Joh 12,23-33

Joh 12,23-33

4. Sonntag vor der Passionszeit | Johannes 12,23-33 (dänische Perikopenordnung) | verfasst von Mikkel Tode Raahauge |

Es gibt, so denke ich, eine Reihe von Dingen im Leben eines jeden Menschen, zu denen man sich irgendwie nur schwer verhalten kann. Das gilt natürlich den Dingen, die mehr oder weniger individueller Art sind, z.B. das Verhältnis zu unseren Eltern oder andere wichtige Beziehungen, zu unserem Körper, zu Alkohol, Sex, zu Geld oder was es nun sein mag. Die meisten von uns werden sicher an irgendetwas denken, was wir nicht näher betrachten wollen – einfach weil man ahnt, wenn man das tut, dann ist die Gefahr groß, dass man genötigt ist, sowohl sich selbst als auch sein ganzes Dasein in einem neuen Licht zu sehen. Und wenn man daran denkt, was für große Konsequenzen das haben kann, dann ist es in vielen Fällen am leichtesten – vielleicht auch am sichersten, es nur beiseite zu schieben, es liegen zu lassen und damit zu leben, wie man sagt.

Das gilt für Dinge, die mehr oder wenig er individuell sind, in der Tat, aber ich glaube auch, dass dies einigen von den Dingen gilt, die zwar ganz tief persönlich erlebt werden, aber zugleich ganz allgemein sind. Und hier denke ich besonders an zwei Dinge: Einmal an das Verhältnis zu unserer eigenen Fehlbarkeit und Unzulänglichkeit, im Großen und Ganzen das, was wir hier in der Kirche Sünde nennen, nämlich die bittere Erkenntnis, die jeder Mensch für sich macht, dass ich das Gute, was ich will, nicht tue, und dass Böse tue, was ich nicht will. Nur wenig kann einem so kalt über den Rücken laufen als dies, wenn man an alle die Male denkt, wo man selbstbezogen seine Zeit oder seine Worte gebraucht oder vergeudet hat, indem man einem anderen Menschen mehr oder weniger bewusst wehgetan hat. Deshalb ist es ja so schwer, sich nur mit einer kleinen Bemerkung zu entschuldigen, und dafür so leicht, irgendwelche Erklärungen zu finden oder seine Verfehlungen einfach totzuschweigen.

Vor allem aber, so denke ich, gibt es eine Sache, mit der wir alle uns am liebsten nicht zu sehr beschäftigen. Etwas, was kein Mensch – ganz gleich wie fromm und gut man ist – leicht wegsteckt. Eine Sache, die die meisten von uns unmittelbar betrifft, und vor der man sich aus gutem Grund fürchten muss, nämlich der Umstand, dass wir sterben müssen.

Es gibt zwar Leute, die behaupten, das sie sich nicht vor dem Tode fürchten – wir sind hier in der Kirche vielleicht in der Tat besonders geneigt zu glauben, dass wir mit dieser Frage im Klaren sind – aber ich muss gestehen, dass es mir schwer fällt, daran zu glauben. Natürlich gibt es Leute, die meinen, dass der Tod die natürlichste Sache der Welt ist. Menschen werden geboren, und Menschen sterben, ganz wie Pflanzen und alles andere auf Erden, was lebt, und der Tod kann so auf eine Art medizinisches Faktum reduziert werden. Aber dieses Denken setzt eben voraus, dass man dabei den Menschen selbst auf ein Stück Natur reduziert., eine Sammlung von Atomen, eine neutrale Maschine, die sich durch Zeit und Raum bewegt ohne Ziel und Sinn. Dieses Denken ist inhuman im eigentlichen Sinn des Wortes, und auch wenn es noch so verlockend sein kann – denn dann geht mich der Tod ja nichts an – dann ist die Wirklichkeit immerhin doch eine andere.

