Jes. 9,1-6a; Lukas 2,1-14

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Jes. 9,1-6a; Lukas 2,1-14

Heiligabend | 24.12.22 | Jes. 9,1-6a; Lukas 2,1-14 (dänische Perikopenordnung) | Christiane Gammeltoft-Hansen |

Und es geschah in den Tagen, als sie im Finsteren wanderten.  Es war finster, als sie losgingen, und es war dunkel, als sie zurückkamen. Aber trotz fehlenden Lichts konnten sie dennoch ihre Dinge erledigen. Es geschah nämlich mitten in dem, was ihnen vertraut war. Dort wo sie die Namen der Wege kannten und sich selten verirrten. Aber nicht in dem Sinne, dass sie ihr Leben im Griff hatten. Dazu geschahen allzu viele unvorhergesehene Dinge. Wie nun auch das, was in den Tagen geschah, wo es wieder Weihnachten wurde.

Es war in der Zeit des Jahres, wo die Kinder auf Schnee hofften. Der ließ auf sich warten, aber die Kinder gaben nicht einfach ihre Wünsche auf, Sie warteten so lange wie nötig.

Und dann sahen sie deutlich auch mehr als das, was sichtbar war für einen erwachsenen Blick. Sie machten große Entdeckungen bei ganz gewöhnlichen Dingen. „Seht Derner“, riefen sie und zeigten auf alles von Fahrradlampen und wintermüden Stauden bis zu den Apfelsinen bei Netto. „Das heißt jetzt Sterne“, sagten die Erwachsenen. Aber die Kinder waren schon dabei, mehr schöne Dinge zu entdecken, die sie davon überzeugten, dass die Erfüllung ihrer Wünsche näher war, als andere es weismachen wollten. „Seht ne“ riefen sie und zeigten auf Straßenmarkierungen, Wasserpfützen und weiße Hunde, die vorbeigingen. „Nein“ – „und das heißt jetzt“ … sollten die Erwachsenen gerade sagen. Aber sie hielten sich zurück.

So geschah es im nahen Umfeld, wo sie Zuhause waren und ihr Leben lebten, wo die Tage kurz waren, und wo es „Derner“ gab. Zugleich aber geschah es in großem Stil. Es geschah dort, wo Menschen wohnten, die sie gar nicht kannten.

Oder das bedeutet, dass das nicht ganz stimmt. Denn das war das Besondere an den Tagen, wo es geschah, dass die Welt allen Ernstes zu einem gemeinsamen Ort wurde. Man sprach nicht mehr nur mit dem Nachbarn, dem auf der anderen Straßenseite und denen, die vorbeikamen. Man redete auch mit denen die weit weg wohnten – in anderen Städten, anderen Ländern und an Orten, die einem ganz fremd vorkamen.

Es geschah also in den Tagen, wo ein feinmaschiges Netz von Gesprächen die Welt verbunden hatte zu einem riesengroßen Gewebe. Ein Mädchen im Norden redete mit einem Jungen im Süden. Ein Mann im Westen fragte, wie es einer Frau im Osten ging. Zusammen stellten die vielen Gespräche die größte Gemeinschaft dar, die die Welt je gesehen hatte. Man chattete, skypte, twitterte und snappte, und bei seltenen Gelegenheiten schrieb man auch einen Brief.

Stimmen, die nie zuvor zu Worte kamen, erhielten plötzlich Redezeit. Ein pakistanisches Mädchen erzählte von ihrem Kampf für das Recht auf Ausbildung, ein amerikanisches Mädchen erzählte von ihrem Kampf für Waffenkontrolle, ein schwedisches Mädchen erzählte von ihrem Kampf für den blauen Planeten. Ja, nur das. Drei junge Frauen wurden starke Stimmen in einer Welt, die das nicht gewohnt war.

Und nicht nur die drei. Jeder hatte die Möglichkeit, mit dem zu kommen, was einem am Herzen lag. Was das war, woran man glaubte und worauf man hoffte. Wovor man Angst hatte und was einem den Mut wiedergeben konnte, wenn man ihn zeitweilig verloren hatte.

So war der Abstand zwischen Zentrum und Peripherie kürzer geworden. Und so erhielten die ein Wissen wie nie zuvor. Nie hatten sie so viel vom Leben der anderen gewusst. Und nie war es so deutlich, dass ihre Träume dieselben waren. Sie träumten alle vom guten Leben.

