Predigt zu Matthäus 7,15-21

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Predigt zu Matthäus 7,15-21

Die falschen Propheten | 8. Sonntag nach Trinitatis 2021| Matthäus 7,15-21 (dänische Perikopenordnung)| verfasst von Rasmus Nøjgaard |

Man kann den Unterschied zwischen einem wahren und einem falschen Propheten nicht erkennen. Bei sind so sehr von dem überzeugt, was sie sagen, dass ihre Worte verführen, ihre Beredsamkeit und ihre Begeisterung gleichen sich, ihre Stimme ist voller Glut, sie haben etwas auf dem Herzen, beide sind gleich blendend. Die einzige Weise, wie man sie beurteilen kann, ist dies, dass man auf ihr Tun schaut: Schaffen sie Leben, Freude und Glück um sich? Oder schaffen sie Chaos, Streit und Unglück?

Jesus stellt ganz unsentimental fest, dass wir das nicht durchschauen können. Erst mit der Zeit können wir sehen, ob die wohlgewählten Worte und der Enthusiasmus zu etwas geführt haben. Wir müssen zugestehen, Jesus hatte Recht, denn wie oft haben wir uns nicht mitreißen lassen von verführenden Reden, die es verstehen, unsere Furcht und unsre Sehnsüchte anzusprechen! Wie oft haben wir nicht schockiert gesehen, wie der Wolf seine Schafskleider ablegt, und wir haben es nicht kommen sehen! So wie wir nicht selten erleichtert aufatmen können beim Szenenwechsel in allen möglichen Zusammenhängen, wenn die Legislaturperiode ausläuft und wir den Demagogen und Volksverführer loswerden. Die Zeitbegrenzung der Legislaturperiode ist eines der notwendigen Sicherheitsventile der Demokratie.

Dennoch besteht kaum einen Zweifel daran, dass Jesus nicht von Demokratie und in diesem Zusammenhang von Politikern spricht, von Geschäftsleuten und dem Vereinsleben, auch wenn wir wohl daran denken. Jesus spricht vielmehr von denen, die sich hinstellen und darauf bestehen, im Namen Gottes zu sprechen. Die, die sich nicht nur auf eine eigene Integrität berufen, sondern mit einer solchen Autorität von Gott reden, dass die anderen sich verpflichtet fühlen, ihnen zu folgen. Hier geht es um die Wahrheit, um Heil oder Verdammnis.

Ich denke, dass Jesus deshalb die Sache zuspitzt und schließlich sagt, dass nicht alle in das Reich Gottes kommen, sondern nur der, der den Willen Gottes tut. Wir müssen evangelisch hinzufügen, dass wir nicht nur die ethischen Ermahnungen der Bergpredigt empfangen haben, sondern als Zugabe das entscheidende Ereignis, dass Jesus der gekreuzigte und auferstandene Herr ist, der sich mit dem sündigen Menschen versöhnt. Damit erscheint das Gericht trotz allem milder, aber dennoch bedingt durch die Gnade Christi. Es sei denn, man versteht die Gnade als reine Automatik, die bedingungslos ein für alle Mal ausgelöst ist als eine unbegreifliche vertrauensvolle Zusage der Liebe, oder kritisch und negativ formuliert als die billige Gnade.  Wenn Jesus in den Evangelien spricht, müssen wir damit rechnen, dass Jesus selbst seinen Tod und seine Auferstehung dabei mit bedenkt. Deshalb können wir keinen anderen Schluss ziehen als den, dass Jesus sich konsequent an den Sünder und den Verlorenen wendet, denn er ist gekommen, um sie zu erlösen. Zugleich aber verpflichtet er auch die Berufenen und Bekehrten. Die Bekehrung erfordert gute Werke. Auch wenn das natürlich als ein Paradox erscheinen kann, denn das macht gerade deutlich, dass der Mensch nicht perfekt ist, sondern stolpern und der Sünde verfallen kann. Deshalb ist die Gnade Christi immer wieder das Glück des Menschen. Das befreit natürlich nicht nur den Berufenen und Erlösten, sondern es ist auch eine Verpflichtung, wenn wir wirklich Jesus beim Wort nehmen. Das verpflichtet den Erlösten, mild, liebevoll und voller Selbstaufopferung zu sein gegenüber dem, der gefallen ist.

