Matthäus 23,34-39

Matthäus 23,34-39

Zweiter Weihnachtstag | 26.12.2022 | Mt 23,34-39 (dänische Perikopenordnung) | Mikkel Wold |

Heute hören wir von der ersten Hinrichtung eines Christen. Stephanus war ein Jude, der Christ wurde und seinen Glauben bekannte, so wie das in der Apostelgeschichte erzählt wird. Seit der alten Kirche hat man den 26. Dezember als Gedächtnis an den Tod von Stephanus begangen. In Dänemark tut man das noch heute.

   Es mag merkwürdig erscheinen, einen solchen Gedenktag an Weihnachten zu begehen, eine etwas blutige Art und Weise, dieses Fest zu feiern, könnte man meinen. Aber die Sache ist die, dass das Weihnachtsfest erst viel später gefeiert wurde. Erst im vierten Jahrhundert begann man, die Geburt Jesu zu feiern, deren wirkliches Datum wir nicht kennen, das man aber an die Stelle des alten römischen Festes der Sonnenwende setzte, mit dem Kaiser als Sol invictus, der unbesiegten Sonne.

Vielleicht hat man damals gedacht, dass die beiden Feste dennoch besser zusammenpassen als wir das heute sehen. Damals hatte man die Christenverfolgungen in frischer Erinnerung. Deshalb war es durchaus sinnvoll, weiterhin die Berichte über die Hinrichtung des Stephanus und von der Geburt Jesu mit einander zu verbinden. Das macht sehr wohl Sinn, wenn man die Bedingungen sieht, denen die Verkündigung und das Bekenntnis ausgesetzt waren. Alles begann ja mit einer Geburt unter den ärmsten Umständen, die man sich vorstellen kann. Eine Erlösergestalt, die in Armut geboren wurde. Widersprüchlicher kann das Bild nicht sein. Und so verhält es sich auch mit der Verkündigung und dem Bekenntnis. Zu Beginn ist da nicht viel Pracht und Herrlichkeit bei der Verkündigung, und Jesus wird dann ja schließlich auch zwischen zwei Verbrechern hingerichtet. Was da völlig fehlt, das sind somit die Machtmittel und die Herrlichkeit dieser Welt. Nach außen hin ist das nichts, was die Verkündigung unterstreichen könnte, und das ist überhaupt nichts, was sie verstärkt oder sie mit Machtmitteln versieht, die die Leute normalerweise anlocken.

   Diese Umstände begannen sich jedoch zu Beginn des vierten Jahrhunderts zu ändern, denn als das Christentum immer mehr Zustimmung fand und der Kaiser sich schließlich dem Christentum anschloss, wurde es auch Teil des Establishments und damit einer der Wege, die man gehen konnte, wenn man Karriere machen wollte, oder wenn man nur dem Strom folgte und alles, auch seine Religion, danach ausrichtete, was nun in Mode war. Daraus wird keine lebendige Kirche, was denn auch damals wie heute einigen Theologen veranlasst hat, von dem „konstantinischen Sündenfall“ zu reden, das Kaiser Konstantin den Grund dafür legte, dass das Christentum schließlich Staatsreligion wurde. Damit ging die Kirche eine gefährliche Verbindung mit der Macht ein. Das ist eine Gratwanderung, die oft schief gegangen ist. Entweder dadurch, dass die Kirche die Macht sanktionierte, oder dass man versuchte, die Botschaft der Kirche für eine besondere politische Observanz in Anspruch zu nehmen. Dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Dinge durcheinandergeraten und man das bekommt, was der Schweizer Theologe Karl Barth „Bindestrichs-Theologien“ nannte. Das geschieht, wenn man die Theologie „verbessern“ möchte mit Werten oder einigen ideologischen Ideen, die man in das Christentum einverleiben wollte. So sind z.B. die nationalsozialistischen Tendenzen im Laufe der Zeit mit dem Christentum verknüpft worden. Der Versuch ist gefährlich, das zeigt die Geschichte, denn das Christentum kann nicht vor irgendeinen ideologischen Wagen gespannt werden, ohne in seinem Wesen verzerrt zu werden.

