Das kleine Kind – und der …

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Das kleine Kind – und der …

Das kleine Kind – und der mächtige Herodes – Macht und Liebe | Zweiter Sonntag nach Weihnachten | Matthäus 2,1-12 (dänische Perikopenordnung) | von Leise Christensen |

Es gib ein Programm in Dänemark, das heißt Schrott ins Schloss. Das ist so ein Programm für den Wohnungsmarkt, wo ein altes heruntergekommenes Haus in eine phantastische Wohnung umgewandelt wird mit allen möglichen Einfällen und Einrichtungen, also etwa so, dass ein Mann ein altes Brett nimmt, und plötzlich ist das ein Esstisch für zwölf Personen in einem stilvollen Esszimmer – all das, was, wie man ja sehr wohl weiß – nie in der eigenen Wohnung geschieht, wo man voll damit beschäftigt ist, nur ein einziges Bild gerade aufzuhängen. Im heutigen Evangelium scheint es sich umgekehrt zu verhalten – vom Schloss zum Schrott.  Die drei Weisen aus dem Morgenland, wir kennen also ihre Anzahl – das ist die Tradition, die gesagt hat, wenn da drei Gaben waren, waren es wohl auch drei Weisen, aber diese Zahl geht also nicht aus dem hervor, was Matthäus erzählt. Er legt auf etwas ganz anderes Gewicht, nämlich dass diese mystischen Weisen aus dem Morgenland einen verkehrten Weg einschlagen – sie wollen zum Schloss in Jerusalem, aber es handelt sich eigentlich um Schrott draußen in Bethlehem. Ich bin nicht ganz überzeugt von ihren Fähigkeiten, de leuchtenden Sternen zu folgen und sie zu deuten – bei so einem Riesen-Irrtum – zu glauben, der Stern hänge am Schloss und nicht am Schrott. Man hat wohl den Verdacht, dass die drei Weisen gar nicht aufblickten, sondern vielmehr den Blick senkten und nur von vornherein annahmen, der Stern würde sie selbstverständlich zum Königshaus in Jerusalem führen, so dass sie gar nicht auf den Stern zu blicken brauchten. Wo sonst würde man ein Königskind finden? Sie glaubten zu wissen, wohin sie unterwegs waren, aber eben nicht so, Leitstern hin oder her!

Heute ist der letzte Tag von Weihnachten in unserer Kirche. Es ist der letzte Tag, wo wir von der Krippe im Stall hören, von Sternen, Weisen und feine Gaben aus dem Morgenland.  Dennoch ist etwas anders als die Erzählung, die wir am Heiligen Abend von dem kleinen Kind in der Krippe gehört haben. Da endete das Ganze in Harmonie mit Heerscharen von Engeln, die vom Frieden auf Erden für Menschen mit Gottes Wohlgefallen. Heute ist das etwas anders. Das Idyll ist verschwunden. Das ist die Welt, wie wir sie kennen. Ein Schatten fällt auf den Stall, in dem sich das kleine Jesuskind befindet. Es ist nicht nur großes Glück. Mit dem Frieden ist das so eine Sache. Man kann insofern den guten Weisen nicht vorwerfen, dass sie sich in dem Geburtsort Jesu geirrt hatten, wo man erwarten musste, dass der Sohn der Macht in einem Schloss und nicht in einem Stall zur Welt kam. Das sagt etwas Zentrales über die Machtverteilung im Evangelium. Die Macht, mit der Jesus nicht als irdischer Königssohn, sondern als himmlischer Königssohn kommt, ist etwas anderes als die brutale Macht, Macht, mit der der König in Jerusalem gegen seine Widersacher aufwartet. Herodes fürchtet die Geburt des neuen, kleinen Königs und hat als Geburtsgeschenk nur Böses im Sinn für ihn und im Übrigen auch für alle anderen kleinen Jungen unter zwei Jahren, die er hinrichten ließ. Mit Herodes in der Erzählung wird die Geburt Jesu im Stall zu schrecklicher Wirklichkeit für uns heute, eine Wirklichkeit, die weit über das Glanzbild im Idyll des Stalls hinausreicht.

