Markus 9,14-29

Markus 9,14-29

Reminiszere | 13.3.22 | Mk 9,14-29 (Perikopenordnung DK) | Leise Christensen |

Es geht heute um Gebet und Glauben, den Glauben daran, dass das Unglaubliche geschehen kann durch Gebet. Ich denke da in der Predigtvorbereitung an ein Spannungsfeld zwischen Glauben und Gebet und was das ist, was im Gebet geschieht. Denn denken wir so: Wenn wir nur genug glauben und beten, kann alles passieren? Verschwindet das Corona-Virus dann, so dass wir uns wieder frei bewegen können? Endet der Krieg in der Ukraine, wenn wir nur genug glauben? So denken wir wohl kaum. Ich jedenfalls nicht. Ich bin mit zwei Nachbarkindern aufgewachsen, einem Jungen und einem Mädchen, die beide viel für mich bedeuteten. Wir gingen in dieselbe Klasse und blieben zusammen bis zum Abitur, und dann auch an der Universität. Das sind Freundschaften, die noch heute existieren. Aber wie das in den meisten Lebensläufen so ist, geschah auch anderes im Laufe der Zeit. Das Mädchen war streng religiös erzogen und hat damit lange gelebt, aber als sie 30 wurde, nahm sie davon resolut Abstand. Der Junge wurde zu der Zeit ernsthaft krank und musste mit dem Tod rechnen, überwand aber schließlich die Krankheit, einigermaßen jedenfalls. Aber während seiner Krankheit sagte die Mutter des Mädchens, die den Jungen natürlich auch sehr gut kannte und mochte, dass das Mädchen für ihn beten solle, damit er wieder gesund würde. Und das Mädchen, dass mitten in einer Auseinandersetzung mit der Religion des Elternhauses war, fragte voller Verachtung, ob die Mutter wirklich daran glaube, dass die Gesundheit und das Leben des Jungen von den Gebeten irgendeiner Person abhängen.

Seht, das ist im Grunde der Kern des Gebets und des Verhältnisses des Menschen zum Gebet. Nützt es überhaupt, und warum nützt es nur manchmal, aber nicht immer? Warum konnten die Jünger im heutigen Evangelium nicht das, was Jesus konnte, nämlich den Jungen von seiner Epilepsie heilen? Glaubten sie nicht genug? Beteten sie nicht genug? Die meisten haben wohl erlebt, dass sie nicht erhört wurden, „nicht genug getan“ und damit erlebt haben, dass absolut nichts in der Richtung dessen passiert ist, worum sie baten und woran sie glaubten, dass sie mit leeren Händen dastanden. Die Misere entstand wohl, weil wir Menschen eine Tendenz haben, den lieben Gott mit dem Weihnachtsmann zu verwechseln, der uns unsere Wünsche erfüllt. Unsere spätmoderne Gesellschaft, wie sie heute aussieht, passt nicht zum Wesen des Gebets. Da gibt es einiges, was den Gedanken an das Gebet erschwert. Erstens, dass es zu viele Menschen in unserer Gesellschaft gibt, die viel beschäftigt sind  und überhaupt nicht erkennen wollen, dass man in eine Lage kommen kann, wo man Hilfe braucht – nicht nur vom Nachbarn, um das neue Sofa hereinzutragen, sondern im existenziellen Sinne, dass das Leben wehtut, dass das Leben leer und oberflächlich wirken kann, dass man geistig in eine Weise im Stich gelassen ist, die bewirkt, dass der Wunsch zu beten schockierend groß wird und dass dies zudem förderlich ist, wenn da nicht eine Tradition und ein Handelsmuster wären, die man aus früheren Lebensabschnitten kennt. Ja, das kann schockierend wirken für einen Menschen, auf das Gebet angewiesen zu sein, also etwas Immaterielles, dessen Wirkung man nicht sicher kennt. Dann lieber eine Pille nehmen und etwas Alkohol. Zweitens leben wir in einer Gesellschaft, die ständig eine Rhetorik gegenüber Religion und religiösen Ausdrucksformen hat, wo so etwas wie Gebet lächerlich gemacht wird – ehrlich gesagt, was nützt Beten eigentlich? Ist das nicht ein Weihnachtmann, einen Trosthappen, den wir da an den Pforten des Himmels angebracht haben? Und hat der in sich selbst ruhende Mensch, Redakteur seines eigenen Lebens, überhaupt das Bedürfnis zu beten? Kann man nicht bloß sagen wie gewohnt, „dafür arbeiten wir“, oder „das wird schon gut gehen“, oder „darum wird sich der Arzt kümmern“, und andere Ausdrücke, die auf der Annahme beruhen, dass der Mensch damit schon fertig wird, wenn man es nur will und genug dafür arbeitet. Ich glaube aber, dass die Wahrheit des Gebets irgendwo liegt zwischen der Mutter meiner Freundin, die glaubte, dass unser gemeinsamer Freund durch das Gebet meiner Freundin wieder gesund werden könnte, und dann der platten Ablehnung des Gebets als einer rein kindlichen Trostveranstaltung. Es ist klar, wenn nicht anders so aus der Erfahrung, dass das Gebet nicht dasselbe ist wie ein Bestellzettel, den man an ein Warenhaus schickt. Aber das ist nicht das Wesen des Gebets. Nicht überraschend kommt das Gebet oft zur Sprache, wenn die Not am größten ist, und das ist sie bekanntlich oft bei Krankheit, der eigenen Krankheit oder Krankheit in der Familie, in diesem Fall des Kindes.

