Aber eines genügt!

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Aber eines genügt!

Lukas 10,38-42 (dänische Perikopenordnung)| von Rasmus Nøjgaard|

Was ist das, was so gut ist, dass Maria den guten Teil erwählt hat? Sie hat sich Jesu zu Füßen gesetzt, um seine Worte zu hören, und das genügt, sagt Jesus. Das wird ganz deutlich im griechischen Text. Wörtlich übersetzt stellt Jesus fest: Martha, du machst dir Sorgen um vieles, aber eines ist genug. Denn Maria hat den guten Teil gewählt, und den soll sie behalten. Was ist das, was genügt, um den Hunger zu stillen und den Durst zu löschen? Das wird uns nicht gesagt. Diese berühmte Geschichte von Martha und Maria hinterlässt uns mit anderen Worten etwas ratlos, denn so einfach und direkt die Geschichte erzählt wird, so verborgen ist ihr Sinn.

Jesus besucht das Haus einer Frau, ihr Name ist Martha, und sie ist eine gute und fürsorgliche Wirtin. Ihre Schwester Maria ist auch anwesend, aber während Martha viel zu tun hat, setzt sich Maria Jesus zu Füßen und hört auf seine Worte. Die eine arbeitet, die andere ruht sich aus, die eine ist in Bewegung, die andere ruht, die eine gibt, die andere empfängt. Dieser Gegensatz zwischen den beiden Frauen führt zu dem, was schon der Kirchenvater Augustin ein Gerichtsdrama genannt hat. Ein Drama, das über das Schicksal und das Heil der beiden Frauen entscheiden soll. Martha selbst ist es, die die Anklage erhebt: Ist es nicht falsch, dass mir Maria nicht dabei hilft, für dich zu sorgen? Sag ihr doch, dass sie mir helfen soll. Aber als Richter will Jesus dieses Urteil nicht akzeptieren, stattdessen weist er ihren Vorwurf zurück und schließt die Sache überraschend damit, dass der den Vorwurf gegen Martha richtet. Sie macht sich unnötige Sorgen, ihr Vorwurf ist unberechtigt, denn Maria hat sich für das einzig Richtige entschieden, und das soll ihr nicht genommen werden.

Noch immer wissen wir nicht, was Maria anderes getan hat als Jesus zuzuhören. Aber wir bekommen einen Einblick darin, worum ist in diesem Rechtsstreit geht, wenn wir die Geschichte einbeziehen, die Jesus unmittelbar vor diesem kleinen Drama erzählt. Hier wird Jesus danach gefragt, wer das ewige Leben erben wird, und er antwortet mit der Geschichte vom barmherzigen Samariter. Wer das ewige Leben erben will, muss seinen Nächsten lieben und so handeln wie der Samariter. Man sollte meinen, dass Martha gehört hat, wie Jesus diese Geschichte erzählte, und sie hat sie sich zu Herzen genommen in der Hoffnung, ebenso handeln zu können. Es ist wohl nicht ganz undenkbar, dass die Dinge so zusammenhängen. Vielleicht ist das geradezu der Anlass dafür, dass Jesus das Haus von Martha besucht. Aber das erklärt nicht das Gericht Jesu über Martha und Maria.

In der Tradition haben wir immer Martha kritisiert und Maria gelobt. Martha kritisiert wegen ihrer Werkgerechtigkeit, und Maria gelobt für ihre Demut und Offenheit, sie ist das Vorbild der Glaubenden. Jesus fordert nicht Dienstwilligkeit, sondern Hingabe. Der Glaube ist kein Verdienst, sondern Gabe der Liebe. Schon Augustin macht darauf aufmerksam, dass das eine allzu leichtsinnige Auslegung ist. Deshalb fragt er nun: Was ist nun der gute Teil, den Maria gewählt hat? Und er fährt fort: Lasst uns das untersuchen, damit auch wir unseren Hunger stillen und unseren Durst löschen.

