Verrat!

Verrat!

Predigt über Joh 13,21-30 | verfasst von Andreas Pawlas |

 

Als Jesus das gesagt hatte, wurde er erregt im Geist und bezeugte und sprach: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Einer unter euch wird mich verraten. Da sahen sich die Jünger untereinander an, und ihnen wurde bange, von wem er wohl redete. Es war aber einer unter seinen Jüngern, der zu Tische lag an der Brust Jesu, den hatte Jesus lieb. Dem winkte Simon Petrus, dass er fragen sollte, wer es wäre, von dem er redete. Da lehnte der sich an die Brust Jesu und fragte ihn: Herr, wer ist’s? Jesus antwortete: Der ist’s, dem ich den Bissen eintauche und gebe. Und er nahm den Bissen, tauchte ihn ein und gab ihn Judas, dem Sohn des Simon Iskariot. Und nach dem Bissen fuhr der Satan in ihn. Da sprach Jesus zu ihm: Was du tust, das tue bald! Niemand am Tisch aber wusste, wozu er ihm das sagte. Denn einige meinten, weil Judas den Beutel hatte, spräche Jesus zu ihm: Kaufe, was wir zum Fest nötig haben!, oder dass er den Armen etwas geben sollte. Als er nun den Bissen genommen hatte, ging er alsbald hinaus. Und es war Nacht.

 

Liebe Gemeinde!

„Und es war Nacht.“ So endet dieses Bibelwort für unsere heutige Predigt. Wie bedrückend! Wie bedeutungsschwer! Aber so etwas können wir doch in den heutigen schweren, durch die Pandemie geprägten Zeiten wirklich nicht gebrauchen! Was wir brauchen, das sind doch Worte der Hoffnung! Das sind doch Worte der Ermunterung! Und worum geht es jetzt hier in dieser dramatischen Szene mit den Jüngern? Es geht um Verrat! Nein, es geht nicht nur um eine beiläufige Entgleisung, für die man sich dann irgendwann einmal beiläufig entschuldigen könnte, sondern es geht – und das wissen wir doch jetzt zu Beginn der Passionszeit – bei diesem Verrat um Leben und Tod! Und wir, wir sind mit dabei!

Wieso denn das? Wir sitzen hier doch ganz ruhig und trocken. Oder wollen uns da jetzt ganz von allein alle die Szenen vor Augen kommen, wo wir selbst einmal dem Verrat ausgeliefert waren? Stürmen da jetzt alle die Erinnerungen auf uns ein, wie für uns als Verratene die vorher gute Beziehung zu dem Verräter auf diese Weise im Nichts endete und nur noch tiefer Hass blieb? Oder – haben wir das bisher noch nicht erlebt, und kennen es nur vom Hörensagen?

Aber wie dem auch sei, kein Wunder, dass in den vielen Altarbildern zur Passion dieser Judas so häufig als dunkle Gestalt abgebildet wurde, den Beutel fest umkrallt. Kein Wunder auch, dass es in unserem biblischen Bericht nach der verstörenden Ankündigung Jesu: „Einer unter euch wird mich verraten.“ heißt: „Da sahen sich die Jünger untereinander an, und ihnen wurde bange, von wem er wohl redete.“ Ja, sie wissen genau, wie schlimm Verrat ist!

Kein Wunder auch, dass damit eigentlich alles, was die Jünger vorher so Gutes mit Jesus erlebt hatten, nun irgendwie am Zerbrechen war.

Ja, aber warum tut sich die Christenheit das an, die Erinnerung an solcher schlimmen Geschehnisse in jeder Passionszeit wachzuhalten? Unsere moderne Spassgesellschaft, die will doch anderes hören und alles, was sie nicht hören will, das wird ignoriert, hat die Einschaltquote Null.

Sollte man darum nicht lieber diese so üblen Szenen aus der Passionszeit übergehen und besser darüber berichten, wie unser Gott, den, den er liebt, und die, die er liebt, mit reichen Gütern segnet, wie er ihn und sie siegen läßt, wie er ihn und sie dann irgendwann in weiter Ferne alt und lebenssatt sterben läßt?

Ja, liebe Gemeinde, das kann man machen. Und ganz gewiss ist das auch alles richtig und man darf fest daran glauben. Aber, was ist dann mit all dem Dunklen in unserem Leben? Alles das Dunkle, das ganz offen oder verborgen im Hintergrund seine Macht über uns gewinnen will, und dem wir irgendwie ausgeliefert scheinen?