Soweit, glaube ich, können die meisten zustimmen, auch wenn Jesus Christus nicht selten durch sein radikales Denken provoziert, dass man sich selbst aufgeben muss, um anderen zu dienen. Aber Jesu Leben und Reden ist eine lange Sammlung von Beispielen für diese Botschaft, deshalb kommt kein Christ darum herum. Pädagogisch ist das oft und zu Recht als eine lebenslange Erziehung des Christen beschrieben worden, der Beratung, Aufmunterung und Zurechtweisung braucht. Für einen bedeutenden Theologen wie N.F.S. Grundtvig ist der Gottesdienst der Ort, wo diese Beratung stattfindet. Die Sakramente selbst sind der Ort, an dem der einzelne verwandelt wird, so dass nicht nur für sich selbst lebt, sondern für Christus und damit für den Nächsten. Zusammen mit den Sakramenten ist das Bekenntnis eine Richtschnur, die den Christen festhält und beständig Gott lebendig als Vater, Sohn und Heiliger Geist erscheinen lässt. Für Grundtvig waren so auch die Lieder eine Vergegenwärtigung von Gott selbst. Wie immer auch der Gottesdienst im Übrigen gestaltet sein mag, das liegt in der Hand der Ortsgemeinde, wenn nur die Sakramente und das Bekenntnis feststehen. Soweit Grundtvig.