Es ist für die frühen christlichen Auslegungstraditionen kennzeichnend, dass sie nie die einfach ermahnende Auslegung suchen, sie begnügen sich nie mit dem Buchstaben, sondern bemühen sich darum, den Text in lebendige Vorbilder voller Geist umzusetzen. Sie kennen gar nicht die fundamentalistische Art des Bibellesens, wie sie in neuen bibeltreuen kirchlichen Richtungen im 18. und 19. Jahrhundert modern wurde. Die Kirchenväter öffnen die Texte vielmehr für das Licht des Heiligen Geistes, so dass die Erzählungen der Bibel erneuernd und magisch wirken. Und sie können wirklich Menschen verwandeln, indem sie sie aus Finsternis, Tod und Zerstörung zu Licht, Leben und Erneuerung führen. Im Gegensatz zu den fundamentalistischen Auslegungen, die das Licht ausschließen und die Buchstaben grob, hart, kleinlich und weltfremd zurücklassen.

Zunächst ist es von größter Wichtigkeit, dass wir Martha rehabilitieren. Das ist nicht schwer, denn sollte daran etwas falsch sein, dass man dem Sohn Gottes Jesus Christus dienen will, indem man ihm zu essen und trinken gibt? Ist das nicht dasselbe, worum wir uns in jedem Gottesdienst versammeln, wenn der Herr uns an seinen Tisch ruft? In der Gemeinschaft mit dem Herrn brechen wir das Brot und teilen den Wein. Dieselbe Gemeinschaft, zu der Martha einlädt, wenn sie ihr Haus für Jesus öffnet und sich hier als denkbar beste Wirten erweist. Wenn der „bessere Teil“ darin bestünde, nichts zu tun, warum sind dann die Nächstenliebe und der Ruf zum Dienst sonst so wichtig für Jesus? Warum Kranken und Armen helfen, warum unser Haus öffnen und andere in unser Leben aufnehmen, warum Bekannte und Fremde mit Geist und Leib umarmen, wenn nur das eine notwendig und erforderlich ist? Hier auf der Bank sitzen und Worten und Tönen zuzuhören? Aber das genügt nicht, wir müssen sowohl zum Bad der Taufe und dem Tisch des Herrn kommen, die eine Gemeinschaft symbolisieren, hier zusammen mit der Gemeinde und dem Rest der Welt, der ganzen Schöpfung. Es ist denn auch eine entscheidende Pointe, dass Jesus Marta nicht befiehlt, sich neben Maria zu setzen, sondern sie ihre gute Arbeit fortsetzen lässt. Er ist hungrig und durstig, so wie die Welt voll ist von durstenden Seelen. Martha wird aber gesagt, dass sie ihre Sorgen um Maria fahren lassen soll. Denn das ist Marias eigenen Sache. Der Dienst der Maria ist nicht Marthas Anliegen.

Hier, glaube ich, befinden wir uns am rhetorischen Höhepunkt der Geschichte, der dramatischen Wende. Das zeigt sich bis hin zu den Einzelelementen des Textes Die beiden wichtigsten Worte stehen kurz nach einander und schaffen einen dramatischen Gegensatz, griechisch polla gegen henos, viel gegen eins oder viele Dinge gegen das Eine. Martha sorgt sich viel um viele Dinge, aber nur eines, dieses Eine, ist genug. Die vielen Dinge, um die sich Martha sorgt, stehen im Gegensatz zu dem Einen, das Maria gewählt hat. Es sind alle die Sorgen, alle Agenda, all das, was Martha besorgen muss, ihre Ambition nicht nur für sich selbst, sondern auch für andere und besonders für Maria. Aber sie soll die Sorgen fahren lassen, und sie soll keine Forderungen für Maria aufstellen, sondern sie soll sich damit begnügen, ihre Dinge so gut wie möglich zu erledigen, und dann Maria ihre Dinge überlassen.  Martha ist als Wirtin noch immer vorbildlich, und ihr Beitrag ist unverzichtbar. Sie folgt der Linie des barmherzigen Samariters.

