Matthäus 28,16-10

Matthäus 28,16-10

Die Welt, wie sie ist und wie sie sein könnte | Trinitatis | 26.05.2024 | Matthäus 28,16-10 (dänische Perikopenordnung) | Tine Illum |

Eines Tages erhält Mack[1] einen Brief. Da steht: „Es ist lange her. Ich habe dich vermisst. Ich bin nächstes Wochenende in der Hütte, wenn du Lust hast, dass wir uns sehen. Papa“.

Es sind über drei Jahre vergangen, seit Macks Tochter Missy verschwunden ist bei einem Hüttenausflug. Vermutlich ist sie misshandelt und ermordet worden. Man kann sich kaum Schlimmeres vorstellen als damit leben zu müssen. So denken wir, wenn wir von Kindern hören, die misshandelt werden – bei uns zuhause und draußen in der Welt. Mack kämpft – wenn er nur besser auf sein kleines Mädchen aufgepasst hätte. Er sieht sich selbst als den schlechtesten Vater der Welt und kann nichts anderes sehen, als dass er schuld ist am dem Entsetzlichen, das geschehen ist – und diese Schuld – auch wenn wir anderen denken, dass es sich nicht so verhält – die ist für ihn unerträglich, sie bringt ihn unbewusst dazu, sich von seiner Familie – und von Gott – zurückzuziehen.

Und nun erhält er diese Einladung. Zur „Hütte“, für ihn ein Symbol von Trauer und Schuld und all dem, was ihn bedrückt. War dieser Bescheid von Gott? Oder – dass Gott einen Bescheid gegeben haben sollte, das wirkte naiv und kindlich. Dann war es vielleicht nur ein boshafter Scherz… Dennoch macht er sich auf den Weg. Als er zu der Stelle kommt, wo sie das blutbefleckte Kleid Missys gefunden hatten, wurde es ihm zu viel. Er versinkt in Schuld und Zorn. „Gott, konntest du uns sie nicht einmal finden lassen, damit wir sie ordentlich beerdigen. Du warst nie da, wenn ich dich brauchte. Du bist mir ein schöner Papa“. Der Tod konnte fast ein Freund sein, denkt er. Und mit Gott ist er für immer fertig. Er geht zurück zum Auto, aber da erreicht ihn von hinten ein warmer Windstoß, und plötzlich ist mitten im Winter um ihn Frühling. Alles ist schön, und die hässliche Hütte ist fein verarbeitet zu einem Blockhaus. Die Tür wird geöffnet von einer breit lächelnden Frau, die ihn umarmt und durch die Luft schwingt, als wäre er ein kleines Kind. Sie ruft ihn beim Namen und nennt ihn den Geliebten, der sehnsüchtig erwartet ist. Die Tränen kommen unwillkürlich.

Da taucht eine kleine elfenhafte asiatische Frau auf und wischt seine Tränen ab und tut sie in eine kleine Dose, wo sie Tränen sammelt. Es ist als kann er sie nicht direkt ansehen. Auch wenn sie wirklich ist mit Gartenhandschuhen und Bluejeans, so verschwindet sie die ganze Zeit aus seinem Blick. Sie ist zeitlos, und Mack weiß nie, ob ein Augenblick oder eine Ewigkeit vergangen ist. Dann taucht noch jemand auf. Er gleicht einem Zimmermann aus dem Orient. „Sind andere hier drin“ fragt Mack in seiner Überraschung, aber die schwarze Frau sagt: „Nein, wir sind alles, was du bekommst, und glaube mir, wir sind mehr als genug“.

Hier in dem Haus wird Mack wohnen. Er entdeckt, dass die Pfannkuchen backende Frau Papa ist, der ihm den Brief geschickt hat, der Zimmermann ist Jesus bzw. Jesse, wie sie ihn nennen, und die asiatische Frau, Surayu (das bedeutet sanfter Wind) pflegt den Garten, sie ist der Heilige Geist. „Naja“ sagt er dann: Wer ist dann Gott?“ Das bin ich! Sagen alle drei. Mack ist also in ein Haus eingezogen mit dem dreieinigen Gott, nach dem der heutige Sonntag Trinitatis benannt ist und nach dem auch alle Sonntage im nächsten halben Jahr benannt sind. Oft ein Tag, wo wir unser Gehirn winden, um herauszufinden, wie Gott einer und zugleich dreieinig sein kann – bis wir uns nur mit dem Mysterium beruhigen, das Gott ist. Bis wir damit aufhören, uns von unseren gewöhnlichen Denkmustern tyrannisieren zu lassen, und es wagen, im Mysterium und dem Geheimnis zu leben. Das, was über uns ausgeschüttet wurde, als wir getauft wurden. Aber was bedeutet das? Dazu kann die Erzählung von Mack und der Hütte etwas sagen. Der wird die ganze Zeit überrascht. Die ganze Zeit wird er wie von einer liebenden Macht gezwungen, die Dinge anders zu sehen. Seine Gedankenwelt und seine Sucht zu richten werden herausgefordert.

Papa erzählt Mack, dass er deshalb hier ist, damit die tiefen Verwundungen, die ihm widerfahren sind, geheilt werden sollen. Er soll lernen, neu zu denken, und deshalb erscheint Gott als diese afrikanische Frau, die nicht zu den Dogmen und Gedanken passt, die er hat oder gelernt hat. Er soll in gewisser Weise von vorn beginnen. „Wiedergeboren aus Wasser und Geist“, hören wir bei der Taufe. Er soll sich von seinem gewohnten Denken verabschieden – und sich der Verheißung Gottes anheimgeben, dass er uns nahe ist und uns stets folgt.; „Ich bin bei euch bis an das Ende der Welt“. Wie schwer das auch ist – sich dem anheimgeben, dass es Vergebung und Verwandlung gibt, dass wir niemals irgendwo sind, wo Christus nicht gewesen ist und wo er ist, mit uns sein wird, für jedes einzige kleine bange Mädchen und jeden von uns.

