Lukas 21,25-36

Lukas 21,25-36

Seht auf und erhebt eure Häupter | Zweiter Advent | 04.12.2022 | Lk 21,25-36 (dänische Perikopenordnung) | Tine Illum |

Seht auf und erhebt eure Häupter

Eines Tages ist die Zeit vorbei.

Wir hören vom Donner und Untergang des Jüngsten Gerichts. Ja, wir können es fast merken, die Furchtsamkeit, die Wehmut, die Unsicherheit …, ein Gefühl von einem drohenden Chaos und vom Untergang. In den Medien natürlich.  Oder auch nur, wenn wir miteinander sprechen. Wir haben nämlich die Zeichen der Zeit gedeutet. Die Erde wird zerstört, Menschen kommen um.

   Wenn man bis vor kurzem meinte, die Kirche sage Unheil voraus, damit sich die Menschen fürchten sollen, so wissen wir nun: Es bedarf dazu keiner christlichen Kirche. Die Untergangsstimmung ist massiv. „Fürchtet euch!“ flüstert sie uns ins Ohr. „Du hast alles zu fürchten!“

   Wir können uns genauso gut auf die Erde legen und nicht aufblicken, oder wir können klug besorgt nicken und erzählen, dass wir uns das schon gedacht haben und das auch gesagt haben. Oder wir können verzweifeln, alles Denken fahren lassen, rufen: „Carpe diem“, und dann so weiter machen wir bisher – denn wir sind nicht imstande, die Schreckensszenarien zu Ende zu denken.

   Selbst Leute, die weder an den Himmel noch an die Hölle glauben, versichern uns, dass das Ganze in einer Katastrophe endet. Wie haben alles zu fürchten.

Eines Tages ist die Zeit vorbei – darum geht es heute am Zweiten Advent.

Und eben dies fürchten wir. Und wir wagen es fast nicht, darüber zu sprechen. Wir erschaudern bei dem Gedanken an das Destruktive, das verborgen ist in unseren Möglichkeiten, selbst die Lebensgrundlage für alles Leben auf der Erde zu zerstören.

   Das gilt in den großen Zusammenhängen, wo Krieg Tausende tötet und Hunger und Verfolgung noch mehr Menschen töten. Oder wo wir sehen, wie unser unmäßiger Konsum eine zum Himmel schreiende Ungerechtigkeit schafft – und sogar die Grundlage für unser Leben auf der Erde zu zerstören droht.

Und das gilt auch, wenn wir daran denken, dass auch der Tag kommt, an dem unsere Zeit und unser Leben vorbei sind.

    Wir wissen sehr wohl, dass wir sterben müssen. Und wir denken wohl auch, dass wir an diesem Tag mit der Wahrheit über unser Leben konfrontiert werden – und das wissen die meisten von uns sehr wohl, dass das schmerhaft und schamvoll sein wird. Das ist eine Wahrheit, die weh tut, wenn wir an sie denken, die Wahrheit darüber, wie wir das gute Leben misshandelt haben, wie wir in Neid oder Unbedachtsamkeit das Leben anderer beeinträchtigt haben. Wir schaudern vor dem Tag, an dem die Wahrheit ans Licht kommt. Und wo unser Leben im Untergang endet oder in der Hölle, oder in der totalen Katastrophe, oder wie wir es nun nennen wollen.

Und als wäre die ganz gewöhnliche Furcht nicht genug … Dann kommen wir hier in die Kirche, sogar in der Adventszeit, und hören noch mehr vom Untergang. Ich habe vielleicht vor allem Lust, die Ohren zuzuhalten. Aber stattdessen spitze ich die Ohren.

Eines Tages ist die Zeit aus. Und weiter: „Und an dem Tag habt ihr alles zu hoffen. Erhebt eure Häupter … eure Erlösung ist nahe“. Zu euch wird sie kommen, die Freude. Die Freude darüber, dass alles neu wird, und dass ihr ohne Furcht das Alte und Versteinerte fallen und verschwinden seht. Denn seht, dort im Krater begann Gott, eine neue Welt zu bauen.

   Er benutzt das Holz des Kreuzes als Baumaterial. Und er beginnt mit einem Säugling in den Armen eines jungen Mädchens.

Dazu brauchen wir die Kirche, dass uns das gesagt wird. Denn das können wir uns nicht selbst sagen. Und das hören wir anderswo nicht.

All das, von dem wir hören: Erdbeben, Hunger, Terror und gewaltige Zeichen auf Erden und im Himmel, das lässt die Menschen fürchten, Natürlich tut es das. Und dann hören wir, dass Zerstörungen und Machtdemonstrationen nicht das sind, worauf Gott seine Welt baut, sondern es ist ein neugeborenes Kind. Das ist eure Erlösung, euer Heil und eure Befreiung. Damit könnt ihr leben und sterben.  Denn Himmel und Erde können vergehen. All das, was Ihr kennt. Aber meine Worte werden nie vergehen, hören wir.

   Gottes Wort ist in Christus uns ganz nahegekommen.  Da ist das Schöpferwort vor allen Zeiten – und da ist das Wort, das ein Mensch in Fleisch und Blut wurde, der stirbt und von den Toten aufersteht und Licht und Leben der Menschen ist.

