Der verborgene Mut des Sperlings…

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Der verborgene Mut des Sperlings…

Der verborgene Mut des Sperlings und der notwendige Trotz der Existenz | Matthäus 10,24-31 (dänische Perikopenordnung) | verfasst von Anne-Marie Nybo Mehlsen | aus dem Dänischen übersetzt von Eberhard Harbsmeier |

 

Fürchtet euch nicht! Gott hat alles im Griff. Er hat unsere Haupthaare gezählt – und auch die, die wir verloren haben – und die grauen und weißen. Er bewahrt die Milchzähne auf und die Kinderzeichnungen, zeichnet unser Lächeln und die Küsse anderer Menschen als Hautfalten. Unsere Tränen bewahrt er auf in einem Ledersack, Gott kennt die Zahl und weiß alles, was wir verlieren, er nimmt sich des Verlorenen an, des Verfallenen und Entfallenen.

Fürchtet euch nicht vor dem, was passieren kann und was kommen kann – Verfolgungen, Leiden, Tod. Wir teilen Geschick und Schicksal mit Jesus, der uns voranging. Und ein Jünger steht nicht über seinem Meister.

Fürchtet euch nicht!

Wie können wir denn ohne Furcht sein? Wie sollen wir der Hungersnot trotzen, Kriegen, dem Wüten der Krankheit, dem Klimachaos, Zerstörungen und Angstdiagnosen? Der Kälte des Herzens und der Ablehnung von Menschen? Dem Zweifel? Dem Zweifler? Wie können wir ohne Furcht davor sein, dass wir zugrunde gehen und auf die Erde fallen wie ein Sperling?

Seht auf den Sperling, den kleinen Vogel – ist der furchtlos? Naja – klar, der fürchtet sich vor der Katze und dem Raubvogel – die können sein Leben im Handumdrehen beenden. Das muntere Hüpfen des Sperlings im Staube und das laute Zwitschern im Chor mit anderen kleinen Vögeln kann man als poetische sorglose Morgenstunde am See Genezareth sehen. Aber das ist auch ein Existenzkampf fürs Überleben und ein ständiger Ruf nach dem Schutz durch die Gemeinschaft.

Wir verstehen den Sperling besser als wir wissen in diesen Zeiten, wo die Gefahr allgegenwärtig ist. Die Gefahr der Ansteckung, die potenzielle und unsichtbare Gefahr mit all den Veränderungen und der Krise, die das mit sich bringt.

Trotzdem leben wir einigermaßen sicher und geborgen, besser als die meisten. Wir fürchten uns nicht besonders im Alltag, aber wir wappnen uns mit geduldigem Mut – mit Geduld und Vorsicht. Wir verlassen uns auf den Schutz der Gemeinschaft in der täglichen Zusammenarbeit, dass wir aufeinander aufpassen, so wie bei den Verkehrsregeln im Straßenverkehr. Wir gewöhnen uns an einen neuen Lebensstil, wir passen uns an.

Aber es war nicht die alltägliche Furcht, von der Jesus sprach – es waren die Verfolgungen, Verstoßungen, die Lebensgefahr der Jüngerschaft. Spricht uns das an?

In diesem Teil Europas brauchen wir uns nicht zu fürchten, wenn wir zum Gottesdienst gehen oder wenn wir sichtbare Zeichen unseres Glaubens wie z.B. ein Kreuz an der Halskette tragen oder einen Fisch an dem Auto angebracht haben. Das erweckt keinen Anstoß.

Mehr Aufsehen erregt es, wenn wir uns daran machen, von unserem Glauben zu reden. Das kann geradezu zu einer Diskussion führen, einer heißen Debatte in der Zeitung, einem kleinen Streit.

Würden wir Verfolgungen standhalten? Würden wir schweigen und uns verstecken wie ein bedrängter Sperling? Denn ein gemurmeltes oder stummes Vaterunser ein paar Mal täglich, das verändert wohl nicht die Welt.

Die Korona-Krise offenbart eine größere unerwartete Furchtsamkeit. Wir feierten keine Gottesdienste mehr in den Kirchen. Und die Sperlinge hüpften umher im Staub der Erde, um ein Korn zu finden, etwas von dem man leben kann. Der Glaube fand seinen Ausdruck zu Hause und im Netz und im Freien, wo wir noch immer in die Kirche und zum Friedhof gehen konnten. Plakate lesen, Spuren der Verkündigung entdecken. Ostern wurde zu einer Prüfung in der Sichtbarmachung der Botschaft. Der Glaube der Kirche fand seinen Weg in die Gemeinschaft. Mit einem Mal waren wir zurück in den Sperling-Spuren der ersten Christen, wenn auch unter ganz anderen und trotz allem an genehmeren Bedingungen. Der Glaube musste seinen Weg finden, musste herauskommen und deutlich gemacht werden und von Türmen und Dächern ausgerufen werden.

Die ersten Jünger bekamen zu spüren, dass die Juden sie für ungläubig hielten – und falsche Lehre und falschen Glauben verbreiteten.  Und dass die Römer sie für staatsfeindliche Wirksamkeit hielten. Später wurde es schlimmer in Form von Verfolgung mit Folter und Todesstrafe. Staatsmacht. Aber die Kraft des Glaubens ließ sich nicht verbergen oder verschweigen.  – Hausgemeinden, geheime Versammlungen mit Gesang und Lesungen von Briefen, Erzählung von Geschichten darüber, was Jesus gesagt und getan hatte, gemeinsame Mahlzeiten und Tischgemeinschaften und Menschen, die alles teilten, was sie hatten, und die halfen, wo sie nur konnten. Die Christen standen in dem Ruf, dass sie halfen, Gutes taten und nicht Böses mit Bösem vergalten.