Es gibt einen Autor, der darüber nachgedacht hat. Der englische Autor C.S. Lewis – Verfasser der Narnia-Bücher – heiratete in einem späten Alter eine amerikanische Frau, die er sehr liebte. Sie hatten nur ganz wenige Jahre zusammen, denn sie erkrankte an Knochenkrebs und starb nach einer Zeit an der schweren Krankheit. Lewis betete für sie, für die Heilung der Krankheit, für Leben, Segen und frohe Tage – so wie die Jünger für den kranken Jungen beteten. Aber sie starb. Da wurde ihm deutlich, schreibt er in seinem Tagebuch, dass das Gebet nicht Gott verändert, sondern den Menschen. Das kann, wie Lewis sagt, auf verschiedene Weise verstanden werden, so wie das Wesen des Gebets verschieden verstanden werden kann. Eine der Einsichten, zu denen Lewis gelang und die, wie ich glaube, sehr wichtig sind, ist die, dass das Gebet ihn veränderte. Aus einem Menschen, der hoffte, die Macht zu haben, das Unabwendbare zu verändern, wurde er zu einem Menschen, der der Wirklichkeit ins Auge sieht und der im Angesicht dieser Wirklichkeit sowohl seine Ohnmacht als auch sein Vertrauen zu Gott bekannte: „Ich glaube, hilf meinem Unglauben“. Die Veränderung, die das Gebet bewirkt, liegt hier darin, dass dem Menschen die Möglichkeit eröffnet wird, die Situation zu ertragen, die unerträglich und unmöglich erschien. Das Gebet veränderte den Menschen, veränderte C.S. Lewis. Aber dahin zu kommen, ist ein schwerer Prozess – dort erfuhr Lewis, was viele von uns erfahren müssen.

Gebet ist in diesem Sinne so etwas wie ein existentieller Atem, der ein Timeout vom Alltag und von den zuweilen schweren Situationen gewährt. Gebet ist die Motion der Seele. Ja aber, wird man nun vielleicht fragen, hilft es dann nicht konkret zu beten, also wenn das nur eine Art existentielles Ventil ist? Das Gebet ist der Atem des christlichen Glaubens, hier können wir uns im Leben neu orientieren, Gebet ist Reorientierung. Es ist neuer Lebensweg. Aber Gebet ist auch Erhörung – eine Stätte der Begegnung mit Jesus. Es ist auch ein Ort, wo wir in unserer Ohnmacht und vielleicht unserem Unglauben gehört werden. Der Horizont Gottes ist ein anderer als der des Menschen, auch wenn wir glauben, dass wir das alles von hier aus überschauen können, wo wir stehen. Ich glaube, dass das eine Erfahrung ist, die die meisten Menschen machen, nämlich dass die Lösung eines Problems sich als ganz anderes erweist als das, was man geglaubt hatte, worum man gebeten hatte und was man vorausgesetzt hatte. Erhörung ist auch, etwas anderes zu hören, das ist auch, dass sich eine geschlossene Tür öffnet. Etwas anderes wird gegeben. Gebet ist ein Ort, wo man seine unüberwindbar großen Sorgen und tiefe Trauer hinlegen kann, ein Ort, wo man sagt: „Ich kann nicht mehr, du kannst für mich, Gott. Ich glaube, Gott, hilf meinem Unglauben“.

Was meine Freundin und meinen Freund betrifft, ja so wurde der junge Mann, der nun wie ich schon ziemlich alt ist, halbwegs gesund. Ich habe die Sache seitdem mit ihm und unserer gemeinsamen Freundin diskutiert, auch die Diskussion – oder besser den Streit – zwischen ihr und ihrer Mutter über Gebet und Fürbitte. Wie das zusammenhängt, können wir nicht wissen, aber eine andere Seite vom Wesen des Gebets, jedenfalls der Fürbitte, dass man also für das Wohl und die Gesundheit eines anderen Menschen betet, ist dies, dass das dem notleidenden Menschen Stärke und Dankbarkeit schenkt.  Unser Freund war bewegt darüber, dass jemand für ihn betet – auch als er das selbst nicht mehr konnte und die Hoffnung verloren hatte. Letztlich will Jesus für uns beten, wenn wir es nicht mehr können. Ganz allein in der Not sind wir nie. Mitten im Lärm der Welt gibt es nicht viel, was feststeht, aber einiges steht fest. Wenige Dinge sind unveränderlich: Das Wesen und die Möglichkeit des Gebets, die Kraft und Gnade der taufe und der unveränderliche Wille Gottes, uns Menschen mit seiner Liebe zu erreichen. Das hat der Vater im heutigen Evangelium erlebt, als er in seinem Unglauben glaubte. Amen.

Sognepræst Leise Christensen

DK 8200 Aarhus N

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