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Theologisches Seminar | Theologische und Religionswissenschaftliche Fakultät Zentrum für Kirchenentwicklung

Der Geist Luthers weht durch reformierte Fakultäten

Thomas Schlag in der Neuen Zürcher Zeitung über lutherisch geprägte deutsche Theologieprofessoren an schweizerischen theologischen Fakultäten

Wer in Basel oder Zürich Theologie studiert, hat es oft mit lutherischen Professoren zu tun. Doch die Ängste, dass die deutschen Dozenten die reformierte Kultur bedrohen, sind unbegründet.

von Simon Hehli

Die vom reformierten Pfarrerssohn Christoph Blocher alimentierte «Basler Zeitung» sorgt sich wegen einer spezifischen Form der «Masseneinwanderung»: An der Universität Basel sind bereits 42 Prozent der Professoren Deutsche, wobei die Situation an der theologischen Fakultät «besonders ausgeprägt» sei, wie das Blatt in einem Artikel im Sommer schrieb. Sieben von neun Professoren stammen aus dem nördlichen Nachbarland. Das ist ein völlig anderes Bild als noch 1985, als sieben Schweizer in Basel Theologie lehrten.

Im Gegensatz zu anderen Studienrichtungen ist es in der Theologie nicht unerheblich, woher ein deutschsprachiger Dozent stammt – zumindest auf den ersten Blick. Denn die meisten deutschen Protestanten sind Lutheraner. Der «Sturz der Schweizer Bastion» habe deshalb Auswirkungen auf den Praxisalltag, konstatiert die «BaZ»: «Denn die gottesdienstliche Praxis der Lutheraner gleicht mehr dem katholischen Gottesdienst als der reformierten Praxis.» So stelle sich die Frage, ob mit der grossen Anzahl von Deutschen an der theologischen Fakultät eine «Einbindung in die Schweizer Kultur» noch vorhanden sei. Als Kronzeugen präsentiert die Zeitung den – katholischen – Theologen Xaver Pfister. Er sagt, in Deutschland spiele, anders als in der Schweiz, «eine Bischöfin, ein Bischof eine Rolle».

Einzelkämpfer Luther, Teamplayer Zwingli

Nun würde niemand die Differenzen zwischen den beiden Richtungen des Protestantismus bezweifeln. Der Pfarrer des Zürcher Grossmünsters, Christoph Sigrist, bringt es auf den Punkt, wenn er sagt: «Luther hat die Bibel alleine in der Stube übersetzt, Zwingli im Chorraum zusammen mit anderen.» Die Reformierten würden partizipativ-demokratisch ticken, die Lutheraner hierarchischer und obrigkeitsgläubiger. Letztere hätten auch an der katholischen Messe wenig geändert, sagt Sigrist. «Zwingli hingegen hat eine neue liturgische ‹Festplatte› eingebaut.»

Doch theologische Theorie und seelsorgerische Praxis sind zwei Paar Schuhe, wie Thomas Schlag betont. Der Dekan der Theologischen Fakultät in Zürich sagt, der Auftrag der Universität sei es, wissenschaftlich kompetente Theologinnen und Theologen auszubilden. «Wir sind keine kirchliche Ausbildungsstätte.» Deshalb sieht Schlag, selber lutherisch geprägter Württemberger, kein Problem darin, dass an seiner Fakultät ziemlich genau die Hälfte der Theologie-Dozierenden aus dem Ausland stammt, die meisten von ihnen aus Deutschland. «Unser Profil ist primär ein akademisch-theologisches, nicht ein reformiertes – auch wenn wir uns stark mit den Konzeptionen Zwinglis, Calvins, Emil Brunners oder Karl Barths auseinandersetzen.»

Selbständige Geister fördern

Eine konfessionell eindeutige Prägung zeichne die heutige evangelische Theologie ohnehin nicht mehr so stark aus wie früher, sagt Schlag. Konfessionelle Identitäten spielten angesichts von Globalisierung und Säkularisierung eine deutlich geringere Rolle. «Protestantische Theologen sind es gewohnt, dass alle Erkenntnisse interpretationsbedürftig bleiben, das gilt auch für die eigenen Traditionen: Niemand zitiert unkritisch Zwingli oder Luther.» Es sei das Ziel seiner Fakultät, den Studenten eine Entscheidungsgrundlage zu liefern – so dass sie selbstverantwortlich eine theologische Position einnehmen oder ablehnen können.

Wer nach dem Studium Pfarrer werden möchte, übt die Praxis im Vikariatsjahr ein, für dessen Durchführung allein die hiesige Kirche zuständig ist. Selbst wenn die Studierenden also auch durch Professoren mit lutherischem Hintergrund geprägt würden, würde sich dies durch die Erfahrungen im Pfarramt «relativieren», findet Schlag.

Die grossen Importzeiten sind vorbei

Er bestreitet nicht, dass es zu Konflikten kommen kann, wenn eine reformierte Gemeinde lutherisch geprägte Theologen anstellt. So gebe es in Deutschland den vergleichsweise neuen «Gebrauch», dass Pfarrer beim Segen das Kreuz schlagen. «Das würde reformierte Kirchgänger irritieren», sagt der Dekan. Er geht mit Sigrist einig, wenn er sagt, Lutheraner seien hierarchischer geprägt: In Deutschland leitet die Pfarrperson eine Kirchgemeinde meist auch administrativ, in der Schweiz ist das die Aufgabe der Kirchenvorsteherschaft. «Doch solche Kulturunterschiede lassen sich durch die Praxis oder etwa durch Inkulturationskurse gut überwinden», sagt Schlag.

Die grossen «Importzeiten» seien jedoch sowieso vorbei. Die deutschen Landeskirchen können es sich laut Schlag wieder besser leisten, ihrem Nachwuchs gute Arbeitsbedingungen zu bieten. «Die schweizerischen Kirchen müssen deshalb eher überlegen, wie sie attraktiv für bereichernde Personen aus dem Ausland bleiben können.»

Quelle: NZZ