Ohne das vergleichen zu wollen – aber es gibt doch Gemeinsamkeiten. In der nun überstandenen Krise und dem Lockdown fanden wir Wege im Internetz und schufen Sperlingspuren im Alltag mit Telefonanrufen und Gartenbesuchen, Gesprächen über die Hecke und mit „homemade“ Andachten. Das blieb nicht unbemerkt, und wir erweckten Interesse in der Presse – und auch Kritik in den großen Tageszeitungen, die darauf aufmerksam machten, dass die Pastoren weniger zu tun hatten als sonst. Man kann sich ja dann selbst denken, was die Pastoren denn dann so gemacht haben.

Ein kleiner Sperling, der irgendwo zwitschert, ein kurzes und kleines Leben, bis er scheinbar spurlos zur Erde fällt. Er passt auf den Sperling auf? Und wer passt auf den kleinen Glauben auf, das gefährdete Vertrauen, die bebende Taube, die nicht richtig weiß, ob es angehen kann. Sich den Mut zu nehmen und den Trost und laut zu zwitschern von Glauben, Sehnsucht und Vertrauen?

Fürchtet euch nicht! Sagt Jesus und lädt ein zu Trotz und Aufstand gegen jede Resignation im Leben. Und wir sind mehr wert als viele kleine Vögel. Und selbst wenn wir fallen, sind wir bei dem unsichtbaren aber stets gegenwärtigen Vater.

Das sollte uns eine gewisse Zuversicht und Unverzagtheit im Leben schenken. Wir sind Kinder der Freiheit mit vielen Möglichkeiten! Sollten wir irgendeinen Feind fürchten? Oder gar einen Feind fürchten, der Leib und Seele in den Flammen der Hölle vergehen lassen kann? Glauben wir wirklich daran? Rechnen wir damit? Oder was?

Sind das die Gedanken, die uns mitten in der Nacht wach werden lassen und uns rastlos beschäftigen?

Wohl kaum! Nicht im Alltag. Wir haben gründlich gelernt, dass wir uns nicht fürchten sollen. Das man jeder Furchtsamkeit trotzen soll. Wir sind angespornt zum Widerstand gegen jede Kränkung unseres freien Rechts zu denken und auszusprechen, was wir auf dem herzen haben.

Trotzdem fürchtet die Gemeinschaft mehr als gut ist, dass jemand zu stark redet, es zu laut über den Dächern ruft.

Es wird auch leicht zu schrill und künstlich, wenn gerufen wird. Besonders wenn es als eine Androhung von Strafe klingt, wenn man nicht gehorcht. Diese Form von Mission hat nie – recht lange – Erfolg gehabt.

Es gibt keine Verkündigung, keine Mission, die wirkt, wenn sie nicht einzig und allein in Christus gründet und damit ein lebensschenkendes Engagement für den anderen Menschen und ein aufrichtiger Wille zum Guten ist, ohne Hintergedanken an Gewinn und Eigenlob.

Deshalb ist es auch nur möglich zu überzeugen, indem man natürlich ist, ungekünstelt, unverstellt – wenn nur einfach der ist, der man ist mit dem Glauben, der das Herz füllt und deshalb auch das Tun bestimmt. Es ist das Werk des Heiligen Geistes, die Sache zu übernehmen, und das erfordert, dass wir selbst zurücktreten und nur uns selbst erfüllen und mit uns handeln lassen. Der Glaube kommt aus dem Hören; und aus den Konsequenzen – oder mit anderen Worten den Werken – aus dem, was gehört wird.

Was haben wir zu fürchten? Letztlich kann die Furcht nur in einer Vorstellung beruhen, dass Gott ein strafender, zorniger und eifriger Richter ist, der sein eigenes Werk der Verdammnis preisgibt. Diese Furcht ist ganz und gar Sünde! Furcht ist Misstrauen zu Gott, und die Furcht ruft laut von all dem, was der Lügner, der Fälscher, Beelzebul oder Satan (der Teufel hat viele Namen) uns am liebsten glauben machen will.

Christus zeigt uns ein anderes Gottesbild, einen anderen Zusammenhang zwischen Herz, Tun und Konsequenz. Er zeigt uns einen Vater, der das bebende Herz eines Sperlings in der Hand hält und für Menschen sorgt mitten in einer Welt von Grauen und Schrecken und Fall. Er ist der Retter der Verlorenen, er gibt sein Leben für Sperlinge, Schafe und für uns. Es besteht Grund für Zuversicht und Mut. Grund zu Vertrauen – und für den rinnende Bach der Dankbarkeit und der Liebe, die das in uns bewirkt. Dann finden wir nämlich einen Weg, auch wenn es nicht möglich ist, sich zu einem Gottesdienst zu versammeln, und es schwer wird. All die Diakonie und Kreativität, die während der Krise mit ihren Restriktionen zum Vorschein kam, war nicht eine Erfindung des Pfarrers, es war der Glaube und das Vertrauen der Kirche auf das, was Jesus mit seinem ganzen Leben als Einsatz in die Welt hineingerufen hat. Eh e er wie ein Sperling sein Leben getrost in die Vaterhand gab, die ihn auferweckte – und auch uns zum Leben erweckt – zur Tat. Zur Ewigkeit. Amen.

 

Pastorin Anne-Marie Nybo Mehlsen

DK-4100 Ringsted

Email: amnm(a)km.dk

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