Wenn diese abschließende Rede in der Bergpredigt dennoch die Geister scheidet, so liegt das vielleicht nicht so sehr an dieser Forderung der Nachfolge wie an der Warnung Jesu vor den falschen Propheten, die an ihren fehlenden Früchten entlarvt werden. Jesus zieht hier einen munteren Vergleich zu den unfruchtbaren Bäumen, die abgehauen und ins F euer geworfen werden. Nun ist es nie eine gute Idee, die Bilder Jesu konkret zu lesen, denn es sind eben Bilder und nicht konkrete Vorstellungen. Jesus spricht auch nicht von irgendjemanden, sondern von den falschen Propheten, von denen, die unberechtigter Weise behaupten, im Namen Gottes zu reden. Darüber zu reden, hat Jesus als Sohn Gottes das Recht. Aber die Frage ist, ob Jesus als die offenbarte Wahrheit nicht zugleich behauptet, dass niemand im Namen Gottes reden außer Jesus selbst. Johannes der Täufer war so der letzte Prophet, und durch das Kommen und die Gegenwart Gottes in der Welt ist die Zeit der Propheten vorbei. Jesus scheint mit anderen Worten jedes andere Reden als seine eigenen Worte abzulehnen, wenn jemand behauptet, mit göttlicher Autorität zu reden. Wir sind ein für alle Mal auf die Offenbarung Gottes im Menschensohn Jesus Christus angewiesen, wenn wir die Wahrheit Gottes finden wollen. Das hat eigentlich Martin Luther seinerzeit zu der Behauptung veranlasst, Kriterium für die Wahrheit sei allein dies, dass man auf Christus verweise. Die Wahrheit ist schon offenbart, und sie ist mit Jesus selbst kenntlich geworden. Damit kann niemand mehr hingehen und behaupten, die Wahrheit zu besitzen, sondern jeder muss demütig auf Christus verweisen und sich seiner Autorität unterwerfen, ob man nun Paulus, Augustin, Luther, Grundtvig oder wer auch immer ist. Niemand kann mehr behaupten, im Besitz der rechten Lehre zu sein, denn die ist schon in Jesus Christus offenbar geworden. Eine gnadenvolle Wahrheit, die für alle offenbart ist, Reiche und Arme, Frauen und Männer, Schwarze und Weiße, Kinder und Greise, Christen und Nichtchristen. Ohne übertreiben zu wollen bin ich geneigt hinzuzufügen, dass der Einfältige, der Fremde und der Sünder in den Augen Jesu oft einen leichteren Zugang zu diesem Geheimnis zu haben scheint als die innerlich Frommen, die ernsten und wissenschaftlich geschulten Rittmeister. Die falschen Propheten scheinen geschichtliche gesehen durch die christlichen  Lehrer abgelöst zu sein, die eifrig damit beschäftigt sind, komplizierte Systeme zu entwickeln, die das Ziel haben, die Wahrheit so schmal und lokal wie möglich zu beschreiben, ohne an die eigene Offenheit Christi zu denken, die nie von rituellen und formalen Forderungen bedingt war. Einer der großen Verdienste Grundtvigs war es, die Freiheit zu betonen, die ein solcher Christus-Glaube fordert. Christus-Glaube ist Freiheit, aber also Freiheit, die zu Werken der Liebe verpflichtet. Grundtvig verabscheute die „schwarze“ Schule und die kleinliche und selbstgefällige Kirche. Auch wenn diese Freiheit des Geistes natürlich schwer zu handhaben ist, weil sie stets den Widerspruch auch von der Position der Festigkeit und der Formen herausfordert. Wir brauchen auch Formen und Strukturen, die uns leiten uns festhalten. In dieser Weise besteht unsere Dreieinigkeit in einer solchen paradoxalen Einheit von Festigkeit, Schwäche und Freiheit. In diesem Sinne müssen wir die Formen und Strukturen und nicht nur die Freiheit ernst nehmen. Aber jeder für sich sollen wir in unseren Versuchen der Wiederholung und Inszenierung, unserer Imitatio, danach beurteilt werden, ob das die Gemeinde sammelt und nicht zertrennt. Sonst müssen wir diese Versuche ablehnen, dann dienten sie nicht ihrem Zweck, die Werke der Liebe zu verkündigen. Dieses Urteil ist nicht so leicht, wie das vielleicht unmittelbar klingt, denn nur wir selbst können beurteilen, was Leben schafft, so wie wir auch erst mit der Zeit sehen können, ob die Erneuerung Früchte getragen hat oder nicht.

Es herrscht in diesen Jahren eine eigentümliche Unsicherheit darüber, was man darf und was man nicht darf, was man sich erlauben darf und was nicht, auch wenn es um die Formen des Gottesdienstes geht. Der Grund ist vermutlich ein doppelter. Einerseits haben wir feste Formen gesetzlich vorgeschrieben, andererseits in der Praxis größtmögliche Freiheit angestrebt.  Dieser Widerspruch muss sein rechtes Gleichgewicht finden, so dass wir uns frei versammeln und zugleich die Sakramente und das Bekenntnis in ihren festen Formen zu Worte kommen lassen können. Aus meiner Sicht gibt es da keinen anderen Weg als den, dass man die Freiheit nach allen Seiten garantiert, jede christliche Gemeinde muss der Wahrheit des Todes und der Auferstehung Christi verpflichtet sein und von hier aus ihren eigenen Weg finden.

Die meisten werden vorsichtig und klug ans Werk gehen und die Tradition im Lichte der Herausforderung durch neue Ideen und Gedanken sehen in der Gewissheit, dass Überlieferung von Praxis, die Tradition, in sich den Keim der Erneuerung enthält. Andere werden mit einem anderen Mut ganz neue Wege gehen und der Verkündigung in einer neuen Zeit eine neue Gestalt geben. Für beide Seien gilt, dass sie sehen müssen, ob sie Frucht tragen, aber dass es in der Zeit, wo dies geschieht, nicht in unserer Macht steht, die Vorzüge des einen oder anderen Weges zu beurteilen.  In der Zwischenzeit muss es die Richtschnur sein in allem, was geschieht, dass Jesus Christus der Heiland und Erlöser ist.

