Markus 4,26-32

Markus 4,26-32

Sexagesimae | 20.02.2022 | Mk 4,26-32 (dänische Perikopenordnung) | Laura Lundager Jensen |

Winterstürme, Regen, Schnee, Kälte.

Wir sind mitten im Winter – in Dänemark feiert man noch „Lichtmesse“ mitten im Winter – wir essen Kohl und sehen uns missmutig das Wetter an – auch wenn es keinen Frost hat, ist die Grundstimmung kalt und windig, selbst wenn die Sonne hervorscheint. Jetzt singen wir das dänische Winterlied: „Hier heißt’s schweigen, tief sich neigen“,[1] und das Lied von Ole Sarvig „Wie das Jahr geht“.[2] Lieder von einer Welt, die roh und kalt ist. Lieder von Eichenbäumen die nun mit nackten Zweigen traurig in den Himmel ragen. Die Winterstimmung, die wie der Schnee alles zudeckt, was noch nicht ist — die tote Erde und die verwelkten Blumen – die aber auch all das verdeckt, was im Werden ist, ein Warten auf das, was kommt. Und auch wenn ich die bunten Lieder des Frühlings liebe, liebe ich die Winterlieder sehr. Lieder darüber, dass die Wartezeit nicht notwendigerweise vergeudete Zeit ist.

   „Geduld ist die Begleiterin der Weisheit“, sagte man früher. In der Zeit des Wartens haben wir Sinn dafür, all das zu sehen und zu studieren, was wir nicht mit bloßem Auge sehen können und was wir deshalb mit dem inneren Auge ausmalen müssen. Das, worauf wir hoffen, nach dem wir uns sehnen und seufzen. Da ist eine besondere Forderung nach Wahrnehmung in den Liedern vom Warten und der Stille des Winters, und wir müssen ganz anders stillwerden und zuhören. In dem Lied von Ole Sarvig vom Gang des Jahres durch den Winter ist eben dies sehr gegenwärtig. Und auch wenn die Winterzweige der Bäume nun tot in den Himmel ragen, wird uns erzählt, dass wir nicht verlassen sind, auch wenn wir zurückgelassen sind. Zwar sind wir allein, aber nicht unbedingt einsam. 

   Das ist die Erzählung vom Tod, der zwar ein Verlust ist, der aber zugleich Leben und Hoffnung in sich trägt:

Die, welche alles verloren haben

wie Ihr,

bei denen will ich wohnen.

Unsichtbar

für alle Welt,

und warten dort

auf Sommerwind.

So heißt es in Ole Sarvigs Gedicht. 

Das Bild vom Gang des Jahres, vom Sommer über den Winter zum Frühling – vom Säen zur Ernte und dem Warten des Winters, wie es das heutige Evangelium so schön beschreibt. Ein Bild, das wir gerade jetzt in seiner ganzen Kraft verstehen, wo der Winter Natur und Leib im Griff hat und wo zugleich die Frühlingszeichen im Kleinen Hoffnung ankündigen. Und die Hoffnung der Auferstehung strömt unter der Oberfläche des ganzen Liedes. 

Das Christentum wird oft dafür kritisiert, dass es naturfern sei – zuweilen sogar weltfremd. Eine Religion, die nur vom Menschen erzählt, nur den Menschen erhöht – und die deshalb dazu neigt, die Umwelt zu vergessen, ohne die wir nicht leben können. Sagt man. Es hat uns der Natur entfremdet. Die Bilder der Natur wurden uns fremd. Es hat zur Ausbeutung und Unterwerfung der Natur beigetragen – letztlich zur Klimakrise mit katastrophalen Aussichten. Sagt man.

Wenn im Schöpfungsbericht steht, dass wir über Tiere und Bäume herrschen sollen, hat man das in dem Sinne missverstanden, als eine Herrschaft, die willkürlich herrschen und ihre Sklaven missbrauchen darf. Aber der Herr, der seine Leute misshandelt, ist letztlich ein Verlierer, der nicht begreift, dass ein Gut, dass nicht in jeder Hinsicht funktioniert, keinen festen Bestand haben kann. Der nicht verstanden hat, dass die Fürsorge für die alte Mutter und die Magd letztlich viel mehr bedeutet. Herrschen ist nicht dasselbe wie misshandeln – nur Diktatoren denken so.

