Johannes 17, 1-11

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Johannes 17, 1-11

Rogate | 22.05.2022 | Joh 17,1-11 | Laura Lundager Jensen |

Die Sprache der Höflichkeit ist nicht mehr das, was sie einmal war.

„Salz bitte“, oder nur „Salz“, sagen wir.

Und nicht: „Sei bitte so nett und reiche mir das Salz“.

Wir wollen nicht mehr alles in Worte einpacken – es ist eine Frage, wie es schmeckt, hier und jetzt, Veränderung – Handlung, und das sofort, der Tischnachbar wird das wohl verstehen.

Und diese Veränderung zeigt Spuren – bis hin zum Dialog mit dem lieben Gott – jedenfalls deutet einiges darauf hin, wenn man neue Gebetssammlungen liest, hier eine Kostprobe aus der dänischen Sammlung „Der Himmel in meinen Fußsohlen“:

„Herr, ich überspringe alle geistreichen Worte

und die schwüle Tonart.

Gib mir, was ich jetzt brauche,

sonst werde ich wirklich sauer“.

Geistreiche Worte, Höflichkeiten, Phrasen werden übersprungen – was übrigbleibt, erinnert vor allem an einen Bestellzettel: „Gib mir, was ich jetzt brauche!“ Die Geduld hat ein Ende, wir haben keine Zeit mehr. Jetzt muss etwas passieren – gerne Abrechnung in Bar, und zwar jetzt, sonst werde ich stinksauer – das wird der liebe Gott wohl verstehen.

Aber haben die Ungeduld, die Unhöflichkeit, das Pressing gewonnen?

Oder ist es die Ohnmacht, die gewonnen hat, man gibt auf und wirft das Handtuch. Nun kann ich nicht mehr, nicht mehr – die Hoffnung ist erloschen, keine Demut mehr, nicht mehr ein Klopfen an Türen mit dem Hut in der Hand, alle Kämpfe auf dem Schlachtfeld der Freundlichkeit sind ausgefochten – die Zeit des Gebens ist vorbei – jetzt die Zeit gekommen zu genießen.

Im heutigen Evangelium hören wir Jesus beten. Bevor er im Garten Gethsemane gefangengenommen wird, hat er sich allein zurückgezogen, während die Jünger sich nach der Mahlzeit am Gründonnerstag ausruhen. 

Mit dem Blick zum Himmel bittet er jetzt darum, dass Gott nun das geschehen lässt, was geschehen wird -er fügt zwar nicht hinzu – und das wäre auch ziemlich unangebracht – sonst werde ich wirklich sauer. Aber vielleicht wird das doch angedeutet.

Lass nun das geschehen, was geschehen soll – nun ist die Zeit gekommen, keine kleinen Mirakel oder Brotwunder mehr. Nicht mehr Wasser zu Wein, ich gehe nicht mehr auf dem Wasser, helfe nicht mehr den Kranken in Bethesda, schenke nicht mehr den Blinden das Augenlicht wieder und den Tauben das Gehör. Kein Lazarus mehr oder eine Tochter des Jairus, die auferweckt werden.

Denn all den Menschen, die du mir gabst, habe ich deinen Namen offenbart.

Nun ist die Stunde der Verherrlichung gekommen. Nun soll die göttliche Herrlichkeit, die stets gegenwärtig war – in Augenblicken der Heilsgeschichte – offen erscheinen und für die ganze Menschheit erstrahlen.

Das Gebet im Garten Gethsemane ist das Gebet darum, dass Gott in seiner ganzen Macht verherrlicht und offenbart werden soll. 

Das Gebet darum, dass die göttliche Herrlichkeit, die bereits in der Schöpfung der Welt zugegen war als die Herrlichkeit, die Leben und Licht schuf, die Herrlichkeit, die im Sieg der Hebräer über Pharao und dem Kampf Davids gegen Goliath lag. Die Herrlichkeit, die den Propheten Mut gab, dem Volk zu widersprechen, die Herrlichkeit, die in der Finsternis leuchtete im Stall, die Herrlichkeit, die in der springenden Apfelblüte und in dem neuausgebrüteten Ei im Nest liegt – diese Herrlichkeit will er strahlen lassen. 