Und hier in der Hütte ist buchstäblich eine Ewigkeit an Zeit, wo es Mack aufgeht, dass die Gemeinschaft das Wichtige ist. Auch wenn Jesus spürte, dass Gott ihn am Kreuz verlassen hatte, hatte er – oder sie – es nicht, erzählt Papa. Und Mack war auch niemals verlassen von Gott, auch wenn es ihm so vorkam. Seine geliebte Tochter war auch nicht einsam in den letzten harten Stunden ihres Lebens.

Da waren zwar viele Probleme, schon seit Adam, sagt Papa. Aber man verwirft nicht die Menschen, die man liebt. „Stattdessen krempelten wir die Arme auf und gingen hinein in das Chaos, sagt sie; aber das haben wir mit Jesus getan“. All die großen Glaubensfragen werden lebendig für Mack. Nicht als Regeln und Dogmen, sondern als Leben. Er wird bewegt von ihrer gegenseitigen liebevollen Arbeitsgemeinschaft. Und er wird in sie einbezogen. „Ich lebe in dir“, sagt der Heilige Geist in der Gestalt von Surayu.

Mack ist voll von Anklagen und Selbstvorwürfen. Er glaubt, dass Gott sagen würde, dass da ein Sinn liegt in der Tatsache, dass Missy sterben sollte. Aber im Laufe der Gespräche findet er heraus, dass keiner von den dreien versucht zu rechtfertigen, dass sein kleines Mädchen gestorben ist. Das ist eines der Dinge, die so schmerzhaft geschehen, wenn Menschen einen freien Willen haben.

Sie verstehen seine Trauer, sie teilen sie, sie möchten aber nur nicht, dass er auch vorzeitig stirbt. Und es ist als würde er unmerklich in ihre Gemeinschaft hineingeliebt. Und er findet heraus, wie sein merkwürdiger Wunsch, selbst zu wollen, sein ständiges Insistieren auf Unabhängigkeit und Kontrolle bewirkt hat, dass er blind wurde für das Leben. Es wird ihm klar, dass Gott den Menschen nicht Leiden zufügt oder ihnen seinen Willen aufzwingt. Es ist vielmehr der Machtmissbrauch der Menschen, der alles zerstört. Und er wird eingewiesen in eine andere Macht, die Macht, einander zu wollen. Das Leiden hat keinen Sinn, und Gott braucht es nicht. „Die Gnade ist nicht von Leiden abhängig, um zu existieren, aber wo Leiden ist, wirst du viele Formen von Gnade finden“, sagt Gott. Und er lernt, dass Vergebung nicht Vergessen bedeutet, sondern dass man die Hand von der Kehle eines anderen wegnimmt und ihn Gott überlässt. Das bedeutet, dass man auf Rache verzichtet. Mack sieht auch ein, als er Sofia begegnet, der Weisheit und dem Gericht Gottes, dass Gericht nicht Rache bedeutet, sondern Wiederaufrichtung. Er legt seine Rachsucht und seine Sucht zu verurteilen ab. Vor allem verzichtet er darauf, sich selbst zu verurteilen. Er findet Ruhe in dem Gedanken, dass Gott auch stets bei Missy in ihren letzten Stunden war. Die „große Trauer“ ist von ihm genommen. Von dem dreieinigen Gott. Der Verlust ist noch immer da, aber die Trauer, die Rachegefühle und der Zweifel haben ihre verzehrende Kraft verloren. Er hat eine stärkere Kraft gefunden, die Kraft der Liebe, die für jeden da ist, der sie annehmen will.

Wir hören es hier in der Kirche immer bei der Taufe – es wurde gesagt, als wir selbst getauft wurden: Das völlig Unmögliche kann geschehen: Du kannst neu geboren werden. Wir können verwandelt werden – die Welt kann sich uns anders zeigen – und wir können sie sehen, wie sie ist und wie sie sein könnte. Taufe bedeutet nicht Lösungen für die Rätsel und Sorgen und Leiden, die zu einem wirklichen Menschenleben gehören. Sie ist ein Versprechen, nie von Gott verlassen zu sein, auch nicht in der finstersten Stunde.

Wir kennen ja gut Macks Verzweiflung. Wenn nur…, wenn nur – denkt Mack immer wieder, und er würde sein Leben dafür geben, die Zeit zurückspulen zu können. Wenn ich nur noch einmal von vorne anfangen könnte. Aber das kann er nicht. Das können wir nicht.

Aber die Möglichkeiten Gottes sind nie erschöpft. Wir können uns – wie Mack – in der Begegnung mit dem dreieinigen Gott verwandeln. Die Welt verändert sich nicht, aber das tun wir; und damit werden wir die Welt anders sehen und anders in ihr agieren. Die Zukunft Gottes entfaltet sich vor uns und in uns – und unsere Vergangenheit verändert sich rätselhaft und verfärbt sich im Schein der Vergebung und der Milde der Versöhnung. Mit diesem Rätsel müssen wir leben, das ist die unsichtbare Wirklichkeit Gottes, genauso wirklich wie der unsichtbare milde Wind, der uns von dem Zimmermann aus dem Nahen Osten erzählt, Sohn der großen liebevollen Umarmung. Amen.

Pastorin Tine Illum

DK-6091 Bjert

Email: ti(at)km.dk

[1] William Poul Young: Die Hütte, 2007.

de_DEDeutsch