihn. Der Levi kümmert sich nicht um das Wohl
von Menschen. Liebe? Was ist denn das? Die Witwe, der Waise, der Fremdling,
eben die Leute die der Gott Israels liebt, weil sie keine Rechte haben
und auch kein Geld, müssen bei Levi alles bezahlen und noch mehr.
Levi aus dem Stamm der Leviten, der Tempelpriester, ist von seinen Wurzeln
weit entfremdet. Bei ihm ist nichts mehr zu spüren vom alten Glauben
der Väter, von der Liebe Gottes, die Menschen sanft und kreativ
macht, die Menschen antreibt, um den Nächsten wieder auf die Beine
zu helfen. Das aktive Leben des Tempeldienstes hat sich bei Levi geändert
in ein passives Sitzen auf einem Stühlchen, warten auf Einkünfte
ohne Anstrengung. Und um den Kontrast noch größer zu machen,
beschreibt Markus eine aufgeregte Menge Menschen, die alle begeistert
Jesus nachfolgen, während Levi nichts anders macht als auf seinem
Stuhl zu sitzen. Levi ist kein Priester mehr. Levi ist Zöllner
geworden und der Herr ruft ihn.

Dann, sagt Micha, werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre
Spieße zu Rebmessern verschmieden … und sie werden nicht mehr
den Krieg erlernen. Das Schlüsselwort hier ist verschmieden. Irgend
etwas wird geschehen – Gott weiß was – wodurch Menschen sich ändern
werden. Sie werden mit den selben Materialen andere Sachen machen. Sie
werden im Alltagsleben dem Herr dienen und sie werden das gute Leben
genießen, das Gott ihnen geben wird. Jedermann wird unter seinem
Weinstock und unter seinem Feigenbaum sitzen, und niemand wird ihn stören.
Das ist ein ganz anderes Sitzen als das Sitzen Levis. Bei Micha bedeutet
Sitzen Entspannung, süße Ruhe nach tüchtiger Arbeit,
bedeutet Gott danken für alles Gute, das er uns im Leben schenkt
und das man mit anderen teilen darf. Levi hat diese Ruhe noch nicht
verdient. Die Dankbarkeit und die Liebe sind aus seinem Leben verschwunden.
Und er, gerade er, wird gerufen, um die Liebe Gottes zu erfahren und
dadurch zu verändern, um aufzustehen und aktiv zu werden, damit
er schließlich auch Michas Ruhe erfahren und teilen kann mit andern.
Jesus sagt: folge mir. Und er stand auf und folgte ihm. So träge
und inaktiv er normalerweise ist, so schnell und lebendig reagiert Levi
auf die Stimme Jesu. Ohne einen einzigen Moment nachzudenken steht er
auf und folgt dem Herrn. Wie ist das möglich? Was ist passiert?

Es ist bei Levi eine empfindliche Seite angerührt worden, die
zwar tief in ihm verborgen, aber nicht verschwunden ist. Warum ist dieser
Sproß aus dem Priestergeschlecht vom Diener des allerhöchsten
Gottes entartet in einen Ausbeuter seines Nächsten und Diener seiner
eigenen Interessen? Ich stelle mir vor, daß Levi sich kritisch
umgesehen hat in seiner eigenen Familie, deren Mitglieder so tätig
im Tempel herum spazierten. Die Priester seiner Zeit kümmerten
sich auch mehr um sich selbst, ihren eigenen Komfort und um ihre Macht
als um das Wohl der Armen, der Witwen, der Waisen. Wenn das Jahwehglauben
ist, wird Levi gedacht haben, dann reicht es mir. Ich habe die Schnauze
voll. Laß mich lieber Zöllner werden dann weiß jeder,
was er von mir erwarten kann. Und enttäuscht wendet sich Levi ab
von Verstellung und Heuchelei. Er wird hart und erbittert, ein unangenehmer
Mensch auf einem miesen Stühlchen, passiv, ekelhaft.

Für mich liegt hier der Grund warum Levi, ohne nachzudenken und
direkt, auf die Stimme Jesu reagiert und sofort in Bewegung kommt. Hier
ist einer, der nicht heuchelt. Hier ist einer, der wirklich den Willen
des Gottes Israels tut, der das Reich Gottes – worüber die Väter,
die Propheten, die Schriften so oft reden – zu den Menschen bringt.
Er schickt dich nicht mit großen persönlichen Opfern zum
Tempel. Nein, ganz im Gegenteil, er opfert sich selbst und bietet dir
die Liebe Gottes an – umsonst. So hatte der Gott Israels das gemeint.
So ist er gewesen für Ruth, David, Rachab, die Witwe von Safad
und so hat er so viele in der Marge wieder auf die Beine gestellt. Und
nun ruft dieser Mann aus Nazareth ihn, Levi, den verhaßten Zöllner,
ausrangiert aus dem gesellschaftlichen Leben, gemieden wie die Pest.
Er wird gerufen, um wieder mitzumachen. Auch für ihn gibt es einen
neuen Beginn. Das kennt Levi, der Priestersohn, als die wahre Botschaft
der heiligen Schrift und darauf reagiert er impulsiv, ohne nachzudenken.
Die empfindliche Seite ist angerührt und für jeden hörbar
zum Klingen gebracht.

