Die Leiblichkeit des Geistes

Home / Bibel / Neues Testament / 04) Johannes / John / Die Leiblichkeit des Geistes
Die Leiblichkeit des Geistes

Die Leiblichkeit des Geistes – zur Wiedereinweihung einer Kirche | Johannes 6,44-51 (Dänische Perikopenordnung) | verfasst von Thomas Reinholt Rasmussen | aus dem Dänischen übersetzt von Eberhard Harbsmeier |

 

Etwas vom deutlichsten in der dänischen Landschaft – vielleicht so deutlich, dass wir es manchmal kam sehen – sind die dänischen Kirchen. Sie stehen überall in der Landschaft und zeugen von einem Glauben, der so bedeutend war, dass er in Stein und schwere Steinblöcke gehauen werden musste. Man musste Häuser aus Stein bauen in einer Zeit, wo die Leute vielleicht in ganz anderen Gebäuden wohnten.

Das war eine große Leistung, alle diese vielen Kirchen zu bauen. Von 1100 bis 1200 erbaute man etwas 2000 Kirchen aus Stein, das sind etwa 20 im Jahr. Das ist beeindruckend. Die Kirchen sind das Handgreiflichste, das aus dieser Zeit erhalten ist. Fast keine anderen Gebäude sind aus dieser Zeit erhalten. Aber überall in der Landschaft stehen nun 2000 Kirchen und zeugen von der Bedeutung des Glaubens.

In der ersten christlichen Zeit hatte man natürlich keine Häuser, die speziell als Kirchen eingerichtet waren. Da benutzte man Wohnhäuser, wo man sich versammelte, wie wir dies in der Lesung des Tages aus der Apostelgeschichte hören. Man versammelte sich zuhause zum Abendmahl und der Verkündigung des Wortes.

Aber allmählich, als sich der christliche Glaube ausbreitete im römischen Reich und mehr und mehr in der Bevölkerung Fuß fasste, begann man auch Häuser zu bauen, die eigentliche Kirchen sind. Die ältesten Kirchen, die wir kennen, stammen etwas aus dem vierten Jahrhundert, auch wenn man an vielen Orten Hauskirchen gefunden hat, die noch älter sind.

Man musste prächtige Häuser bauen, die den Rahmen für den Glauben und all die schönen Dinge bildeten, von denen erzählt wurde. Beides sollte zueinander passen.

Und das Haus hier, das wir heute neu eröffnen nach einer langen Renovierung und Erneuerung, gehört in diese große Tradition. Ein Haus des Glaubens aus Stein, denn der Geist erhält immer einen Leib. Selbst an Pfingsten, als sich die Apostel versammelten, erhält der Geist Leib als Zungen von Feuer, und die setzen sich auf jeden von ihnen. Auch bei der Taufe Jesu erhält der Geist einen Leib in der Form einer Taube, und bei jeder Taufe ist der Geist handgreiflich im Wasser der Taufe. Der Geist hat im Christentum stets einen Leib.

Im Christentum hat der Geist einen Leib. Deshalb bauen wir Kirchen, und deshalb sind Häuser aus Stein wichtig.

Wir haben gerade ein Frühjahr erlebt, in dem die Kirchen geschlossen waren. Die Häuser waren geschlossen, denn wir mussten auf einander aufpassen und konnten deshalb drinnen keine Gottesdienste halten. Wir konnten weiter predigen und verkündigen, und dies geschah in großem Maße über das Internetz und in den sozialen Medien sowie im Radio und im Fernsehen. Aber wir haben auch erfahren, dass dies nicht dasselbe ist. Der Glaube verlangt nach Leiblichkeit. D er Geist fordert Leib. Wir müssen einander begegnen.

Und deshalb haben wir diese Häuser, die wir hin und wieder erneuern, so dass sie den Anforderungen der Zeit und den Bedingungen der Verkündigung entsprechen, und so ist es auch mit diesem Haus. Herzlichen Glückwunsch mit der Renovierung und Erneuerung der Sankt Hans Kirche.

Es ist von entscheidender Bedeutung, dass der Glaube einen leib bekommt und das der G eist Leib wird. Im heutigen Evangelium spricht Jesus von dem lebendigen Wort, das vom Himmel kommt. Es genügt offenbar nicht, sich nur zum Geist zu verhalten in einer unsichtbaren Weise, wie dies auch geschehen mag. Man muss das lebendige Brot empfangen, das Jesus selbst ist. Sichtbar und handgreiflich.

So ist der Geist im Christentum immer konkret, und wir erfahren ihn im Wasser der Taufe und dem Brot und Wein des Abendmahls. Wir sind keine schwebenden Geister, und wir sind nicht ohne Körper. Wir müssen auch den Leib in Bezug auf den Geist spüren, und deshalb begegnen wir Christus in Wasser, Brot und Wein. Das ist Christus auf Erden.

Denn Gott ist Liebe, und diese Liebe wird leiblich in der Taufe und im Abendmahl. Hier werden wir von der Liebe ergriffen, die wir selbst mit all unserer Kraft in der Welt wiederspiegeln sollen. Und hier ist der Leib des Glaubens.

Das müssen wir dann vertiefen:

Vor ein paar Jahren redete ich mit einer Kunsthistorikerin, die die katholische Kunst des Mittelalters studierte. Er klagte darüber, dass das protestantische Christentum zu wenig Leib habe, wie er sagte. Alles war nur Worte und Töne. Sie meinte, der katholische Gottesdienst sei körperlicher. Das ist möglich, aber das entscheidende ist ja, dass der Leib des Christentums nicht weg oder verschwunden ist. Der Leib des Christentums ist ja der Mensch, dem wir auf unserem Weg begegnen, und der Mensch, den wir lieben und daran erinnern sollen, dass er von Gott geliebt ist. Immer wenn ich höre, dass Leute sich darüber beklagen, dass das Christentum in unserer Version zu körperlos sei, denke ich daran: Dieser Leib des Christentums ist ja unser konkreter Nächster, und es geht nur darum, sich ans Werk zu machen.

Denn der Geist hat im Christentum einen Leib. Das ist keine luftig schwebende Größe. Immer wenn das Christentum in der Kirche spirituell wurde, ist es ärmer geworden. Christentum bedeutet ja Geist, der leiblich geworden ist, sowohl in dem Menschen, dem wir begegnen, als auch in der Kirche, in der wir heute sitzen. Alles ist Leib und bringt zum Ausdruck, dass der Glaube lebendig ist und uns etwas angeht.

Darum soll man unsere Kirchengebäude nicht gering achten und glauben, man könne alles draußen auf dem Markt oder in den sozialen Medien realisieren. Das Frühjahr hat uns jedenfalls gezeigt, dass das nicht wahr ist. Der Glaube verlangt Leiblichkeit. Die Verkündigung erfordert einen physischen Raum.

So redet Jesus von sich selbst als dem lebenden Brot. Wir begegnen ihm heute im Abendmahl. Hier wird er uns konkret und direkt geschenkt. Hier begegnet er uns in der Leiblichkeit von Brot und Wein. Als der konkrete Leib der Liebe, der über uns selbst hinausweist, auch zu unserem Nächsten und bis hin zum ewigen Leben. Amen.

 

Propst Thomas Reinholdt Rasmussen

DK 9800 Hjørring

Email: trr(at)km.dk

de_DEDeutsch