Wie aber können wir verstehen, dass in dieser Erzählung von Herodes und dem Besuch der drei Weisen an jenem Tag im Stall von unserer Wirklichkeit die Rede ist?  Dass unser Dasein auf existenzieller Ebene dem Dasein gleicht, in das Jesus hineingeboren wurde mit den Machtstrukturen in der Gesellschaft, wie sie sich nun einmal geltend machten und machen? Jesus ist ja prachtvoll. Weihnachten ist voller Süße, kulinarisch und menschlich gesehen, voller Freude und Licht. Meistens jedenfalls. Denn wir können uns sicher alle an ein oder zwei Jahre erinnern, wo Weihnachten schrecklich war – aus irgendeinem Grund. Das kann der Tod meines geliebten Menschen sein, eine Scheidung, plötzliche Arbeitslosigkeit oder etwas anderes, was durchaus störend in unser leben eingegriffen hat und Weihnachten kalt und abwegig erschienen ließ. Scheinbar jedenfalls. In diesem Jahr kann man zu Recht Corona als einen solchen großen Schatten betrachten. Wir haben wohl alle Weihnachtsfeste erlebt, wo Herodes uns näher war als das kleine Kind in der Krippe. Wo Herodes in all seiner Machtvollkommenheit einfach mehr realistisch zu unserem Dasein passte. Aber eben deshalb ist das kleine Kind in der Krippe ja gekommen. Deshalb feiern wir überhaupt Weihnachten. Die Erzählung von dem furchtbaren und rücksichtslosen König Herodes ist für Matthäus eine Weise, in der er uns sagen will: Das Leben ist zwar voll ist von Herodes-Gestalten, die lange Schatten über unser Leben werfen, dennoch ist da etwas, was stärker ist als er. Und das ist das kleine Kind, die Inkarnation der Liebe, die Herodes nicht töten konnte, die er nicht von der Erde oder dem Himmel entfernen oder sonst wie unschädlich machen konnte. Was Herodes wollte, ist an sich nicht so unverständlich. Er wollte gerne selbst bestimmen über sich selbst, über andere, über die ganze Welt. Er wollte so gesehen nur selbst Gott sein. Und der einzige Weg, den er sah, war der Weg der Gewalt und der Macht.  Als Mensch wollte er gerne Gott sein. Das wollen viele. Es mag sein, dass wir unmittelbar nicht so schlimm sind wie Herodes, aber Macht wollen auch wir gerne haben. Wir alle haben einen kleinen Herodes, der in uns wohnt. Viele von uns wollen gern selbst über unser eigenes Leben bestimmen, unseres eigenen Glückes Schmied sein, wie es heißt, oder Redakteur unseres eigenen Lebens sein, Herr im eigenen Haus. Eben deshalb aber ist das Kind im Stall geboren, und Gott wurde Mensch in diesem Kinde. Gott wurde Mensch, nicht damit der Mensch Gott werden, sondern damit der Mensch Mensch bleibt und damit menschlich ist gegenüber anderen Menschen. Nicht damit wir zu in sich ruhenden Göttern im eigenen Leben werden und, noch schlimmer, Götter im Leben anderer! Indem Gott Mensch wurde, wies er uns den Weg nicht zu Macht und Größe, sondern zum Menschsein mit anderen Menschen und für andere Menschen. Das Gegenbild zu Herodes ist das kleine Kind in der Krippe. Herodes ist erwachsen und machtvoll, das Kind ist klein und dem Gutdünken der Welt ausgeliefert. Herodes glaubt, er sei Gott, das Kind ist Gott. Herodes ist der große König in der Hauptstadt Jerusalem. Jesus ist das unbedeutende Kind in der kleinen Provinzstadt Bethlehem, das Kind, dem die Macht und Gewalt und Bosheit des Herodes nichts anhaben konnten. Denn das Böse hat nie das Letzte Wort in der Welt, die von Gott geschaffen ist. Das letzte Wort hat Gott, und das ist Liebe. Deshalb kam er in Ohnmacht zur Welt. Das ist vielleicht die einzige Sprache, die einzige Tat, die die Bosheit nicht versteht und nicht beherrschen kann und deshalb auch nicht besiegen kann. Die Bosheit kann nicht verstehen, dass es etwas gibt, das größer ist als sie selbst. Und deshalb kann die Bosheit von etwas so scheinbar Unbedeutendem wie einem kleinen Kind besiegt werden. Aber war für ein Kind! Er vergilt nicht Böses mit Bösem, sondern mit all dem, was Liebe umfasst. Amen.

 

Pastorin Leise Christensen

DK 8200 Aarhus N

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