Die Seele zum Klingen bringen

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Die Seele zum Klingen bringen

Predigt zu Lukas 14,25-35 (dänische Perikopenordnung) | verfasst von Tine Illum | aus dem Dänischen übersetzt von Eberhard Harbsmeier |

In der orientalischen Erzähltradition, in die Jesus gehört, treibt man die Dinge oft auf die Spitze, um das Verständnis zu erleichtern oder um zu provozieren. Da sieht man gerne eine Schockwirkung, so dass die Leute auch zuhören. Auch heute reißt Jesus uns, wenn nicht von den Sitzen, so doch vom Sofa bzw. der Kirchbank.

Da waren immer Menschen in der Nähe von Jesus. Nun wendet er sich zu ihnen und sagt: „Wenn ihr euch mir anschließen wollt, dann müsst ihr mit eurem Vater und eurer Mutter, euren Brüdern und Schwestern, euren Frauen und Kindern brechen und euer eigenes Leben aufgeben. Sonst könnt ihr nicht meine Anhänger sein. Wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und bereit ist, mit mir in den Tod zu gehen, der kann nicht mein Anhänger sein.

Wenn einer von euch einen Turm bauen würde, würde er sich dann nicht erst hinsetzen und berechnen, was das kostet, so dass er sehen kann, ob er sich das leisten kann? Sonst kommt er ja in die Lage, dass er nur das Fundament gelegt hat und den Turm nicht fertigbauen kann. Dann würden alle, die das sehen, ihn auslachen und sagen: „Seht den Mann, der das nicht vollenden kann, was er begonnen hat“.

Oder stellt euch vor, dass ein König plant, gegen einen anderen König in den Krieg zu ziehen. Wird er nicht erst überlegen, ob er mit seinen zehntausend Leuten stark genug ist, gegen den anderen König mit dessen zwanzigtausend Mann anzukommen? Wenn er das nicht kann, muss er eine Delegation losschicken um zu hören, was die Friedensbedingungen sind, während der Feind noch weit weg ist. So ist es also: Keiner von euch kann mein Anhänger sein, ohne auf all das zu verzichten, was er besitzt. Salz ist gut, aber wenn es seine Kraft verliert, kann es nicht mehr Salz sein. Man kann es zu nichts gebrauchen, man kann es gleich wegwerfen. Es ist wichtig, dass ihr versteht, was ich sage (Lukas 14,25-35).

„Uha!“ – sagte ein Freund gestern. Er hatte gerade gefragt, worum es in dem heutigen Bibeltext geht. „Uha!“. Ja, was in aller Welt sollen wir mit dem anfangen, was wir hier hören?

Und was sollten die Leute damals damit anfangen? Jesus hat ja kurz zuvor davon gesprochen, wie wichtig es ist, mit Regeln und eigenen Vorstellungen zu brechen – für das Lebens. Leben ist wichtiger als Dogmen. Lieben heißt, dass man das Leben will. Und er hat erzählt, dass Gott all an seinen himmlischen Tisch einlädt. Und kurz nach dem, was wir hier gehört haben, erzählt er drei kleine Geschichten, dass Gott sucht und findet und nicht aufgibt.

Wenn wir uns gemütlich zurechtgesetzt haben – ja dann wird jetzt der Boden unter uns heiß.

Auf dem Bild im Liederblatt sehen wir das Bild einer Inschrift auf der Kirchenglocke im im Michaeliskloster in Hildesheim. „Die Seele zum Klingen bringen“, steht da. Die Kirchenglocke soll das Schweigen in meiner Seele brechen, dass daher kommt, dass einfach kein Klangraum da ist. Meine Seele ist voll von meinen eigenen Plänen, von mir selbst und mir selbst und mir selbst – und nur wenigen anderen. Meine Ohren sind voll von dem, was angenehm zu hören ist und verschlossen in Bezug auf das, was mich herausruft. Da ist Lauheit in meinem Gemüt und Vorsicht in meinen Worten, und allzu oft sehe ich wie in einem Tunnel und sehe nur eben das, was ich am liebsten sehen will.

Die Kirchenglocke ruft mich – und wenn ich es wage, sie in mein Ohr dring en zu lassen – und in das, was ich zwischen den Ohren habe, in meine Seele, dann lässt sie in meiner Seele das nachklingen, was im Gottesdienst geschieht – an Verheißung und Berufung, Vergebung und Lebensmut, Barmherzigkeit und Liebe. Ein zarter Nachklang des Himmels. Das ist genug.

Tragt euer Kreuz, sagt Jesus. Seid bereit, euer eigenes Leben hinzugeben. Und verstehen sie nicht, was das jetzt bedeutet, dann werden sie es jedenfalls nach Ostern verstehen.

Gebt euch hin in eine unbekannte Welt zusammen mit mir. Da ist nicht Wasser zu Wein jeden Abend, nicht umsonst Fisch und Brot jeden Tag. Oder ein leichtes Leben. Da sind auch schwere Zeiten. Vielleicht Krankheit, so wie wir das in diesen Monaten erleben. Keine mirakulösen Heilungen. Menschen sterben. Da sind Tage, wo man von ernsten Dingen reden muss. Tage, wo wir nichts verstehen.

