Es gibt keine Hintertür zu einem Menschenherzen

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Es gibt keine Hintertür zu einem Menschenherzen

Predigt zu Jona 2 und Matthäus 12,31-42 (dänische Perikopenordnung) | verfasst von Peter Fischer-Møller | aus dem Dänischen übersetzt von Eberhard Harbsmeier |

 

Die Tage mit den hellen Nächten sind nun bald vorbei in diesem Jahr. Um zehn Uhr ist es dunkel, und es wird erst wieder hell um vier Uhr. Als Kind habe ich den Sommer mit seinen hellen Nächten geliebt, und mir wurde immer etwas mulmig, wenn wir hier zum Ende des Monats August kamen und es deutlich wurde, dass die Nächte nun nur noch dunkler und länger wurden – und das würde so weitergehen bis hin zu Weihnachten. Ich hatte nämlich Angst vor der Dunkelheit.

Die habe ich nicht mehr – aber dafür kann ich – wie die meisten Erwachsenen – Nächte erleben voller dunkler Gedanken und unruhiger Träume, Nächte, die sich anfühlen, als wäre man von einem gewaltigen Meerestier verschluckt, Nächte, wo man sich einsam fühlt und Angst hat und keinen rechten Sinn in irgendetwas finden kann.

Nach so einer Nacht kommt das Morgengrauen wie eine Befreiung. Das ist, wie wenn man von dem nächtlichen Wal-Fisch auf den Strand gespuckt wird und einem ein neuer Tag geschenkt wird, wo wir einander sehen und miteinander reden und uns über das Leben freuen können.

Hier sind auf dem Trockenen, noch ein Tag ist und geschenkt.

Man kann das als ein Zeichen sehen, das wir erhalten, ein Zeichen dafür, dass Gott existiert, ein Zeichen für die Gnade und Liebe Gottes.

Wenn wir uns zum Gottesdienst versammeln, so eben um einander zu helfen und Hilfe von Gott zu erhalten, diese Zeichen zu deuten. Wenn wir uns gerade am Sonntag versammeln, so deshalb, weil der Sonntag der Tag der Auferstehung ist, weil Jesus am Ostersonntag von den Toten auferstand, erlöst wurde, nicht nur von der Sorge und Unruhe der Nacht, sondern von der Finsternis des Todes, ein Zeichen dafür, dass uns nun nichts von jemals von der Liebe Gottes trennen wird. Es ist Sonntag, wir leben und existieren. Hier in der Kirche üben wir uns darin, die alltäglichen Zeichen zu deuten.

Hole Luft, spüre die Bewegung der Brust auf und nieder! Jeden einzigen Morgen, jeder einzige Atemzug ist in Wirklichkeit ein kleines Wunder!

Aber oft sind wir gleichsam blind gegenüber den Lebenszeichen Gottes.

Dass wir am Leben sind und vielleicht sogar gesund sind und Arbeit haben und genug zu essen haben und ein Dach über dem Kopf und Menschen um uns herum, die uns lieben – das sehen wir so leicht als das Selbstverständlichste von der Welt. Als etwas, zu dem wir berechtigt sind und auf das wir Anspruch haben.

Schwarzseher sind wir vielleicht nicht, aber vielen von uns fällt es leichter, die Fehler zu sehen als das Phantastische. Die Zeitungen sind voll von all dem, was nicht in Ordnung ist, all dem, was in der Welt schiefläuft. Und wir fragen uns selbst und einander: Warum lässt Gott das zu? Warum greift er nicht ein? Sind hier nicht deutliche Zeichen dafür, dass es gar keinen Gott gibt? Aber steht es wirklich so schlimm? Sind da nicht bessere Geschichten zu erzählen? Eine Reihe von wohltätigen Organisationen und Leute von er Entwicklungshilfe wollen uns dazu helfen. Sie haben eine Kampagne ins Leben gerufen: „Die besten Nachrichten der Welt“. Sie beginnt hier im September, und da erfahren wir unter anderem, dass die Armut in der Welt faktisch rückläufig ist und dass mehr Kinder al je zuvor eine Ausbildung erhalten. Und dass es etwas nützt, den Notleidenden und sozial Benachteiligten zu helfen und Entwicklungshilfe zu geben.

