Matthäus 26,36-46

Matthäus 26,36-46

Silent Gethsemane? | Reminiszere | 13.03.22 | Predigt zu Mt 26,36-46 | von Anna Lerch |

Silence – schweigende Stille!

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Welcher Klang ertönt, wenn die Welt verstummt? Im Schatten der Nacht hören die Vögel auf zu singen. Menschen sprechen, ohne etwas auszusagen. Die fernen Umrisse der Stadt schweigen lauthals. Menschen hören, ohne auf das Gehörte zu achten – Und die Freunde Jesu schlafen ein. Schweigende Stille. Ohnmächtige Leere. Verwunschener Garten. „Weltverstummung“ lautet eine aktuelle Diagnose unserer Zeit.[1] Der moderne Mensch, will sich Alles und Jeden verfügbar machen. Alles will er besitzen, vermessen, ergründen, beherrschen, steuern, erfassen, durchdringen und habhaft werden! Doch die Welt, die Dinge und Begegnungen denen er habhaft werden will, verstummen unter diesem Zugriff auf eigentümliche Weise. Zärtliche Berührung, wahre Verbindung und befreiende Umwandlung bleiben aus. Eine grenzenlos verfügbar gemachte Welt verunmöglicht Resonanz. Nichts spricht mehr, alles verstummt. Nichts berührt mehr, alles schweigt. – In dieser „Weltverstummung» ist nur noch der Klang der Stille zu vernehmen: „Hello darkness, my old friend I’ve come to talk with you again.»[2] Schweigende Stille. Ohnmächtige Leere. Verwunschener Garten. Vielleicht machen sich in der Stille eigene Ängste, Hoffnungen, Sehnsüchte bemerkbar. Ja, welche Stimmen sprechen in uns, wenn die Welt verstummt? Welche Zweifel und Ängste hegen wir im Verborgenen?

Äußerste Herzensangst treibt Jesus an den Rand der Stadt zum Garten Gethsemane. Zuvor aß er mit den Jüngern das letzte Abendmahl, sprach von seinem bevorstehenden Leiden und Verrat. Gemeinsam gehen sie am Abend in den Garten. Die Freunde werden gebeten zu wachen und zu beten. Die Nacht ist schwarz die Stunde dunkel. Allein dringt Jesus weiter in den Garten, tiefer in die Nacht vor. Was wird in ihm laut? – Jesus wendet sich an Gott: Er verstummt nicht. Sein Gebet zerreißt die Ohnmacht und die Macht der Nacht! Einer unter Freunden kann nicht schlafen. Ein einzelner Mensch ist wach. Er findet in alten Worten, in Versen der Psalmen – die Menschen tausend Jahre vor ihm und tausende Jahre nach ihm beten – halt. „Meine Seele ist zu Tode betrübt“ (V 38). – „Meine Seele ist zu Tode betrübt“, das sind Worte die Jesus aus den Psalmen borgt (vgl. Ps 42,6.12; 43,5)! Worte die Menschen schon vor ihm an Gott gerichtet haben. Er legt seine Ängste, Hoffnungen und Sehnsüchte in Worte, die tragen. Die festgeschrieben die Zeiten überdauern und durch unzählige Hände überliefert wurden. Und wir erleben so etwas auch heute: Worte von anderen Menschen, geborgte Gebete und geliehene Lieder, schenken Verbundenheit über Raum und Zeit hinweg. Wir erfahren dies, wenn Menschen in diesen Tagen vor dem Berliner Tor Friedenslieder singen wie Sag mir wo die Blumen sind, Imagines oder Heal the World. Oder wenn wir gemeinsam mit all jenen in den Luftschutzbunkern, Zügen und Bussen ins Vater Unser einstimmen.

Während alles um Jesus verstummt und in seligem Schlaf schlummert, hält die Schöpfung den Atem an. Jesus zweifelt und klagt: Er betet. Seine Seele ist tief gebeugt, die Schwere des Lebens wirft ihn zu Boden. Jesus ist zaghaft und ängstlich, so lesen wir es bei Matthäus (V 37). Er ringt mit sich und mit Gott. Er will ausbrechen, sich verweigern. Nichts wissen von Kreuz, Auferstehung und Heilsplan! In einem Garten – Eden – wurde der Mensch geschaffen zur Gemeinschaft: „Es ist nicht gut das der Mensch allein ist.“ In einem Garten – in Gethsemane – droht ein einzelner zu verzweifeln. Mehrfach hastet er zu seinen Freunden nur um festzustellen, wie unbehelligt und tief diese schlafen. In einer seiner schwersten Stunden, wird die Bitte an die Freunde mit ihm zu wachen, ihn im Gebet zu unterstützen, nicht gehört. Seine Bitte verhallt im Dickicht des Gartens und prallt an den glatten Stadtmauern ab. Seine Bitte bleibt unerhört. Trotz physischer Nähe erfährt sich ein Mensch isoliert: Die Staatengesellschaft macht sich rar, Nächste schlafen ein und halten sich bedeckt. Die eigenen Interessen gehen vor: Selbst will man ja weiterhin ruhig träumen können. Wer will schon von Explosionen, Bombeneinschläge oder Fliegeralarm aus dem Schlaf gerissen zu werden? – Bei Jesus ist keine Spur von apathischer Gleichgültigkeit und kein kaltes Achselzucken über das von Gott zugedachte Leiden zu finden! Jesus verkörpert ehrliches Menschsein, das mit seinem Gott ringt! Er hadert mit seiner eigenen Geschichte, der von Gott zugedachten Biographie. Jesus ist traurig und mutlos, so lesen wir es bei Matthäus (V 37). Die Menschlichkeit Jesu tritt uns kaum irgendwo klarer vor Augen als hier: Jesus zittert am ganzen Körper und ist auch innerlich bewegt. Sein eigenes Schicksal lässt ihn nicht kalt. Aber Jesus verstummt nicht. Er wendet sich an Gott: Sein Gebet zerreißt die Ohnmacht und die Macht der Nacht!