Eben dieser Umstand hat dann andere dazu veranlasst in das andere Extrem zu verfallen und zu glauben: Wenn man vom Christentum ausgeht und daraus die Konsequenz zieht für das Leben in der Gesellschaft – z.B. die Behandlung der Schwachen – dann ist das Ausdruck für den Versuch, das Christentum zu einer Ideologie zu machen. Wenn man so denkt, dann ist man genau so sehr auf dem falschen Weg wie die „Bindestrichs-Theologie“. In dieser Version ist dann das Tor offen, sich im Namen Jesu passiv zu verhalten. Dann kommt es zu der sehr wenig tiefsinnigen Interpretation von Luther, wo man glaubt, man müsse Christentum und Gesellschaft scharf voneinander trennen. So als ob die Nächstenliebe und der Inhalt des Christentums um Himmelswillen nicht unser Verhalten bestimmen dürfen. Der schon genannte Karl Barth donnerte einmal bei einem Besuch in Dänemark 1939 gegen diese Zurückhaltung im Umgang mit Regimen, die wie die Nazis dem Bösen den Anschein von „Anstand“ und „konsequentem Aufräumen“ geben wollten. Sich einem – was auch immer für einem – Regime zu ergeben, ist nichts anderes als Ausdruck einer politischen und evangelischen Naivität.

Jesus ist ein „Zeichen des Widerspruchs“, wie es an einer Stelle im Neuen Testament heißt. Sein Wort wird oft dem widersprechen, was wir vorhaben. Wir sind aber als seine Zeugen verpflichtet, den Widerspruch nicht zu verwässern. Wir müssen so gut wie möglich versuchen, den Inhalt der Botschaft zu verkündigen, auch im Widerspruch zu der Welt, die uns umgibt. Wenn der Bischof von Seeland, der dänische theologische Professor Martensen[1] im Jahre 1878 eine (auch ins deutsche übersetzte) Ethik schrieb, wo er die freie Konkurrenz seiner Zeit und die entstehende ökonomische Struktur kritisierte, die er für unmenschlich hielt, so nicht deshalb, weil er  von einem heiligen ideologischen Feuer ergriffen war, sondern weil er sich gegen eine in seinen Augen unchristliche Entwicklung wenden wollte, die den Ärmsten unmenschliche bedingen schaffen würde. Politisch war er keineswegs ein Revolutionär, er war gar Hofprediger des Königshauses. Warum also schrieb er so, wie er schrieb? Die kurze, etwas scharf gefasste Antwort würde lauten: Weil er nicht das Recht hatte, das nicht zu tun. Die Kirche ist dazu verpflichtet, zu reden und sich zu äußern in Bezug auf den Glauben. Man äußert sich immer unter den Bedingungen der Fehlbarkeit. Aber man hat nicht das Recht, sich zu verstecken. Nur wenige äußern sich unter Bedingungen, die denen ähneln, denen Stephanus ausgesetzt war, auch wenn das auch heute geschieht. Bei uns sind die Folgen dafür, sich zu äußern, die mildesten, die man sich vorstellen kann. Dennoch geschieht es so selten.

Warum? Ich weiß es nicht. Aber dies ist ein Tag, an dem wir daran erinnert werden, dass man reden muss, und das, was man zu sagen hat, soll gesagt werden ohne andere Mittel als das Wort selbst. Das Evangelium soll zu Wort kommen, und es soll nicht durch weltliche Machtmittel verstärkt werden. Es soll in eine Welt verkündigt werden, manchmal geschieht es mit Zustimmung in der Umgebung, manchmal wird es zu einem Ärgernis. Davon gibt es viele Zeugen vor uns. Einige von ihnen bezahlten einen hohen Preis, andere konnten friedlich weiterleben. So gut wir können, soweit es unsre Fähigkeiten ermöglichen. Wir haben nicht das Recht, nichts zu tun. Amen.

Pastor Mikkel Wold

1263 København K

E-mail: mwo(at)km.dk

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[1] Hans Lassen Martensen, dänischer Theologe, Widersacher Søren Kierkegaards, später aber einer der ersten lutherischen Sozialethiker. Zur Sozialethik und Kapitalismuskritik Luthers und des Luthertums in Dänemark siehe die Monographie:  Jørn Henrik Petersen: Der vergessene Luther. Luthers Wirtschafts- und Sozialethik und ihre Bedeutung für den modernen Wohlfahrtsstaat, Hartmut Spenner Verlag, Erkenschwick 2022.

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