Und da geschah es. Da geschah es, dass ein Licht aufging. Es leuchtete über einem Stall, vielleicht als ein Zeichen dafür, dass die Kinder nicht so weit von der Wahrheit entfernt waren, wenn sie etwas Wunderliches selbst in ganz gewöhnlichen Dingen sahen.

Das war das verborgene Geheimnis des Daseins, auf das der Stern leuchte. Hin und wieder waren da zwar Leute, die sagten, dass sie alles durchschaut hätten. Aber die Sache war die, dass da niemand war, der das konnte. Nicht völlig jedenfalls. Denn es handelte sich eben um ein Geheimnis. Etwas, was sie nicht beherrschen konnten, was aber eben deshalb mit desto größerer Stärke in ihrem Leben wirken konnte.

So geschah es, dass die Botschaft sie wieder erreichte. Die Botschaft, dass die Liebe zur Welt gekommen war und die Hoffnung lebte.

Wie würde die Welt aussehen, wenn das Kind nie geboren wäre in der ersten Weihnacht der Welt? Hätten sie dann das gewusst, was sie jetzt wussten von Barmherzigkeit und Mitmenschlichkeit! Hätten sie dann die Träume gehabt, die sie vom Norden bis zum Süden, vom Osten bis zum Westen miteinander verbanden? Hätten sie da entdeckt, dass die Erde schön ist und deshalb wert ist, grün und bewohnbar bewahrt zu werden?

Das weiß niemand. Es geschah ja. Gott kam zur Welt. Für immer war da nun dieses leuchtende Zentrum in der Welt, ein Licht, das sie zugleich entlarvte und erbaute. Es entlarvte all das, was sie an destruktiven Dingen unternahmen. Es entlarvte sie, wenn sie einer rohen Macht huldigten und mehr darum bemüht waren, sich selbst zu sichern, als für das Wohl anderer zu arbeiten. Und es machte es offenbar, wenn alles engstirnig und unpoetisch wurde.

Zugleich aber wies das Zentrum der Liebe darauf hin, dass da eine Schönheit und eine Freude war. Nein, sie würden wohl nie auf diese Weise ihr eigenes Leben kontrollieren. Aber das war auch nicht der Sinn, beruhigte sie die Liebe. Lasst euch lieber etwas mitreißen, sagt die Liebe. Liebt, wagt, betet. Sucht, wagt, kämpft, glaubt, sagt die Liebe. Liebt, wagt, betet. Sucht, wagt, kämpft, glaubt. Helft, hört zu, redet.

Hin und zurück aus dem Zentrum des Lebens wanderten sie. Wenn es finster war, zeigte der Stern ihnen den Weg. Rissen sie nieder, anstatt aufzubauen, machte die in Windeln gewickelte Liebe offenbar, um stattdessen an das Beste in ihnen zu appellieren.

Was wäre geschehen, wenn es die erste Weihnacht der Welt nie gegeben hätte? Was wäre geschehen mit ihren Gesprächen, wenn sie nicht die Botschaft der Freiheit und des Friedens als Grundton gehabt hätten? Sie hätten diese Botschaft nie erfahren: Nun ist es wieder Weihnachten!

Ein göttlicher Einschlag hat stattgefunden. Im Zentrum der Welt lag ein Kind, und aus ihm strahlte Licht.

Und da geschah es: Die Glocken der Weihnacht begannen zu läuten, und die Weihnachtslichter wurden angezündet. Die Kinder riefen „Derne“ und zeigten auf die Bäume, die sie in ihrem Haus gepflanzt hatten. Die Bogen des Glaubens spannten sich über der Welt, und in der Ferne hörte man schlagende Flügel und Stimmen, die sangen. Ein Dichter mit dem Gehör eines Engels schrieb etwas von diesem Gesang nieder:

Friede auf Erden,

freut euch ihr Menschen,

gebor‘n ist uns der Heiland heut.[1]

Amen.


Pastorin Christiane Gammeltoft-Hansen

DK-2000 Frederiksberg

E-mail: cgh(at)km.dk

[1] Dänisches Weihnachtslied von B.S. Ingemann, V. 3, Dänisches Gesangbuch Nr. 121, hier deutsche Übersetzung nach Deutsch-dänisches Kirchengesangbuch.

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