Dann bleibt nur ein letzter Stein des Anstoßes, nämlich dass Jesus sagt, nicht alle werden das Himmelreich erben, sondern nur der, „der den Willen meines himmlischen Vaters tut“.  Mit anderen Worten:  Die Liebe und nicht das Bekenntnis sind entscheidend. Das macht einen guten Sinn in Bezug auf das, was wir darüber gehört haben, dass Sakramente und Bekenntnisse zu der Wegweisung und Festigkeit des Christen gehören, und in Bezug auf die Sakramente mehr als das, nämlich das verwandelnde Geschehen der Teilhabe an Christus. Aber es besteht kein Zweifel daran, dass die Forderung der Nachfolge hier schärfer gestellt wird als in den vorhergehenden Kapiteln der Bergpredigt, nicht zuletzt dem doppelten Liebesgebot: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“, dem Gebot der Feindesliebe: Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen“, und die goldene Regel: „Alles, was ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, das ihr ihnen auch“.

Ist das Himmelreich dann für jemanden verschlossen? Es ist wieder in Mode gekommen, über die Heilsökonomie Gottes zu spekulieren, und über die idealistische Vorstellung, dass Gott so gütig ist, dass er alle erlöst. Diese alte Vorstellung, dass Gott alle erlösen wird und mit der Zeit alle reinigen wird ungeachtet ihrer Sünde, ist wieder modern geworden. Die Endlichkeit des Lebens wird aufgehoben, und das irdische Leben wird eine Parenthese im Verhältnis zu einer Ewigkeit der Ewigkeiten, wo die Sündigen je nach dem Charakter ihrer Sünden im Feuer geläutert werden, bis sie rein sind und erlöst. Denn Gott ist barmherzig, gnädig. Ich hoffe innerlich, dass sie Unrecht haben. Die Worte Jesu scheinen dies zu sagen: „Nur wer den Willen meines Vaters tut“.  Die Ewigkeit Gottes ist eine so lange Perspektive, dass ich nicht hoffe, dass meine Strafe auch nur einen Bruchteil der Ewigkeit Gottes währt, die für die Zeit dieses reinigenden Feuers reserviert ist. Das ist in meinen Augen eine absurde und spekulative Vorstellung. Damit die Vorstellung von der Güte Gottes auf geht, konstruiert man eine Vorstellung von einer Erziehung fast unendlicher Dauer, wo die Strafe falschen Verhaltens die Qualen des Feuers sind, nicht für ewig, aber der Schmerz ist bekanntlich eine Ewigkeit selbst in der kurzen Zeit, die er dauert.

Es ist wohl so, dass es sich viel unbegreiflicher verhält, wenn der Herr die Seinen zu sich ruft. Vielleicht ist dann alles andere zugrunde gegangen, und nur die, die „den Willen meines Vaters“ getan haben, werden einen neuen Himmel und eine neue Erde erleben. Vielleicht ist das Reich Gottes wahrlich mitten unter uns und damit auch das Erlebnis, in Christus zu sein, wenn wir uns der Welt hingeben und sie vorbehaltlos lieben. Aber es ist natürlich schwer, unsre eigene Vernunft und ökonomische Rechenschaft nicht auf Gott selbst zu übertragen, auch wenn Gott gerade all das ist, was wir nicht sind, um so unbegreiflicher, so gnadenreicher, als die Strafe kein Teil seines Heilsplans ist.

Wir sollen die Liebe und nicht die Vernunft siegen lassen, und uns ansonsten vor den falschen Propheten hüten.

Denn sie sind nicht mehr, die Propheten.

Christus ist schon hier offenbart.

Amen.

 

Pastor Rasmus Nøjgaard

DK-2100 København Ø

Email: rn(at)km.dk

 

 

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