Wenn Jesus das Verhalten Marias für ausreichend erklärt, so bedeutet dies mit anderen Worten nicht, dass Martha etwas falsch macht. Wir haben bereits festgestellt, dass es in Ordnung ist, was Martha tut. Nur soll sie nicht dasselbe von Maria verlangen. Maria macht sich keine Sorgen. Sie hört zu, und hier in der Gegenwart Jesu hat sie ihren Seelenfrieden gefunden. Diese Zusammengehörigkeit bezeichnet Jesus als voll ausreichend. Ich glaube, dass wir alle die Erfahrung wiedererkennen, dass man alles Mögliche tut, ohne dass das ausreicht. Und dann erleben wir plötzlich ganz einfach, das das ausreicht. So wie etwas Salz dem Brot seinen Geschmack gibt, oder das Aufladen das Handy wieder zum Leben erweckt. Oder was die meisten von uns in der Hitze des Sommers erlebt haben: Wenn wir nicht ein Glas Wasser bekommen, dann fallen wir zusammen, werden schlapp, unnahbar, ja aggressiv. Aber ein Schluck Wasser reinigt gleichsam das Gehirn, so dass wir wieder Klarsicht, Fürsorge und Tatkraft finden. Jesus ist selbst das Bild für eine Quelle, die wie alle brauchen, um aus ihr zu trinken, wenn wir selbst und die Welt Weitsicht, Barmherzigkeit und Tatkraft erlangen sollen. Deshalb wird Maria ein Bild für den, der aus der Quelle der Liebe trinkt. Sie wird die Einsicht, dass Empfangen stärker ist als Leistung. Den letztlich haben wir das Leben für nichts bekommen.

Maria hört auf das Wort Gottes, das die schöpfende Kraft besitzt, das der Ursprung ist für die Mannigfaltigkeit der Welt und die Verschiedenheit der Menschen, den barmherzigen Gott, der die Menschen in all ihrer Verschiedenheit segnet. Sie hat das Wort gefunden, das Gott ist, denn alles ist durch es geworden, und ohne es ist nichts vom dem, was ist. Im Wort war Leben, und das Leben war das Licht der Menschen. Das ist das Ausreichende, was Maria gefunden hat, und das soll ihr nicht genommen werden. Diese Verheißung höre ich heute als eine Verheißung für dich und mich. Das hier ist das Ausreichende, das soll dir nicht genommen werden! Davon sollst du leben, lass die Welt wählen, was sie will, vertraue aber darauf das diese Liebe genügt.

Unsere Kirche ist nicht die Quelle selbst, aber aus ihrem himmlischen Ursprung fließt der Strom in alle Welt, auch zu uns heute, hier in unserer Kirche, so dass wir an der Quelle bleiben und von ihrem Wasser trinken können. Auch wir hören das Wort und essen und trinken die Mahlzeit, die der Herr uns beschert, der Herr, der wie Martha für uns sorgt, so dass auch wir uns heute um dieses, was allein nottut, versammeln können, das Wort Gottes zu hören. So dass wir Ruhe finden können, zuhören und uns zu Herzen nehmen können, uns erheben können und zum Geschlecht der Herrlichkeit werden können. Nicht heute, sondern wenn die Zeit des Herren kommt. Bis dahin aber leben wir geduldig und vertrauensvoll in der Hoffnung. Bis dahin müssen wir frei von Vorurteilen handeln wie eine Martha und innere Ruhe finden wie eine Maria, weil dies das einzige ist, was nottut, die Liebe Gottes, die unsere Liebe zur Welt hervorbringt. Von Gott durch uns in die Welt.

Martha ist gegenwärtig und fürsorglich, sie weiß, was sie tut und bittet um Hilfe. Denn unsere Hände werden gebraucht in einer Welt, wo Menschen leiden und gezeichnet sind an Leib und Seele. Maria hat sich hingegeben, denn in der Hoffnung ist die Not schon überwunden. Das Licht des Heiligen Geistes verbindet Menschen mit seiner versöhnenden Liebe. Martha lebt in der Zeit, Maria in der Ewigkeit. Aber eines verbindet sie, und das ist das Wort, Jesus Christus. Amen.

Pastor Rasmus Nøjgaard

DK-2100 København Ø

Email: rn(at)km.dk

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