Matthäus 13,21-28

Matthäus 13,21-28

Reminiszere | 05.03.23 | Matthäus 13,21-28 (dänische Perikopenordnung) | Laura Lundager Jensen |

Es fällt schwer, nicht davon zu reden, wie wichtig es ist, Grenzen zu haben, hier gut ein Jahr, nachdem Putin die Grenze zur Ukraine überschritten hat und wo sich die Grenzen des Krieges hin und her bewegt haben in Schrecken erregenden Wellen.

Grenzen sind dazu geeignet, uns selbst zu regieren und auf unsere Nachbarn Rücksicht zu nehmen.

Aber wo wir lange davon geredet haben, wie wichtig es ist, Grenzen niederzureißen, Austausch zu schaffen, Begegnungen über Grenzen hinweg, kulturellen Austausch, Begegnungen zwischen lebendigen Menschen, müssen wir nun zur Kenntnis nehmen, dass Grenzen einen guten Sinn machen, wenn es darum geht, den Feind fernzuhalten, vor allem wenn der Widersacher so grundlegend andere Ideale hat als man selbst.

Dennoch geht es im heutigen Evangelium eben um Überschreitung von Grenzen, wo Jesus in jeder Weise Grenzen sprengt und sich in unbekanntes Land begibt.

Und dies ganz buchstäblich: Die Gebiete um Tyrus und Sidon sind geographisch fremdes Land für die Juden und deshalb auch für den Juden Jesus. Land der Unreinen, Land der Heiden, Land der Wertlosen, Feindesland, das Land, wo man sagt, dass die Dämonen freies Spiel haben und wo die Ideale abartig sind. So müssen wir es jedenfalls verstehen.

Bis dahin hat sich Jesus nur auf sicherem Boden im jüdischen Land bewegt, dem Land des auserwählten Volkes. Das hat ihm Schwierigkeiten bereitet, denn die Juden hatten viele Ideen darüber, wie das Gesetz und die Propheten zu verstehen seien, und vor allem darüber, wie sich das Christentum nicht aufführen sollte. Aber das machte Sinn als eine neue Auslegung und eine Auseinandersetzung mit dem jüdischen Glauben.

Jetzt aber ist er außerhalb der sicheren Welt, wo er trotz der Probleme dennoch die Argumente seiner Gegner kannte. Er hat die Grenze überschritten und sich in das Land der Dämonen begeben – und hier im Grenzland, da begegnet er der kanaanäischen Frau.

Und mit relativ großer Selbstsicherheit weist er diese aufdringliche Frau zurück, die keinen Sinn für die Situation hat. Erst antwortet er ihr nicht einmal. Er meint offenbar nicht, dass er seine Zeit auf sie verschwenden soll. Und seine Jünger sind derselben Meinung. „Lass sie doch gehen“, sagen sie. Sie meinen nicht, dass es seine Aufgabe ist, ihr krankes Kind zu heilen. Höhnisch weist er zurück, dass sie in seinen Kreis gehört. „Ich bin nur gesandt zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel“, sagt er. Denn auch wenn das jüdische erwählte Volk und Volk der Verheißung vielleicht noch nicht begriffen hat, dass ihm die Liebe Gottes gehört, gehören sie dazu, und sie werden noch kommen, so der Gedanke.

Mit einem Selbstverständnis wie dem eines Schülers der siebten Klasse, der im Klassenzimmer der sechsten Klasse vorbeischaut, nur um die Macht und die Grenze zu manifestieren zwischen denen, die schon dabei sind, und den armen Leuten, die sich keine Hoffnungen machen sollen – so weist Jesus die Frau und ihresgleichen in ihrem eigenartigen heidnischen Land zurück.

Aber da geschieht es, dass die kanaanäische Frau offenbar keine Grenzen kennt, nicht das „traditionelle Recht der Siebentklässer“ anerkennt, sich über die anderen zu erheben – mit anderen Worten: Sie erkennt schlichtweg die Prämisse nicht an, vor der Jesus ausgeht.

Und so gesehen muss man sagen, dass sie da ganz aktuell ist – denn wie der dänische Autor Glenn Bech könnte man sagen, sie erkennt schlichtweg nicht die Prämisse für die ganze Struktur an.

Glenn Bech ist ein gerade viel gelesene junge dänische homosexuelle Autor, der von meinen Studenten in der Lehrerausbildung vergöttert wird, weil er sich nicht den Traditionen beugen will. Er will die Strukturen der Klassengesellschaft nicht akzeptieren. Er akzeptiert nicht, dass die privilegierte Kulturklasse überall in der Gesellschaft bevorzugt wird. Er akzeptiert nicht die Autorität der Generation der Eltern, also meiner Generation. Er akzeptiert nicht mehr „Unsere Autorität“ – wie es in seinem Aufruf, seinem Manifest heißt.

Die Kritik gilt einer Privilegien-blinden Gesellschaft, die sich zwar nach außen homogen und gleichberechtigt nennt, aber nach innen eine Hierarchie zementiert hat, die alles umfasst von der Ökonomie, Sexualität bis zur Sprache. Eine Gesellschaft, wo er selbst an Leib und Seele die Konsequenzen davon gespürt hat, nicht angepasst zu sein, weil andere die Grenzen definiert haben zwischen dem was normal ist, und dem was anormal ist – zwischen richtig und verkehrt.

