Römer 14; Matthäus 5

Home / Bibel / Neues Testament / 01) Matthäus / Matthew / Römer 14; Matthäus 5
Römer 14; Matthäus 5

4. So. n. Trinitatis | 10.07.2022 | Römer 14,7-13; Matthäus 5,43-48 (dänische Perikopenordnung) | Rasmus Nøjgaard |

Das weltliche Evangelium

Der Glaube an Christus ist das Ende einer wohlbekannten und selbstverständlichen religiösen Bindung: „Wenn ihr nur die liebt, die euch lieben, was werdet ihr für Lohn haben? Und wenn ihr nur zu euren Brüdern freundlich seid, was tut ihr Besonderes?“ Hier handelt es sich um einen völligen Bruch mit einem Selbstverständnis, nach dem man einer Gruppe angehört, stattdessen verweist Jesus seine Jünger darauf, den Blick von sich selbst auf die Welt zu richten: „Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde, bittet für die, die euch verfolgen, auf dass ihr Kinder seid eures Vaters im Himmel“. Die Aufgabe der Jüngerschaft besteht nicht darin, sich selbst im Gegensatz zur Welt zu bestätigen, sondern darin, eine Beziehung zur ganzen Schöpfung einzugehen und ihr verpflichtet zu sein, „denn er lässt seine Sonne aufgehen über  Böse und Gute und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte“. Die Gerechtigkeit Gottes lässt sich nicht am Zustand der Welt ablesen, sondern allein darin, dass man eine Beziehung zur Welt eingeht.: „Darum sollt ihr vollkommen sein, wie euer himmlischer Vater vollkommen ist.“

Um Jünger Jesu und Kinder ihres himmlischen Vaters zu sein, müssen sie die Geborgenheit der Gemeinschaft verlassen. Die Bestimmung des Gesetzes über Freund und Feind, rein und unrein, gerecht und ungerecht sind aufgehoben und durch ein universell gültiges Gesetz ersetzt, jedem Menschen unter Gottes Himmel ohne Feindschaft zu begegnen. Vielmehr sollen sie mit einer vertrauten und wohlgeordneten Gemeinschaft brechen und sich stattdessen einer neuen Gerechtigkeit anheimgeben, in der es nicht um die üblichen Privilegien geht. Die religiöse Zugehörigkeit zu einem Klan muss einer mehr existenziellen und universalen Bindung unter dem Vater weichen, der Herr ist über Himmel und Erde.

In jeder Hinsicht ist dieser Abschnitt in der Bergpredigt das Überraschendste und Revolutionärste in der ganzen Verkündigung Jesu. Das entspricht durchaus der Forderung von Paulus, seinen Bruder nicht zu verurteilen: „Du aber, was richtest du deinen Bruder? Oder du, was verachtest du deinen Bruder? Wir werden alle vor den Richterstuhl Gottes gestellt werden. Denn es steht geschrieben: ‚So wahr ich lebe, spricht der Herr, spricht der Herr, mir sollen sich alle Knie beugen und alle Zungen sollen Gott bekennen‘. So wird nun jeder von uns für sich selbst Gott Rechenschaft geben. Darum lasst uns nicht mehr einer denn anderen richten, sondern richtet vielmehr darauf euren Sinn, dass niemand seinem Bruder einen Anstoß oder Ärgernis bereite“ (Römer 14,10-13). Die Vorstellung, man gehöre einer besonders abgegrenzten Gemeinde an mit besonderen Privilegien und einem besonderen Stratus, wird in dieser Weise überraschend deutlich abgewiesen. Mit den Jüngern und der Gemeinden des Paulus werden wir dagegen darauf verwiesen, für die Welt zu leben und allein mit einer persönlichen Verantwortung gegenüber Gott selbst.

Der Glaube an Christus kann in diesem Sinne als eine Selbstaufgabe bezeichnet werden, aber nicht in einem exklusiven Sinne, indem man sich z.B. aus der Welt zurück zieht oder Gott in reiner Kontemplation sucht, sondern umgekehrt inklusiv indem man sich der Welt in all ihrer geschöpflichen Vielfalt hingibt.

Die Radikalität ist nicht zu übersehen. So wie die die unendliche Kloake der Kirchengeschichte mit kirchlichen Richtungen, besserwissenden Gruppierungen, esoterischen Kirchen, hasserfüllten Abgrenzungen und kriegerischen Schwärmereien in ihrer Unendlichkeit bestätigt, wie schwierig diese Forderung zu verstehen, zu akzeptieren und im Leben zu realisieren ist und wie leicht sie in ihr Gegenteil umschlägt und pervertiert wird.