Und Gott? Schweigt Gott etwa in Gethsemane? [3] – Gott lässt sich berühren und bleibt doch in seiner Antwort frei. „Gott lässt sich im Gebet erreichen.“[4] Der biblische Gott ist kein deterministisches Schicksal, sondern frei seine Entschlüsse zu ändern (Vgl. 2 Kön 20,1-10; Jer 18,5-11; Jon 3,1f). Gebet ist jedoch kein magisches oder alchemistisches Geschehen, dass die gewünschte Antwort Gottes durch Manipulation herbeizaubert. Vielmehr ist Gebet Begegnung die berührt und transformiert. Gott ist ein lebendiges Gegenüber das zuhört und sich so erreichen und anrühren lässt. – Und kennen wir nicht den Wunsch nach Verschonung, danach unversehrt durchs Leben zu schreiten, für uns selbst oder doch für unsere Kinder, die Täuflinge. Jesus erstes Gebet drückt diesen Wunsch aus: „Mein Vater, wenn es möglich ist, so gehe dieser Kelch (Anklage, Leiden, Folter und Tod) an mir vorüber. Doch nicht wie ich will, sondern wie du willst.“ (V 39). Das ist eine radikale Vertrauensaussage. Dies kann Jesus nur im Wissen darum beten, dass Gottes Wille kein böser, weltzerstörender oder gleichgültiger Wille ist. Gottes Wille ist wie der Wille der eines führsorglichen Vaters und einer zärtlichen Mutter. Jesus betet „Mein Vater“ und stellt seine Bitte unter den Vorbehalt dieses guten Willen Gottes.

Und auch Jesus lässt sich in Gethsemane berühren. Dreimal wendet er sich im Gebet an Gott. Jesus geht transformiert – „anverwandelt“[5] – aus dem Garten. Gethsemane hat ihn verändert. Der zu Boden-Geworfene schreitet aufrecht. Der Verzweifelte spricht klar. Der Ängstliche hat Mut gefasst. Etwas hat sich im Gebet ereignet. Denn noch immer schreitet Jesus Leid und Verrat entgegen. Noch immer stehen Kreuz und Tod bevor. Jesus wurde im Garten angerührt: Eine „verwandelnde Kraft“ lässt in aufrecht gehen, klar sprechen und Mut fassen. Dunkle Gleichgültigkeit wird durchbrochen. Liebende Zuwendung vertreibt die Kälte der Nacht und die Unfähigkeit zu Verstehen. Gethsemane kann also als Resonanz-Geschichte gelesen werden, als Ort wo sich das Unverfügbare, wo sich Gott, bahn bricht. Von außen kaum sichtbar, kaum hörbar! So markiert der Evangelist Lukas diesen bewegenden und transformierenden Resonanz-Moment mit einem Engel. Denn anders als bei Matthäus wird Jesus bei Lukas von einem Engel gestärkt (Lk 22,43). Als sichtbare Antwort auf das Gebet Jesu erscheint ein Engel um ihm im Gebetskampf, im Ringen um die eigene Zukunft, beizustehen! Lukas spürt, dass sich in der Stille des nächtlichen Gebets etwas ereignet haben muss. Er macht durch den Engel lediglich sichtbar, was im Dunkel der Nacht geschah! Denn die Stimme Gottes trägt oft einen unsichtbaren Klang und einen unhörbaren Glanz. – Ob mit oder ohne Engel: In Gethsemane findet Jesus die Kraft wieder aufzustehen: Sich den Freunden, dem Leben und der Zukunft zuzuwenden! Oder anders Ausgedrückt: Ihm wurde „verändernde Kraft“ geschenkt.

