Johannes 14,1-11

Johannes 14,1-11

Jubilate | Jo 14,1-11 | Leise Christensen |

Vor einigen Jahren war ich für meinen damaligen Arbeitsplatz, einem pädagogischen Institut der dänischen Volkskirche, zusammen mit einem Kollegen, der an einer anderen Institution der Volkskirche angestellt war, und einem Photographen in Myanmar. Wir sollten Material für den Konfirmandenunterricht in Dänemark ausarbeiten, das davon handelte, was es bedeutet, eine christliche Minoritätskirche zu sein. Dänische Konfirmanden sind so sehr daran gewöhnt, einer Mehrheitsreligion anzugehören, dass sie in der Regel nicht daran denken, dass dies anderswo in der Welt nicht immer so ist. In Myanmar, einer Union verschiedener Staaten, ist der Buddhismus Hauptreligion und dominiert das Straßenbild mit den schönen Tempeln und den orangefarbigen Mönchen an allen Straßenecken mit dem wenigen, was sie besitzen dürfen – z.B. die Ess-Schale, mit der sie umhergehen und die von den Gläubigen in ihrer Gemeinde gefüllt wird. Es gibt aber auch Christen in Myanmar. In einigen Staaten sind sie sogar die Hauptgruppe, aber es gibt in diesen Staaten so wenige Menschen, dass sie insgesamt nicht so viel bedeuten. Zu einem Zeitpunkt sollten wir in einen großen Staat reisen mit dem Namen Shan, wo der Buddhismus stark dominiert. Dort sollten wir einen Mönch treffen, der vor einigen Jahren vom Buddhismus zum Christentum konvertiert war. Er war als 14-jähriger in ein buddhistisches Kloster eingetreten und war fast nie außerhalb dieses Klosters gewesen außer in den Perioden, wo er bei gelehrten Buddhisten z.B. in Sri Lanka studiert hatte. Er war aber zu einem Zeitpunkt auf die Bibel gestoßen, die er las. Und hier faszinierte ihn das Johannesevangelium. Und die Stelle, die ihn tatsächlich bekehrt hatte, war der Predigttext dieses Sonntags, nämlich die Worte, dass Jesus der Weg, die Wahrheit und das Leben ist. Die meisten, die sich aus einer anderen Religion zum Christentum bekehren, fassen einen Entschluss, dann lassen sie sich taufen, und dann sind sie natürlich Christen. So verlief das aber nicht bei diesem Mönch. Er las diese drei Worte, und dann kehrte er zurück in sein Kloster in Shan, setzte sich in eine Höhle, die etwa 2 mal 2 Meter groß war – ich habe sie gesehen – mit einer kleinen schmalen Öffnung als Tür, die allerdings zugesperrt wurde, als er hineinkam. Dann saß er dort 21 Jahre lang und studierte den Satz: Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Allmählich kam er zu der Einsicht, dass das Zentrale war, dass Jesus Christus der Weg ist. Der Weg, nur der Weg – so verstand er es schließlich. Dann klopfte er an die Tür und kam heraus – nach 21 Jahren. – und ließ sich taufen. Ich war ganz überwältigt, als ich das hörte, Ich, der ich kaum mal zwei Stunden stillsitzen kann – dann brauche ich wieder mein iPhone, Facebook und Unterhaltung. Er hatte etwas zu sagen über „den Weg“. Ich wunderte mich, denn das war ein ganz anderes Christentum als das etwas schwere nordeuropäische Modell, das ich aus dem lutherischen Dänemark kannte – Sünde, Blut, Gerechtigkeit, Schuld, Opfer – ganz zu schweigen vom Kreuz, all das waren für ihn keine bedeutenden Teile des christlichen Glaubens. Dann dachte ich als die klassisch ausgebildete Theologin, die ich bin: „Ist das wirklich Christentum?