Das Gebet darum, dass diese Herrlichkeit nun – ein für alle Mal – Kraft und Stärke erhält, um zu erklingen und die ganze Welt zu erhellen, so dass der Vorhang in Tempeln zerreißt und selbst hartgesottene Soldaten sich beugen und erkennen: „Wahrlich, er war Gottes Sohn“. 

Er bittet, dass diese Herrlichkeit endlich offenbar werde.

Und wohlgemerkt nicht als eine bahnbrechende Herrlichkeit, sondern eben als Herrlichkeit, die in seinem ganzen Leben ausstrahlte – in seinen Worten und seinen Gesprächen und Taten – seiner Solidarität mit all denen, die ihm begegneten, darum bittet er, dass dies am Ostermorgen der ganzen Welt offenbar werde. 

Und auch wenn das zwar nicht mit einem: „Sonst werde ich sauer“ schließt, sondern eher mit einem: Keine Ausflüchte mehr, denn nun bin ich bereit – so ist dies vielleicht dennoch dasselbe Grundgefühl, das im Evangelium deutlich wird – nicht ohnmächtig, aber ungeduldig, gespannt und klar. 

Die Zeit ist gekommen, nun soll es geschehen, was geschehen soll. 

So gesehen ist das Gebet im Garten Gethsemane eine der wichtigsten Stellen im Johannesevangelium. Denn Jesus offenbart das, was schon ist, und bekennt, was er schon weiß – und spricht das Gebet, das tief im Herzen der Menschen liegt – dass wir in das Reich Gottes eintreten, das schon ist, aber noch nicht für uns offenbar.

Und so fasst Jesus im Gebet von Gethsemane Wünsche und Sehsüchte und Hoffnungen der Menschen zu allen Zeiten in Worte. Lass uns teilhaben an der Herrlichkeit, die schon in der Welt ist, die wir aber nicht ergreifen können und nach der wir vielleicht nicht begreifen können, die wir nicht kennen und als unsere Herrlichkeit wiedererkennen. Lass uns teilhaben an ihr. Und er zeigt zugleich, dass er unseren verzweifelten Wunsch kennt, dass dies geschehe – und zwar bald. 

In seinem Gebet verankert er die Hoffnung der Menschen in unserer Wirklichkeit. Deshalb der Anker als Symbol der Hoffnung – nach dem Ostermorgen treiben wir nicht mehr auf offener See mit einer wagen Vorstellung von einem Ziel an einer fernen Küste. Mit der österlichen Hoffnung werden wir verankert – in der Welt und an einem Ort und in einer Liebe, die die Zukunft in sich hat. Damit wird die Auferstehung eine Auferstehung zu ewigem Leben, aber auch eine Auferstehung, an der wir schon jetzt teilhaben: „Hängst du fest an alten Tagen, einer Vorzeit, die an uns nagt – alles wird uns neu gegeben – Möglichkeit des neuen Morgens“[1].

Mit dem Gebet von Gethsemane werden uns Worte geschenkt, damit wir damit darum bitten können, dass uns die Augen geöffnet werden für die Herrlichkeit als einer Wirklichkeit, die schon in der Welt ist.

Und wenn wir sie annehmen, werden wir nicht mehr in ungeduldiger Sehnsucht und trotziger Hoffnung betteln und seufzen und auf den Boden stampfen und „sauer“ sein. 

Wir werden vielmehr sehen, dass wir schon von der Gnade Gottes umschlungen sind, schon von der Macht Gottes umfasst sind.

Für Jesus in Gethsemane war die Stunde gekommen. Am Ostermorgen wurde die Welt neu geschaffen, und die Möglichkeit geschaffen als unsere Möglichkeit in der Zeit, die jetzt ist und immer.

Hört also auf, sauer zu sein und ungeduldig, sondern freut euch. Amen.

Pastorin Laura Lundager Jensen
Langetoften 1, Osted
DK-4320 Lejre
E-mail: luje(at)kp.dk


[1] Aus einem Lied von Johannes Møllehave.

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