Dasselbe können wir nun hierzu sagen: Man sich unter Verweis auf Gott und sich selbst oder andere einbilden, der Tod sei gleichsam abgesagt – das ist er aber nicht, und verharrt man dennoch in dieser Illusion, wird man sicher eines Besseren belehrt. Aber alles in allem glaube ich, dass das etwas ganz Grundlegendes ist und übrigens sehr verständlich, wenn wir so gerne den Tod entdramatisieren. Ich glaube – insoweit ich selbst diesen Mechanismus einigermaßen gut kenne – das es darum geht, dass wir den Gedanken an den Tod nicht ertragen können und deshalb um alles in der Welt versuchen uns über ihn zu erheben oder die Macht über ihn zu gewinnen, so dass er irgendwie unschädlich gemacht wird und das Leben damit auch etwas mehr ungefährlich und sicher wird, wo wir die abgehobenen und unantastbaren Herren sind.

Das meint unser Herr Christus, wenn er davon spricht, dass man sein Leben liebt – und dass der, der dies tut, früher oder später schlimm enttäuscht wird und es verliert. Denn wenn der Tod zu uns kommt und das Seine fordert, dann erweist er sich nie als ein neutrales oder unwesentliches Ereignis. Er kommt immer als eine brutale Trennung von all dem, was wir lieben, und all denen, die wir lieben – ganz gleich ob das nun unser eigener Tod ist oder der Tod eines anderen. Er kommt über uns als eine unerträgliche Wirklichkeit, die einen Schatten über unser Leben wirft, als Fürst dieser Welt, der unsere Träume zerstört, unsere Herzen bricht und unsere Zukunft stiehlt, ohne irgendetwas zurückzulassen – leider.

Aber nun heute ruft eine Stimme vom Himmel, und sie gilt uns. Es erklingt eine Botschaft, dass Gott seinen Namen verherrlicht hat und ihn wieder verherrlichen wird. Das ist eine Verkündigung davon, dass dies überhaupt der Grund ist, dass Gott Mensch geworden ist, nämlich um den Fürsten dieser Welt zu verjagen und alle Menschen an sich zu ziehen. Denn in ihm, der nun freiwillig sein Leiden und seinen Tod auf sich nimmt, im Mann am Kreuz, in ihm bezahlt Gott selbst für alle unsere Übertretungen, damit wir wieder die Schultern senken und den Blick erheben können. In ihm geht Gott selbst hinein in unseren Tod, um sein Leben mit uns zu teilen und damit zu zeigen, dass die Liebe Gottes zu uns wie ein Weizenkorn ist, das dreißig-, sechzig-, hundert-, millionen- und milliardenfach trägt, weil es jedem Menschen gegenüber unterstreicht: Dort wo unsere Zukunft endet, da beginnt die Zukunft Gottes.

Das alles bedeutet nun nicht, dass unser Verhältnis zum Leben und zum Tod wie durch einen Zauber verändert ist. Es bedeutet nicht, dass wir notwendigerweise besser imstand sind, unserer tatsächlichen Lage ins Auge zu sehen. Aber es bedeutet: Wenn wir in unserem Leben die Verwundbarkeit, die Ohnmacht und den Tod erfahren, die es enthält, wenn wir unser Leben in dieser Welt hassen und einsehen müssen, dass wir nicht unsere eigenen Herren sein können – dann können wir auf den Gekreuzigten als unseren Herren  sehen und unser Leben in ihm lieben, weil wir in ihm sehen können, dass Gott es zuerst geliebt hat. Und dann können wir vielleicht etwas von der Zuversicht spüren, das Leben zu leben, wie es ist, und den Tod zu sterben, der einmal unser Tod sein wird – im Vertrauen darauf, dass wir niemals uns selbst überlassen sein werden, sondern dass Gott uns mit Jesus Christus in seiner Liebe eine lebendige Hoffnung und eine offene Zukunft gegeben hat. Denn so hat der Vater den Sohn erhöht, damit er mit seinem Tod und seiner Auferstehung und erhöhen wird. Amen.

Pastor Mikkel Tode Raahauge

Skovshoved, DK 2930 Klampenborg

Email: mitr(at) km.dk

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