Vertrauen wir nicht genau darauf? Für unser Leben, das Leben unserer Kinder und unsere Täuflinge? Darauf, dass die Liebe und Treue Gottes sich immer wieder Bahn bricht. Dass Gott zärtliche Berührung, wahre Verbindung und befreiende Umwandlung schenkt. Ja, dass da Engel sind die beschützen, tragen und begleiten. Sicht und hörbar oder im Verborgenen. Dass Gott es ist, der die Verzweifelte wieder aufrichtet und den Ängstlichen neuen Mut fassen lässt. Und dass selbst da wo wir am Boden liegen, Gott Momente der Begegnung und Transformation schenkt. Sei dies still und leise, oder in Gestalt eines Engels. Ja, wir dürfen darauf vertrauen, dass Gottes Liebe zu uns niemals vergeht (vgl. 1.Kor 13,8)! Und dass Gott uns seine Engel schicken wird, um uns zu behüten, auf allen unseren Wegen (vgl. Ps 91.11).

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, wird eure Herzen und Sinne in Christus Jesus bewahren. Amen

Anna Lerch

Zürich

E-Mail: anna.lerch@ref-staefa-hombrechtikon.ch

Anna Lerch, geb. 1992, Vikarin in Stäfa-Hombrechtikon, Evangelisch-reformierten Kirche Zürich (Schweiz).

Setting der Predigt: Zwischen Predigtlesung (Mt 26,36-46) und Predigt wird das Lied „Sound of Silence“ (Simon & Garfunkel) vom Gospelchor Stäfa gesungen. Darauf und auch auf die Taufsprüche der beiden Täuflinge (1.Kor 13,8 und Ps 91,11) wird in der Predigt Bezug genommen.

Liedvorschläge:

„Sound of Silence“ (Simon & Garfunkel)

“Heal the World” (Michael Jackson)

 

Fürbitten:

People talking without speaking

People hearing without listening

People writing songs that voices never share

No one dared[6]

 

Gott, Du bist ein Gott der hört

Du wendest Dich uns liebevoll zu

Du sprichst uns als Geliebte an

Und Dich kümmerts

Gott hilf uns immer wieder ein offenes Ohr für Menschen und ihre Nöte zu haben. Hilf, dass wir das Essenzielle nicht überhören! Schenk uns Ohren die wirklich zuhören und sich nicht vor den Klagen dieser Welt verschließen.

Gott lass uns Menschen werden, die Worte des Trostes sprechen und nicht bloß leer daher plappern. Hilf uns, dass wir nicht abstumpfen vor den Herausforderungen der Zeit. Hilf uns, uns wahrlich und über längere Zeit den Notleidenden zuwenden, in Wort und Tat.

Und wir bitten dich nicht nur für uns, sondern für die Welt: Wir bitten dich, dass Herrscher und Befehlshaber nicht gleichgültig das Leben und Sterben von tausenden von Menschen – Zivilisten oder nicht – in Kauf nehmen. Wir bitten ganz besonders für die Machthaber in der Ukraine und Russland, aber auch in Syrien und Afghanistan. Schenke den Entscheidungsträgern Weisheit und den Mut Richtung Frieden zu gehen!

Gott, sei bei Journalisten und Journalistinnen. Stärke ihre Stimmen, schütze sie vor Repression und Zensur. Schenke ihnen die Kraft und den Mut immer wieder über Unrecht Bericht zu erstatten. Hilf ihnen, dass sie nicht mundtot gemacht werden.

Gott du siehst Hunderttausende sind auf der Flucht, allein aus der Ukraine. Gott du kennst den Namen jedes einzelnen Menschen. Du siehst diese einschneidende Erfahrung von Verunsicherung, Angst und Verlust. Stehe allen Menschen auf der Flucht, allen Verfolgten aufgrund ihres Glaubens, politischen Einstellungen oder aufgrund kriegerischer Auseinandersetzungen bei.

Gott hilf auch uns immer wieder gegen das Verstummen anzubeten und anzusingen. Schenke uns Hoffnung für die Zukunft, Visionen für eine friedlichere und gerechtere Welt für uns unsere Kinder. Hilf uns gegen eine billige Gleichgültigkeit und verantwortungslose Selbstzentriertheit das Wort zu ergreifen.

Amen

[1] Vgl. Hierzu und im folgenden Abschnitt: Rosa, Hartmut, Unverfügbarkeit, 3. Auflage, Berlin: Suhrkamp 2021, 11-70.

[2] Vgl. Erster Vers des Liedes „Sound of Silence“ von Simon & Garfunkel.

[3] Dies ist die im 20. Jahrhundert vorherrschende Deutung der Gethsemane-Perikope. Ganz in diesem Sinne können auch die Gedichte Der einsame Christus von Morgenstern (1898) und Der Ölbaum-Garten von Rilke (1906) verstanden werden. Vgl. Luz, Ulrich, Das Evangelium nach Matthäus, EKK, Teilbd. 4: Mt 26-28, Zürich: Benziger 1985, 148-151.

[4] Rosa, Unverfügbarkeit, 67.

[5] Dieses Wort habe ich von Rosa übernommen: Rosa, Unverfügbarkeit, 27, et al.

[6] Vgl. Lied „Sound of Silence“ von Simon & Garfunkel.

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