Um nicht der Verantwortung auszuweichen, es gibt auch andere Dinge, die zur Entfremdung von der Natur beigetragen haben, als das Christentum. Die Bewegung der Geschichte weg von der Natur ist eine Herausforderung. Wir haben vergessen, dass wir von der Natur abhängig sind, haben vergessen, dass die Natur weise ist, dass die Natur Bilder enthält, die nicht nur erschauern lassen, wenn die Höhe der Berge und die Weite des Meeres einen Horizont eröffnen, sondern auch Bilder enthält, die Glauben und Hoffnung schenken. Wie der verdorrte Baum, der plötzlich wieder neue Triebe hervorbringt, wie das Frühchen, das durch den Schnee hervorkommt. Und uns tut eine Natur gut, die eine Natur ist, die auch Zähne zeigt. Eine Natur, die nackt dasteht, wo Frost und Kälte uns erschüttern – so dass wir merken, dass wir sind und leben. Eine Natur, die von Gericht und Zerstörung kündet – reinigt und aufräumt, so dass das Neue Platz greifen und emporwachsen kann. Und das lässt sich vielleicht schön sagen, wenn man an der höchsten Stelle im Ort wohnt und nie riskiert, dass der Keller mit Wasser vollläuft. Leicht sagen, wenn man Leute hat, die verfaulte Bäume um einen herum fällen. Leicht sagen, wenn uns keine Sturmflut oder kein Erdrutsch bedroht.

Aber ein Sturm wie Malik, der uns neulich traf, zeigt eine Größe und ein Wüten, die Gleichgültigkeit, Gewohnheiten und Routinen erschüttern. Und das ist gesund – zwar nicht für die Versicherungsgesellschaften, aber für die Seelen. Gesund, tief erschüttert zu werden. Gesund zu erleben, dass all das, was wir für sicher hielten und unerschütterlich wie Rieseneichen über Nacht umgeworfen werden kann – aber dass das Leben damit nicht aufhört, sondern sich verändert. Denn das Bild können wir gebrauchen, wenn wir ganz andere innere zerstörende Stürme erleben, wenn Tod und Verlust uns treffen, wenn wir all unser Warten und alle unsere Geduld und ohnmächtigen Versuche aufbieten müssen, um nach vorn zu blicken auf Hoffnung und Gnade.

Vielleicht ist das Naturromantik – aber dann ist die Bibel voll davon – voll von Bildern aus der Natur, gebraucht als Bilder für den Willen Gottes. Kleine Körner werden in die Erde gelegt und wachsen zum größten Trost. Der Stumpf setzt neue Triebe, das Kreuz schenkt neues Leben. Wasser, das Kraft gibt und neues Leben schenkt in der Bewegung der Taufe. Unsere Winterlieder enthalten Zerstörung und Einsamkeit und Tod – aber sie verweisen uns auf die Bilder der Natur und von da aus hin auf das Leben, zu neuer Schöpfung und Hoffnung – zu Ostern und Auferstehung. In einem winterstillen und innerlichen Vertrauen darauf, dass Christus in uns wohnt und als der neue Baum der Gnade wächst in den Verzweigungen der Herzwurzel in den sinnreichen Systemen der Blutadern. Unsichtbar in einem winterstillen Warten der Welt, aber stark wie das willige Wachstum der Schneeglöckchen hinter dem Zaun. 

Das Menschenleben folgt dem Gang des Jahres in der Wahrheit, dass ein Leben nur zu Leben wird, wenn es voll gelebt wird – und dass voll im Geist Jesu leben den Mut haben soll, zu sehen, dass der Winter-Tod, die Winterstille zum Leben gehören – und zu uns. Dass man wagt, zu sehen, dass das Leben kostet, aber dass gerade diese Weisheit uns gnädig und geduldig in die Ewigkeit bringt. Christus in uns wohnen lassen heißt eins sein mit dieser Bewegung, wo Leben den Tod in neue Hoffnung verwandelt – für uns und für die, die wir an die Hand nehmen und mit denen wir zusammen durch die Winterstille zum Sommerlicht gehen. Amen.

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Pastorin Laura Lundager Jensen
Langetoften 1, Osted
DK-4320 Lejre
E-mail: luje(at)kp.dk

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[1] Dänisch ”Her vil ties, her vis bies”, Nr. 557 im dänischen Gesangbuch, deutsch im deutsch-dänischen Kirchengesangbuch

[2] Dänisch ”Som året går”.

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