“ Gehört da nicht etwas Schwermut dazu, Sinn für das Leiden und den Kreuzestod Jesu mit all dem, was das an Gedankengut mit sich bringt? In meines Vaters Haus sind viele Wohnungen, sagt Jesus heute auch zu uns und zu dem Mönch aus Shan. Und der Weg dahin kann unglaublich verschieden sein. Von dem, der froh und dankbar zu einer „Drop-in-Taufe“ in einer Kirche in Aarhus kommt, bis zu dem, der 21 Jahre in einer dunklen Höhle sitzt und meditiert und zu dem Weg gelangt, indem er dasitzt (!) und sich dann in einem See von einem englischen Christen taufen lässt, der zufällig eines Tages vorbeikommt. Der Weg ist verschieden. Thomas fragt in seiner üblichen etwas zweifelnden Art, wie man denn den Weg kennen kann, wenn man das Ziel nicht kennt. Wo will Jesus hin? Das muss man doch erst wissen, meint Thomas. Ein guter Pragmatiker ist er und nicht einer, der sich etwas einbilden lässt. Aber der Weg ist das Ziel an sich in dem Sinne, dass der Weg Jesus ist. Auf diesem Weg ist die Wahrheit und das Leben. Der Weg führt zu vielen Wohnungen. Gibt es einen einfachen wahren Weg, den man gehen soll, um sich einen Christen nennen zu können? Ich glaube nicht, dass die Frage, wenn ich es so sagen darf, ins Ziel führt. Da ist ein wahrer Weg in dem Sinne, das Jesus der Weg ist. Er ist der Weg. Aber wie man Jesus auf diesem Weg begegnet, das kann sehr verschieden sein. Wohl deshalb sind da so viele Wohnungen, und viele Plätze sind bereit. Ich würde nie den Weg gehen können, den der Mönch aus Shan gibt. Ich war nie in einem Kloster und könnte nicht annähernd so viel über einen einzelnen Satz meditieren wie er. Ich würde da durchdrehen! Aber ich könnte auch nicht sagen, dass seine Taufe auf einer falschen Grundlage beruht in Bezug auf das, was ich gelesen, gelernt, gedacht habe und was ich glaube, zu dem, was mir den Weg gezeigt hat. Darüber habe ich aber ziemlich viel nach meinem Besuch in Shan nachgedacht. Wo sind die Grenzen dafür, was der richtige Weg ist, und was Irrtum ist? Ich glaube, dass der Weg breit ist und jeden einschließt, der sieht, dass Jesus der Weg, die Wahrheit und das Leben ist. All das, wofür Jesus mit seinem ganzen Wirken einstand, nämlich die Fürsorge für den Schwachen, die Liebe zum Mitmenschen in seiner ganzen Not und das Verständnis für die Wege des Menschen, das ist wahr, ja, es ist geradezu die Wahrheit. Das ist keine objektive wissenschaftliche Wahrheit über den physischen Ursprung aller Dinge und die Existenz der Dinosaurier. Das ist die Wahrheit über das (menschliche) Leben, wie es hier auf Gottes Erde jeden Tag gelebt wird. Die Wahrheit darüber, dass Gott und Jesus so eng verbunden sind, dass sie eins sind, und das wir mit ihnen auf unserem Weg durch das Leben verbunden sind. Unsere Herzen können so leicht erschrecken, und das nicht ohne Grund. Wir sind Zeugen von Krieg und Gewalt, von viel Furcht vor der Zukunft bringt das mit sich, auch die Sorge um einen baldigen Kollaps des Klimas und der Ökonomie bedrängt uns. Dennoch sollen wir nicht erschrecken, sagt Jesus. Das kann er sagen! Aber was mit uns? Die Antwort darauf nähert sich dem Kern dessen, was es heißt, mit dem Weg zu leben. Diesen Schritt muss man wagen. Dass man wie Thomas einmal alle Vernünftelei und allen Pragmatismus fahren lässt wie ein Thomas. In dem Glauben ruhen, dass Jesus der wahre Weg ist, das führt uns nicht um die Sorgen des Lebens herum oder an ihnen vorbei, sondern durch das Leben mit all dem Schmerz, den es nun einmal gibt, aber doch hindurch in dem Sinne, dass wir es ertragen und damit leben können. Denn er ist mit uns auf dem Weg. Denn die Wahrheit ist, dass er der Weg und das Leben ist. Nicht über 21 Jahre lang darüber in einer Höhle meditiert zu haben, aber wohl hin und wieder darüber nachgedacht zu haben, glaube ich sehr wohl, das sagen zu können. Dass ich das glaube. Ob der Sprung kurz ist oder es sich um einen langen Weg wie bei dem Mönch handelt, das ist nicht das Entscheidende. Das Wesentliche ist, dass der Weg zu den vielen Wohnungen bereit ist. Wir müssen ihn nur gehen. Amen.

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Pastorin Leise Christensen

DK 8200 Aarhus N

Email: lec(at)km.dk

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