In vieler Hinsicht ein sehr anstrengendes Buch oder Manifest – andererseits eben sehr relevant. In der Gesellschaft, die wir in Selbstverherrlichung als das verheißene Land anpreisen, mit starken Meinungen über Grenzen und darüber, wer dazugehört und wer nicht, und was der Sinn für die Gesellschaft und das Volk und die rechten Werte bedeuten.

Und der Vergleich zwischen Glenn Bech und der kanaanäischen Frau trägt durchaus weiter.

Denn sie hat dasselbe Anliegen – sie nähert sich nicht Jesus, um zu den Erwählten zu gehören, zu den Freunden Jesu, den Privilegierten. Sie will nicht dazugehören zum Freundeskreis um Jesus. Sie will nicht ein Teil der etablierten Ordnung sein. Sie will etwas anderes – hat nichts dagegen, anders zu sein, wie der Hund unter dem Tisch. Was sie will, ist dies, dass er heraustritt aus dieser Prämisse, dass er sie anerkennt – die „Hunde“ anerkennt – dass er hinaustritt in die Welt, wo es Unterschiede und Andersheit gibt, wo die Ideale ihr Gesicht verloren haben, wo das Leben auf die Spitze getrieben ist, aber auch auf dem Spiele steht – denn es ist diese Welt und nicht die der Privilegierten, die seine Autorität braucht. Sie braucht seine Macht, dass er sie zeigt und ganz konkret ihr krankes Kind heilt.

Und auch wenn ich bestimmt nicht glaube, dass Glenn Bech diesen Vergleich anerkennen würde, so ist die Erzählung von der kanaanäischen Frau eben deshalb noch immer so aktuell.

Denn sie hält uns, hält die Gesellschaft zu jeder Zeit fest an einer ewigen Selbstkritik. Öffnet die Augen dafür, dass es immer die gibt, die privilegiert sind, und die, die es nicht sind. Dass wir immer die sind, die Vorrang haben, und die, die immer wieder außen vor sind und vielleicht gar nicht mitspielen.

Eben dies will das Evangelium uns zeigen. Und wir sollen sehen, dass Jesus schließlich das tut, was die Frau will. Nicht um sie einzuladen, mit dazuzugehören, sondern um hinaus zu gehen und zu wirken i der Welt, die für Recht und Gerechtigkeit kämpft – für alle ungeachtet ihres Geschlechts, ihrer Sexualität, ihrer Kultur oder Nationalität.

Die Erzählung, dass Jesus den Weg wies und heraustrat aus seiner Privilegien-Blindheit hinein i die Welt, wo Dämonen und Tod, das Böse und Zweifel herrschen. Wo es aber eben deshalb wichtig ist, dort zu sein.

Als die Frau Jesus dazu bringt, die Grenze zu überschreiten, bringt sie ihn dazu, die wirkliche Macht Gottes zu zeigen. Als ein Gesandter, der den Juden zeigt: Gottes Sohn sein bedeutet für den anderen da sein – im Sinne von für jeden anderen.

Der Schrei der Frau ist der notwendige unaufhörliche Ruf, der damals erging wie heute, Grenzen zu durchbrechen. Nicht um in anderen Ländern zu intervenieren, sondern um Platz zu schaffen über Abgründe und Grenzen hinweg und quer durch Werte und Traditionen.

Das heutige Evangelium sagt nicht, dass es in der Welt keine Grenzländer gibt, es sagt nicht, dass das Böse nicht physisch und psychisch Leid und Streit zwischen Menschen und Völkern schafft. Unterschiede gibt es überall – auch wenn wir sie nicht sehen wollen.

Aber das Evangelium sagt: Gerade das sind die Orte, wo wir uns hinauswagen sollen, Grenzen, die wir überwinden sollen. Als Jesus in das Land Kanaan ging, veränderte er die Prämisse für den Glauben und schuf Leben im Tod und machte ein kleines Kind gesund. Und das ist die wichtigste und vornehmste Prämisse, aus der wir leben dürfen – die Prämisse von Ostern, ob wir sie nun anerkennen wollen oder nicht.

Heute wird es uns gesagt. Geh hinein in das Grenzland, hinein in das Feindesland, geht hinein in das Land der Trauer, das Land der Missverständnisse. Geh hinein in alle Länder, wo Dämonen ihr Wesen treiben und wo die Unterschiede zerstören – und bestehe darauf, dass die einzige Autorität, die gilt, die Autorität ist, die von Liebe getragen ist und in Barmherzigkeit ausgeübt wird. Geh selbst hinein in die Länder oder zu den Menschen, deren Werte dir so zuwider sind, nimmt den Kampf für die Gerechtigkeit Gottes auf dich. Die Gerechtigkeit, die jedem geschenkt wird, der glaubt, dass Jesus die höchste Autorität und Macht und Ehre ist in alle Ewigkeit. Amen.


Pastorin Laura Lundager Jensen
Langetoften 1, Osted
DK-4320 Lejre
E-mail: luje(at)kp.dk

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