Dass es Mitgefühl und Freigiebigkeit gibt, die kleine Lichter in der Welt anzünden, Lichter göttlicher Gegenwart vielleicht. Aber wagen wir es, daran zu glauben?

Die schlauen Leute im Evangelium von heute wollten auch gerne klare Zeichen haben, an die sie sich halten konnten. Ja, am liebsten hätten sie Beweise. Beweise dafür, worum es Jesus eigentlich ging. Denn es war natürlich ganz in Ordnung – wie sie gesehen hatten – dass ein Blinder wieder sehen konnte, aber vielleicht war das ja nur ein Zufall, vielleicht nur ein smarter Trick. Vielleicht war an dem, was Jesus da betrieb, in Wirklichkeit etwas unheimlich.

Aber Jesus antwortet, dass sie kein anderes Zeichen bekommen als das des Propheten Jona. Und was ist das für ein Zeichen?

Jona kennen wir aus dem Alten Testament. Eine herrliche Geschichte, zweitausendfünfhundert Jahre alt.

Der Name Jona bedeutet: „Gott hat gnädig gehandelt!“ Aber gerade mit der Gnade Gottes hat Jona in Wirklichkeit seine Schwierigkeiten.

Jona erwacht plötzlich an einem Morgen und ist sicher, dass Gott mit ihm geredet hat. Gott will ihm zu der großen bösen Stadt Ninive schicken, um das Gericht über die dortige Bevölkerung zu verkünden.

Aber Jona hatte Angst, Angst davor, so scharfe Worte so schlimmen Leuten zu verkünden. Deshalb steckte er seine Finger in die Ohren, nahm ein Schiff und fuhr in die andere Richtung.

Da kam ein gewaltiger Sturm auf. Die Seeleute waren sich darüber klar, dass sich ein Unheil anbahnte, und sie warfen das Los, um den Schuldigen zu finden. Das Los fiel auf Jona, den die deshalb über Bord warfen. Aber Gott zeigte sich gnädig, er rette Jona vor dem Ertrinken, er ließ ihn von einem Wal schlucken. Und er durfte innen im Bauch des Wals drei Tage und drei Nächte sitzen, ehe der ihn an Land spuckte.

Dann endlich zieht Jana nach Ninive. “Ihr seid böse und gottlose Leute. In vierzig Tagen ist eure Stadt zerstört!“ ruft er. Und dann geschieht ganz überraschend, dass die Leute tatsächlich zuhören. Die Einwohner Ninives bekehren sich. Gott beschließt, die Stadt zu verschonen. Und Jonas wird wütend. Wieso wird er losgeschickt, um Gericht zu verkünden, wenn das Gericht dann doch nicht stattfindet? Wozu Gott sagt, dass die Welt ja nicht Jona gehört und dass Gott das Recht hat, so inkonsequent und barmherzig zu sein, wie es ihm gefällt.

Als Jona sich am allermeisten aufregt, lässt Gott eine Ölpflanze wachsen, so dass sie Jona etwas Schatten geben kann da draußen in der sengenden Sonnenhitze. Gott will sich auch Jano gegenüber gnädig erweisen – aber auch hart. Er lässt die Ölpflanze eingehen, so dass Jona wieder der Sonnenhitze ausgesetzt ist, und als er seine Not klagt, sagt Gott zu ihm: Siehe, das ist ein Zeichen mehr für dich. So sollte es nach deinem Wunsch der Stadt Ninive ergehen, sie sollte nur untergehen, vertrocknen, aber ich wollte, dass Menschen in der Stadt blühen sollen, und dabei hast du mir geholfen. Dafür sei dir gedankt!

Die Geschichte von Jona ist eine Geschichte darüber, wie Gott in unserem Leben stets am Werke ist. Wir können es nur nicht immer sehen. Deshalb ist Jesus in die Welt gekommen.

„Und siehe, hier ist mehr als Jona!“ sag t Jesus von sich selbst. Wie ist das nun zu verstehen? Können wir fragen.

Ja, mit dem Kommen Jesu in die Welt hat sich etwas mit Gott selbst ereignet.

In der Erzählung von Jona ist Gott eine kommandierende Stimme, die den Gang des Geschehens bestimmt, die den Sturm schafft und den Wal Jona verschlucken lässt und den Wal nach Ninive schwimmen lässt. Hier ist Gott gleichsam eine Naturkraft.

