Beten und gebeten werden ist lieben

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Beten und gebeten werden ist lieben

Predigt zu Johannes 17,20-26 (dänische Perikopenordnung) | verfasst von Christiane Gammeltoft Hansen | aus dem Dänischen übersetzt von Eberhard Harbsmeier |

Selbst Leute, die sich ansonsten nicht für religiös halten, beten. Direkt gefragt antworten wir dann, dass uns Beten nicht fremd ist. Nicht ganz jedenfalls. Wohl können die Gebete sozusagen unbeabsichtigt über uns kommen, erst wenn wir mitten drin sind, entdecken wir, was wir da tun. Und wir ziehen zwar keineswegs immer die Konsequenz aus unseren Gebeten, dass wir dann gläubig sein müssen. Aber nichtsdestoweniger sind die Gebete da, als innerer Reflex, sich nach außen zu wenden.

Der Anlass zum Gebet ist vielfältig.

Es kann ein schamvoll flüsterndes Schuldbekenntnis sein oder ein Zorn über die Verletzung von etwas, das unantastbar war.

Es kann dadurch veranlasst sein, dass wir übergangen worden sind. Eine solche Übergehung können wir nicht akzeptieren. Wir können die Menschenverachtung nicht ertragen, die in den Verletzungen liegt. Oder die Gleichgültigkeit angesichts der Schönheit, eine Gleichgültigkeit, die in den Zerstörungen liegt. Da ist ein Verlangen nach Handlung, wenn Menschenverachtung und Gleichgültigkeit ihre Spuren der Verwüstung hinterlassen. Aber das Gebet hat auch daran teil. Ein Gebet für die, die leiden, und ein Gebet dafür, Kräfte von außen zu bekommen.

Der Anlass zum Gebet kann auch das Bedürfnis sein, sich zu bedanken. Man weiß vielleicht nicht einmal, wem man danken soll, man weiß nur, dass der Dank nicht einem selbst gilt. Etwas Großes ist einem widerfahren, es kann aber auch etwas sein, was für einen Außenstehenden unbedeutend ist. Nichtsdestoweniger gereicht es einem zur Freude.  Das Leben bietet unzählige unverdiente Freuden, und das kann selbst die am meisten Erdverbundenen einen Augenblick dazu veranlassen, den Blick nach oben zu wenden.

Die Welt und das Leben besitzen Schönheit, und der Mensch ist nicht ohne Wert. Diese Erfahrung ist ein Teil unseres Alltags. Deshalb also beten wir.

Ein Gebet ist ein Gespräch. Grundtvig spricht in seinen Dichtungen davon, dass in uns ein natürliches Gotteswort ist. Dass wir mit einem inneren Gespräch geboren sind, das uns davon befreit, um uns selbst zu kreisen. Zwar werden unsere Gebete oft karikiert und verdreht. Sie können Monologe werden, wo der Adressat nur eine Nebenrolle spielt oder Statist ist. Jemand, der nur da ist zum Schein, der aber nicht selbständig mit etwas beiträgt.  Aber dann wird das Selbst ein geschlossener luftleerer Raum.

So wie das Gespräch befreit uns das Gebet aus einer inneren Verschlossenheit. Es kann uns sogar aus der konkreten Situation und dem persönlichen Wunsch emporheben. Nicht in der Weise, dass die Situation und der Wunsch nicht weiter der Ausgangspunkt und der Anlass für unser Gebet sind, sondern dass all dies in der Weise befreit wird, dass wir uns nicht von vorn herein darauf festgelegt haben, was die Antwort auf unser Beten sein soll. Oder wir werden weniger konkret und beten stattdessen um Stärke, das Leben so zu bestehen, wie es nun einmal ist.

Wir sind Leute, die beten. Das haben wir gemeinsam. Und es zeigt sich: Wir sind auch eins mit Gott, wenn wir beten.

Das Evangelium dieses Sonntags ist ein Gebet, der letzte Teil des Gebets, dass man das hohepriesterliche Gebet Jesu nennt.

Worum betet Jesus? Er betet um das, was unseren Gebeten zugrunde liegt und mit ihnen klingt. Nämlich dass wir mitten in all dem, was wir sind, auch erleben mögen, dass wir Teil von etwas sind, das größer ist als wir. Dass wir unsere Wirklichkeit als ein Teil der Wirklichkeit Gottes oder die Wirklichkeit Gottes selbst erleben mögen.

Da ist eine doppelte Bewegung in dem Gebet Jesu. Er ist nicht nur Absender, er ist auch Empfänger. Das schafft eine schwindelnde Perspektive für jedes Gebet, das aus einem Sehnen danach entspringt, neu in einer Welt erzählt zu werden, die nicht nur meine Welt ist.

Gott teilt unsere Gebete mit uns, sammelt sie auf, um sie wieder zu sich zu nehmen. Zugleich ist er der, der sie empfängt.

„Dass sie eins sein mögen, so wie wir eins sind, ich in ihnen und du in mir“, sagt Jesus, indem er alle unsere Gebete sammelt in dem Traum von einer Gemeinschaft, die so stark ist, dass das, was der eine hat, auch dem anderen gehört. Eine Gemeinschaft, die weiter reicht als das, was ein Mensch aus sich selbst ist und werden kann. Das Gebet Jesu ist ein Gebet darum, dass wir eins werden mögen, so dass wir an dem teilhaben können, was Gott gehört.

In dieser Weise ist das Gebet Jesu mehr als doppelt. Es ist auch eine Bevollmächtigung des Menschen. So gesehen liegt darin ein Auftrag: Wenn ihr an dem teilhabt, was mein ist, könnte ihr es auch miteinander teilen.

Wer nicht betet, wird so unendlich klein. Es heißt, dass unser Leben nicht größer wird als die Träume, die wir für es haben. Vielleicht ist es eher so, dass es nicht größer wird als die Gebete, die wir für uns selbst und für einander beten. Im Gebet erzählen wir nämlich nicht nur von unseren Träumen, wir teilen sie. Ohne Gebet werden die Träume verschwendet, und die Sehnsüchte werden kalt, denn sie haben keine Richtung. Aber was noch schlimmer ist: Wer nicht betet, macht seinen Mitmenschen klein. Wer nicht betet, sieht den anderen als einen Menschen, der nichts zu geben hat, einen Menschen, von dem man nichts Gutes erwarten kann.

Gebet ist die Sprache der Liebe. Dass man die größten Erwartungen an einander hat. Wenn Kinder ihre Eltern um Hilfe bitten, gebrauchen sie sie als das, wofür sie da sind und sein sollen. Beten bedeutet, einem anderen die Möglichkeit des Gebens zu geben. Beten und wissen, dass man gebeten ist, heißt lieben.

Das Gebet Jesu klingt wie ein Testament. Unser Erbe ist, dass wir eins sind – mit Gott und mit einander. Von hier aus ist unsere Erzählung eine gemeinsame Erzählung, wir alle sind dazu berufen, sie zu bezeugen.

Wir sind eins, und deshalb ergeben sich die Gebete von selbst.  Denn wie kann man besser nach einander greifen und sich einander zu erkennen geben als in der offenen Form des Gebets, wo wir zugleich ehrlich sein können in Bezug auf all das, was nicht gelang, aber zugleich uns als mündige Menschen erweisen. Amen.

Sognepræst Christiane Gammeltoft-Hansen

DK-2000 Frederiksberg

E-mail: cgh(at)km.dk

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