   Wer das glaubt, kann sich ohne Furcht beugen und in den Stall von Bethlehem blicken – und dort sehen, das der Feigenbaum nun ausspringt. Nun ist Gottes Sommer mitten im Wintergekommen. Nun wird die Finsternis erhellt. „Denn also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben“. Das ist das Gericht.

Und das stellt alles, was wir denken und leben, auf den Kopf.

   Wir verstehen wohl oft den Untergang der Welt als einen Tag, wo die Bösen verurteilt werden – und vielleicht fürchten wir, dass wir dazugehören, oder wir denken vielleicht mit Schadenfreude, dass es andere betrifft.

  Unser Glaube spricht von etwas anderem: Der Untergang der Welt ist vielmehr eine radikale Verwandlung und ein Übergang. Einmal für immer. Und jetzt – im Kleinen – in jedem Augenblick. Wo wir sehen, dass dann Barmherzigkeit und Liebe herrschen.

   Die Erzählungen wollen Hoffnung in den Herzen und im Leben aller Menschen wecken, das ist ihr Sinn.

    Wir hörten das im Brief des Paulus an die Christen in Rom: „Denn was zuvor geschrieben ist, das ist uns zur Lehre geschrieben, damit wir durch Geduld und den Trost der Schrift Hoffnung haben. Der Gott aber der Geduld und des Trostes gebe euch, dass ihr einträchtig gesinnt seid untereinander, wie es Christus Jesus entspricht. Damit ihr einmütig und mit einem Munde Gott lobt, den Vater unseres Herrn Jesus Christus, Darum nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat zu Gottes Ehre“ (Röm. 15,4-7).

Eines Tages ist die Zeit aus.

   Auf den allerletzten Seiten der Bibel wird das auf andere Weise gesagt. Hier sagt Gott. Ich bin A und O, Anfang und Ende. Und in der Kirche hören wir, dass Gott ein dreieiniger lebendiger Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit ist, also immer.

   Wenn die Zeit vorbei ist, ist die Zeit Gottes nicht vorbei.

   Alls das, was geschehen ist – und all das, was geschehen wird, ist eingepackt in die Worte, die Gott spricht. Hier ist unsere Vergangenheit, hier ist unsere Zukunft. Diese Worte sind verbunden mit dem Wasser in unserer Taufe. Sie sind ein gebacken im Brot, und sie sind im Wein, wenn wir das Abendmahl feiern.

   Diese Worte sind als eine Hoffnung und Verheißung in unsere Zukunft gelegt, die wir nicht kennen, der wir aber ohne Furcht entgegengehen können, denn Gott ist dort. Jeder Tag ist in dieser Weise ein Tag des Gerichts. Hier wird all das zum Untergang verurteilt, dass sich gegen die Liebe Gottes stellt. Jeden Tag bekommen wir neue Hoffnung. Das brauchen wir – und das braucht die Welt.

Eines Tages ist die Zeit vorbei.

  Dann erhebt eure Häupter, hören wir – und geht dem Leben entgegen, geht einander entgegen, geht dem Tod entgegen – und glaubt an Gott und vertraut darauf, dass Gott immer da ist und am Ende der Zeit, die wir kennen. Hier bringt uns die Erzählung eine lebendige Hoffnung.

   Das ist die Rede der Kirche vom Jüngsten Gericht.

   Hier wird unser mutloses Warten in frohe Erwartung verwandelt.

Und.in der Hoffnung und dem Leben bekommen wir auch einen kritischen Blick auf uns selbst und die Gesellschaft, in der wir leben. So wie wir beim Propheten Jesaja von Ihm hören, der nicht richtet nach dem üblichen Geschwätz oder dem ersten oberflächlichen Blick, ihm, der mit einem Frieden kommt, der unsere Vernunft übersteigt, wo es keine Zerstörung und keine Bosheit gibt. Die Hoffnung auf Gottes Zukunft ist auch jetzt eine mächtige Kraft. Dass wir nicht mutlos nur die Dinge laufen lassen, sondern Gott Spalten schaffen lassen, in denen das Böse seinem Untergang entgegengeht und verschwinden wird – und wo Gottes Zukunft Wirklichkeit werden kann und uns eine Ahnung seines Himmels sehen lassen kann.

    Die zweitletzten Worte der Bibel sind diese: “Amen. Komm Herr Jesus“.

    Denn wo Christus kommt, wird das Leben lebendig.

    Und die letzten Worte der Bibel sind: „Die Gnade des Herrn Jesus sei mit allen“ – und das ist mehr als ein passender Abschiedsgruß, das ist die Hoffnung und eine Gewissheit davon, dass das Gnadenlose seinem Untergang entgegengeht und dass das Reich Gottes kommt – einmal sichtbar und ganz, und jetzt im Kleinen bei uns und in uns.

Eines Tages ist es vorbei, da beginnt er.

Und wir können ohne Furcht beten: „Dein Reich komme!“

Amen.

Pastorin Tine Illum

DK-6091 Bjert

Email: ti(at)km.dk

de_DEDeutsch