Man würde sagen, daß Paulus, der als aktiver Arbeiter im
Dienst des Evangeliums an die Philipper schreibt, genau auf der anderen
Seite steht als der passive Levi auf seinem Stuhl. In einem Kommentar
von Johannes Calvin las ich aber, daß das nicht so ist und daß
Paulus sich neben Levi stellt. Und dann geht es nicht darum, daß
Paulus sich selbst auch noch nicht als vollkommen sieht, sondern um
den kleinen Satz, worin er sagt: „ich jage aber darnach, daß
ich das auch ergreife, wofür ich von Christus ergriffen worden
bin“. Calvin meint, daß Paulus versucht zu verstehen, was
der Herr durchgemacht hat, um sich so mit seinem Tod und seiner Auferstehung
zu vereinigen. Aber um den Tod Jesu wirklich verstehen zu können,
müßte man das ganze Mysterium vom Bösen verstehen, und
gerade das ist für uns Menschen ein bißchen zu viel. Levi
hatte schon einiges verstanden, und Paulus fühlt mit ihm Verwandtschaft
in dieser Hinsicht, wie er das mit den Philippern fühlt. Und so
steht er auch neben uns, wenn wir erschüttert werden von einstürzenden
Wolkenkratzern und mondialer Kriegsrhetorik. Das Böse hat immer
tiefere Schichten, deren wir uns noch nicht bewußt waren und die
schwieriger zu bekämpfen sind als wir je gedacht hatten. Und dieses
Böse mit seinen vielen unergründlichen unverstehbaren Schichten
hat Jesus zertrümmert am Kreuz. Erfolg: der Tod. Folge: Aufstand
Gottes, indem er neues Leben schenkt. Und wie Paulus auch sagt: wo das
Böse zunimmt, da nimmt die Gnade noch mehr zu. Das Böse mag
ein unverstehbares und nicht zu kontrollierendes Mysterium sein, und
denken Sie darüber bitte nicht leichtsinnig: die Gnade ist das
auch, aber stärker als jedes Böse, das sich je manifestieren
kann. Laß dich dann rufen von dieser Gnade, laß dein ganzes
Wesen voll werden mit dem Geist Gottes und du wirst geborgen sein in
den Armen des Herrn, was auch geschehen mag. Bleib nicht stehen, vergiß,
was da hinten ist und beweg dich in der Richtung des Reiches Gottes.
Dort ist ein Frieden, den der Verstand nicht fassen kann – wo Völker
einander lieben und sich gegenseitig bereichern und segnen. Natürlich,
so weit sind wir noch nicht. Michas Traum ist noch immer ein Bild der
Zukunft, aber wenn wir uns dafür öffnen, dann hat diese Liebe
auch in unserer Zeit eine Chance. Und darum ist es so wichtig, daß
wir als Gemeinde Christi – wie klein und unbedeutend auch – zusammen
kommen, um die Gnade, die alles Böse überwindet, zu erfahren
und zu teilen mit jedem, der sie empfangen will.

Kurz und gut: wie stark die Enttäuschungen oder die Kritik auch
sein mögen – und in kirchlichen und religiösen Kreisen sind
sie immer besonders kräftig, weil die Ideale dort so hoch gestellt
werden – wie weit der Gott des Himmels und Erden aus deinem Alltag verschwunden
sein mag, Gott hat dich nicht vergessen. Die empfindliche Saite mag
tief verschüttet sein – Schutt, gebrochener Stahl, verlorene Sicherheit,
Angst vor einem dritten Weltkrieg, das alles beeinträchtigt die
Andacht, wie kann es auch anders in dieser Zeit – aber die empfindliche
Saite ist trotzdem noch immer da und wird mit ein bißchen Raum
wieder die schönste Klänge produzieren. Bei unserem Herrn
und Gott ist immer ein neuer Beginn möglich. Ja er ruft uns immer
wieder, alles, was wir nicht mehr brauchen, über Bord zu setzen
und zu leben wie er will. Das heißt: einfach sein und dankbar
für alles Gute, was er uns im Leben schenkt und gerade das mit
anderen zu teilen. Andern geben, was man selber bekommen hat, einen
Ehrenplatz bewahren für die outcasts – so kommt die Liebe Gottes,
das Friedensreich zu den Menschen.

Dabei ist wichtig: Erstens, daß man ehrlich und authentisch ist.
Das heißt, daß man ist, wer man ist, so wie der Herr dich
ganz persönlich kennt, weil er dich so gemacht hat. Es hat gar
keinen Sinn, sich anders oder mehr oder weniger darzustellen als man
wirklich ist, denn die Leute spüren das ohnehin. Es gibt da auch
noch so etwas wie die unbewußte Kommunikation, mit der man einander
versteht, empfindliche Saiten sieht, ohne ein Wort zu sagen. Sei dankbar
dafür, denn der Herr will dich einsetzen, so wie du bist in seiner
Gemeinde. Auch ist es gar nicht wichtig, wie alt oder wie jung man ist.
In der Gemeinde Christi sind wir alle wertvoll und dürfen alle
unseren eigenen Beitrag geben. Milieu, Familie, Beruf, Bankkonto, noch
so einige Daten haben in der Gemeinde Christi keinen Wert. Jeder, der
den Willen meines Vaters tut, sagt Jesus, ist mein Bruder, meine Schwester,
meine Mutter. Und als letztes das wichtigste: der Lohn der Liebesarbeit
ist … Liebe. Darum viel Spaß in der Gemeinde Christi und bedenke
dabei, daß viele Hände die Arbeit leicht und angenehm machen.
Und die Liebe wird wachsen, denn darum geht es im Reich Gottes. Ich
glaube, daß das die am besten geeignete Antwort auf Terrorismus
und Todesangst ist. Richte dich danach aus, verlaß dich darauf,
lebe da hin. Und du wirst schon heute den Frieden erfahren, den der
Verstand nicht fassen kann. Amen.

Dr. Jan Christian Vaessen, Groningen, Niederlande
E-Mail: jcvaessen@wxs.nl

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