Ihr sollt Gott vertrauen. Auch an diesen Tagen, sagt Jesus. Ihr sollt einen offenen Blick haben und nicht nur auf euch selbst und das starren, was ihr habt. Denn sonst werdet ihr Gott nach eurem eigenen Bild schaffen und vergessen, dass ihr nach seinem Bilde geschaffen seid.

Und heute geht er nun gerade dahin, wo es am meisten wehtut, in das Verhältnis zu denen, die uns am nächsten sind. Da wo wir unsere größte Geborgenheit herholen – und wo wir auch die größte Trauer erfahren, wenn Unglück oder Streit und Bitterkeit in dieses Verhältnis einbricht. Und Jesus sagt: Da ist viel mehr. Viel mehr als ein glückliches Familienleben und das, was manche „christliche Werte der Familie“ nennen. Ja, wenn deine Liebe nur denen gilt, die dir am nächsten stehen, dann hat das nichts mit dem christlichen Glauben zu tun.

Ein Kollege hat einmal gesagt: Wo kommen eigentlich die christlichen Familienwerte her, von denen die Leute immer reden? Wir wissen ja fast nichts von der Familie Jesu – also abgesehen davon, dass die Eltern auf einer Reise nach Jerusalem ihren Sohn vergaßen und dies erst nach drei Tagen bemerkten. Und als sie ihn fanden, widersprach er ihnen und wollte eigentlich nicht mit nach Hause.

Er geriet in schlechte Gesellschaft und ging weg von zuhause. – uns als seine Mitter ihn aufsuchte und zur Vernunft bringen wollte, sagte er, dass seine Familie all die sind, die man ihn glauben, und nicht speziell sie.

Die einzige Fürsorge für seine Mutter, die wir von Jesus hören, ist die, als er am Kreuz Johannes und Maria bittet, sich einander anzunehmen als Mutter und Sohn – und das ist ja, muss man sagen – ziemlich spät!

Als er das sagt, was wir heute gehört haben, ist er auf dem Wege nach Jerusalem, wo die Machthaber – die politischen wie die religiösen – ihn stoppen und am liebsten beseitigen wollten. Das weiß er sehr wohl. Nur wenig später hat er Todesangst – dort im Garten Gethsemane. Zugleich wissen wir, dass er die Kraft hatte, dem Weg der Liebe zu folgen und sogar sein eigenes Leben hinzugeben.

Von den Jüngern wissen wir, dass sie Angst bekamen, als es darauf ankam. Ihnen fehlte die Kraft der Liebe. Sie verrieten ihn, verleugneten ihn und versteckten sich. Genauso wie ich es auch getan hätte.

Als Jesus auferstand, trat er direkt ein in ihr Leben – und sie verstanden, dass ihnen ihre Feigheit und ihr Versagen vergeben war. Dass ihnen ein neuer Anfang geschenkt war – so wie wir ihn erhalten, wann immer wir aus der Kirche mit dem Segen im Rücken geschickt werden: „Der Herr segne dich …“.

Es nützt nichts, dass wir sagen, Jesus hatte wohl keine gute Familie oder damals einen schlechten Tag, und deshalb besteht kein Grund, auf solche harten Worte zu hören, wie wir sie heute hören. Nein, wir können sicher davon ausgehen, dass Jesus gemeint hat, was er sagte. Und das bedeutet, dass ich genötigt bin, dem in die Augen zu sehen, was ich am liebsten übersehe: Alle meine Liebe zu meiner Familie kann ein Familien-Egoismus werden, meine Freundschaften eine geschlossene Gesellschaft, so dass ich keinen Blick habe für andere und sie nicht einbeziehe.

Das ist eine Forderung an uns heute: Deine Liebe soll nicht nur deinen nächsten Angehörigen gelten, sondern auch denen, um die sich sonst keiner kümmert. Du sollst deinen Feind lieben, sagt Jesus einmal ganz direkt.

Das ist eine Forderung – und zugleich eine Verheißung, ja vor allem eine Verheißung: Die Verheißung für die dunkelsten Tage, wo du dich übereilst und die Worte in deinem Mund hart werden, die Nächte, wo du nicht schlafen kannst wegen all deinem Versagen und aus Bitterkeit – auch da gehörst du zusammen mit Christus.

Die Verheißung dass du dann, wenn du wirklich versagt hast – wenn deine Welt zusammenbricht, wenn die Bande zu deinen Lieben, die du für unzerbrechlich hieltest und die dich aufrecht erhielten, durch einen Todesfall zerbrechen – oder eine Scheidung, Konflikte oder Elend – dass du da unsichtbar von einem unsichtbaren Band zwischen Gott und dir gehalten wirst.  Das liegt in deiner Seele als ein Klang und eine Verheißung.

Bist du ganz allein – ja dann bist du das dennoch nicht. Das ist das Evangelium. Du gehörst zusammen mit Gott. „Du gehörst dem gekreuzigten Herrn Jesus Christus“, hieß es, als du getauft wurdest.

Darauf darfst du vertrauen. Damit darfst du leben und sterben. Das soll in deiner Seele klingen, wo du auch bist – bis an das Ende der Welt. Amen.

Pastorin Tine Illum

DK-6091 Bjert

Email: ti(at)km.dk

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