Im Evangelium ist Gott ein Mensch geworden. Jesus begegnet Menschen in Augenhöhe, isst zusammen mit ihnen, teilt ihre Sorgen und Nöte und hört auf das, mit dem sie allein nicht fertigwerden.

In Jesus hat Gott wirklich Menschen gezeigt, was in dem Namen Jona lag, seine Gnade, seine geduldige, vergebende Liebe. Aber auch wenn das ein Zeichen ist, das mehr ist als Jona, so ist es noch immer kein Beweis. Denn wenn es um Gnade geht, um Liebe und Vergebung, dann kann es keine Beweise geben. Das wissen wir von uns selbst. Wie in aller Welt soll ich meine Liebe zu einem anderen Menschen beweisen können? Ich kann liebe Worte sagen und Blumen schenken, aber das alles kann ja auch falsch sein und ein Betrug. Es gibt keine Hintertür zu einem Menschenherzen, wir können nicht hinter die Worte und die Zeichen blicken, hier gibt es keine Beweise.

Und eben hier geht Jesus im heutigen Evangelium aufs Ganze. Er wird wütend und ungeduldig. Er schmeichelt sich nicht ein bei seinen Zuhörern. Und das könnte uns sehr wohl von den Stühlen reißen, wenn wir wirklich zuhören. Denn was sagt er da? Dass es Gotteslästerungen gibt, für die es keine Vergebung gibt. Und dass lauter böse Dinge aus dem Munde von bösen Menschen kommen. So etwas ist nicht besonders angenehm zu hören. Es ist in der Tat unangenehm. Aber höre einmal auf deine eigene Erfahrung und dein eigenes Gewissen. Dann wissen wir, dass er Recht hat. Wenn wir nicht an Vergebung glauben, dann gibt es in Wirklichkeit keine Vergebung.  Dann sind wir noch immer einander Feinde und nicht imstande, miteinander Frieden zu schließen. Unser Leben wird dann ein harter, gnadenloser und trauriger Ort sein.

Wenn das Böse uns ergreift, dann werden wir auch böse in unserem Mund. Denkt nur daran, wie Erbstreitigkeit, Scheidungen und Geldstreitigkeiten unser Leben verpesten können.

Hier ist es in der Tat an der Zeit, den Kurs zu ändern, indem man den Glauben an das Gute, die Vergebung und die Gnade Gottes findet. Das ist in der Tat das einzige, was uns befreien und retten kann.  Es geht also nicht darum, dass wir aus Versehen etwas sagen, und Gott dann so böse oder verärgert oder beleidigt wird, dass es kein Zurück mehr gibt.

Es geht nur darum, ob wir unsere eigenen Ohren verschließen oder ob wir hören wollen.

Gottes Gnade ist eine Realität in unserem Leben – auch wenn wir das nicht immer sehen können. Es ist ja ganz unglaublich: Ganz gleich wie selbstgefällig und gottlos wir uns verhalten und ausgedrückt haben, wir dürfen einen weiteren Tag leben. Das ist in sich selbst ein Zeichen, ein Zeichen dafür, dass wir– wie Jona – von Gott nicht aufgegeben sind. Er bleibt in der Tat dabei zu glauben und zu hoffen, dass wir ihm gehören wollen, dass wir daran glauben wollen, dass es Vergebung gibt für das, was wir – und andere – falsch machen, und Hoffnung für uns auch da, wo alles hoffnungslos aussieht.

Auf das Evangelium hören heißt hören, dass es eine Alternative gibt zu Finsternis und Bosheit. Die Geschichte Jesu ist das endgültige Zeichen dafür, dass es Sinn macht zu glauben, zu hoffen und zu kämpfen.

In der Alten Kirche war Jona im Bauch des Walfischs eines der beliebtesten Motive.  Für die Christen war eben dieses Bild ein Zeichen, das sie an ihren Gräbern und Särgen anbrachten. Um einander von der Auferstehung Jesu zu erzählen und von dem Weg, den er auch für uns bereitet hat aus der Finsternis und dem Tode in das Licht und die Liebe Gottes. Amen.

 

Bischof Peter Fischer-Møller

Roskilde

Email: pfm(at)km.dk

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