Nein, keiner wünscht sich doch den Verrat, aber er ist doch da! Nein, keiner wünscht sich doch Zerstörung der guten Gemeinschaft, aber doch gibt es so etwas unter uns! Und schließlich: keiner wünscht sich doch einen Gang an das Kreuz mit Qual und Tod, aber doch gibt es so etwas unter uns! Nein, wir dürfen doch nicht die Augen verschließen, vor dem, was unter uns so oder so ähnlich gelitten wird. Wir dürfen doch nicht die Augen verschließen, vor dem, was uns in Schmerz und Sterben den Verstand stehen lassen will.

Nein, unserer modernen Spassgesellschaft fällt da nichts mehr ein. Und genau das ist der Grund, weshalb die Christenheit nicht schweigen darf, selbst wenn sie niemand hören will. Darum bleibt es unsere Aufgabe, die Erinnerung an diese schlimmen Geschehnisse auch in dieser Passionszeit wachzuhalten.

Warum? Etwa, um uns über die Schwächen der Akteure zu amüsieren? Etwa, um uns an den Qualen der Leidenden zu weiden?

Nein, um Gottes Willen nein! Niemals kann es deshalb Aufgabe des Christen sein, auf die Passionszeit zu schauen. Nein, es geht doch gar nicht um eine Verherrlichung von Leiden und körperlichem und seelischem Zusammenbrechen! Sondern es geht gerade in dieser Dunkelheit um die helle und frohe Botschaft, auf die doch alles trotz Verrat und Schmerzen zusteuert: Es geht um das: Christus ist auferstanden!

Weil diese Botschaft am Ende der Passionszeit steht, deshalb halten es Christen überhaupt aus, vor all dem elenden Verrat nicht die Augen zu schließen, deshalb halten es Christen überhaupt aus, allen Schmerz und Sterben nicht zu übergehen, deshalb halten es Christen überhaupt aus, bei aller Vernichtung und allem Untergang nicht wegzuschauen.

Und darum sind auch genau wir bei dieser Passionszeit mit dabei. Und darum sind auch genau wir mit unserem eigenem Leben mit eingebunden. Und das in doppelter Weise.

Einmal dürfen wir die innere Logik dieser ganzen Ereignisse auch für unser eigenes Leben gelten lassen. Es ist die Logik, nach der auch das böse Getane, also das Handeln des Judas, das Jesus ans Kreuz bringt, in irgendeiner Weise dazu beiträgt, die Botschaft der Auferstehung für alle Welt sichtbar zu machen, die Erlösung der ganzen Welt nach Gottes Willen zu vollbringen. Das ist kaum begreiflich.

Aber was wäre es da für ein Schritt, wenn wir uns tatsächlich trauten, diese Logik auch für all das gelten zu lassen, was wir in unserem eigenen Leben leiden und ertragen müssen?! Was wäre das für ein Schritt, wenn wir uns nach dieser Logik gewiss sein dürften, dass am Ende in Gottes Hand, dass am Ende nach Gottes Heilsplan alles gut sein wird?!

Aber es gibt noch einen anderen tiefen Grund dafür, dass alles das, was uns, ja, genau Dir und mir, in diesem Leben an Üblem angetan wurde, nicht die Oberhand behalten wird! Ja, es gibt noch einen anderen tiefen Grund dafür, dass wir so, wie wir in diesem Leben verraten, gedemütigt und verkrümmt wurden, nicht untergehen werden! Wirklich, es gibt noch einen anderen tiefen Grund dafür, dass das, was wir in diesem Leben an Schmerzen und Qualen, an Fußtritten und Verhöhnungen erlitten und ertragen haben, uns nicht zerstören wird!

Welcher Grund das ist? Der Grund liegt darin, dass dieser Mensch aus Nazareth für Dich und mich in unser Leben mit Leib und Seele eintritt. Ja, wir dürfen daran glauben, dass dieser Jesus Christus alles bereits für uns und an unserer Stelle getragen und ertragen hat. Und dass er dann für uns aus allem Verrat, Leiden und Tod aufersteht und wir mit ihm.

Und die Spassgesellschaft kann sagen, was sie will, oder kann Christen totschweigen oder lächerlich machen, so wie es vielleicht so mancher von uns erlebt hat, aber es ist die kostbare Erfahrung der Christenheit, dass der, der so glauben kann, gerettet ist. Nein, nicht nur aus dem gegenwärtigen Durcheinander in der Welt, sondern bis in alle Ewigkeit! Großartig! Gott sei Dank! Amen.

Pastor i. R. Prof. Dr. Andreas Pawlas
Eichenweg 24
25365 Kl. Offenseth-Sparrieshoop

Andreas.Pawlas@web.de

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