Was Jesus fordert, ist eine weltliche Wirklichkeit, wenn man nur die die grundlegende Voraussetzung einbezieht, dass Jesus von allen verlangt, den Feind zu lieben und für die zu beten, die einen verfolgen. Weil sie wie Gott vollkommen sein und in ihrer Liebe Freund und Feind umfassen sollen.

Jesus verlangt das scheinbar Undenkbare. Die Forderung ergeht in relationalen Begriffen, nicht nach den Maßstäben der Zugehörigkeit. Du sollst deinen Feind lieben und für die beten, die dich verfolgen. Das ist überraschend konkret. Lieben heißt im Sinne des Evangeliums einen anderen willkommen heißen, und das beschränkt sich nicht auf eine private, erotische und körperliche Beziehung, auch wenn das Erotische und Körperliche heute eine neue Gefahrenzone für Feindschaft und Verfolgung geworden ist und deshalb sehr wohl als Feindbild zu beachten wäre. Hier wird jedoch eine Liebe verkündigt, die Brücken baut zwischen Menschen. So wie Psalm 23 Gott als einen Hirten beschreibt, der mir „einen Tisch bereitet im Angesicht meiner Feinde“, ein Gott, der reich ist an Treue und Segen. So ist die Liebe, reich an Treue und Segen wünscht sie ein gutes Leben und eine hoffnungsvolle Zukunft, also ist sie ein Gegensatz zum Hass. In dieser Weise fordert Jesus von seinen Jüngern, dass sie jegliche Feindschaft überwinden und darin Freude finden sollen, die Undenkbaren und Unerwünschten zu sich einzuladen. Wo die Feindschaft ein Hindernis ist, an der Gemeinschaft teilzuhaben, und Freundschaft und Bruderschaft untergräbt, da ist die Liebe eine Brücke über diese Kluft. Liebe heißt Gegensätze überwinden und den Zorn des anderen ertragen. Die Liebe besitzt die Kraft, die Feindschaft, die Kämpfe und die Niederlagen früherer Zeiten zu überwinden und vielleicht geradezu die Scham zu überwinden, die eine Feindschaft unweigerlich mit sich bringt.

Jesus interessiert sich nicht besonders für die anderen Gruppen, für die, die hassen und verfolgen, und es ist völlig abwegig, die Motive dieser Gruppen zu untersuchen, um ihr Verhalten zu erklären. Entscheidend ist nicht der Konflikt, sondern die Beziehung und dass man Kontakt und Gemeinschaft ermöglicht, dia-logos im buchstäblichen Sinne. Das kann man fast als eine Missionsstrategie verstehen. Die Jünger sollen ihre Widersacher nicht abweisen und verurteilen, sondern sie sollen einen Dialog durch Gebet und Werke der Liebe ermöglichen und sie dadurch von ihrer Botschaft überzeugen, dass wie einen gemeinsamen Herrn haben, Jesus Christus.

Diese Strategie kann noch immer angebracht sein in einer Wirklichkeit, wo die Unterschiede und der Abstand zwischen Bevölkerungsgruppen und Religionen weiter immer größer und härter wird.

Schließe dich nicht ein in dein eigenes befestigtes Haus, wehre dich nicht mit harter Hand gegen alle Angriffe. Geh vielmehr hin zu denen, die sich selbst verschanzt haben mit Wut und die Aggression reagieren. Das ist eine überraschend weltliche Art und Weise, der Wirklichkeit zu begegnen, wo anderen auch ein Existenzrecht einräumt, aber doch immer mit der Strategie, zu einem gemeinsamen Verständnis der Zusammengehörigkeit mit anderen zu gelangen trotz Hass und Feindschaft, weil wir ein Leben unter dem Himmel des Herrn gemeinsam haben.

„Denn wenn ihr nur zu euren Brüdern freundlich seid, was tut ihr Besonderes? Tun nicht dasselbe auch die Heiden? Darum sollt ihr vollkommen sein, wie euer himmlischer Vater vollkommen ist!“ Amen.

Pastor Rasmus Nøjgaard

DK-2100 København Ø

Email: rn(at)km.dk

de_DEDeutsch