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Theologisches Seminar | Theologische und Religionswissenschaftliche Fakultät

Die Universität Zürich wäre ohne Zwingli undenkbar

Interview im Tages Anzeiger mit Prof. Dr. Konrad Schmid

Der Alttestamentler Konrad Schmid würde 500 Jahre Reformation erst 2025 feiern, weil er die Gründung der Lehranstalt von Zwingli in Zürich für zentral hält. Vorher sei die Stadt «eine öde Landschaft» gewesen.

 

Zürich feiert unter dem Druck des Luther-Jubiläums seit 2017 500 Jahre Reformation. Wären für das Gedenken an Zwingli nicht andere Daten wichtiger?
Es ist verständlich, dass man versuchte, sich auf ein Jubiläumsdatum zu verständigen. Da lag das Jahr 1517 nahe, der Thesenanschlag Luthers. Auf dem Platz Zürich sind andere Ereignisse interessanter. Den Amtsantritt von Zwingli 1519 als Leutpriester am Grossmünster werden wir noch begehen. Politisch und institutionell am wichtigsten sind für Zürich die Jahre 1523 und 1525. Im Januar 1523 wies der Grosse Rat die Pfarrerschaft an, reformatorisch zu predigen. Und im Laufe des Jahres 1525 wurden die neuen Institutionen des reformierten Zürichs errichtet: das Ehegericht, die Armenordnung und vor allem die <Prophezei>, die eigenständige theologische Lehranstalt am Grossmünster.

Die Zürcher Kirche wollte vor allem 2019 anlässlich Zwinglis Berufung ans Grossmünster erneut gross feiern. Doch von den vorgesehenen 1,4 Millionen sind nur noch 300 000 Franken übrig.
In den nächsten Jahren folgen mehrere Daten, die man feiern kann. Meiner Meinung nach braucht es dazu aber nicht viel Geld und keine grossen Volksfeste. Mir ist wichtig, dass man sich in den Institutionen die Bedeutung der Reformation für das heutige Zürich bewusst macht: Im Rathaus der politischen Bedeutung von 1523 als dem grossen Wendepunkt bei der Durchsetzung der Reformation. Die Universität soll 2025 die Lehranstalt <Prophezei> als ihre Vorgängerin würdigen. 1525 war für den Universitäts- und Bildungskontext zentral, auch für die politische Stabilität und die ökonomischen Grundlagen Zürichs.

Tatsächlich wirbt die Universität Zürich zurzeit mit dem Slogan: «Critical thinking since 1525». Ist 1525 mit der Errichtung der Prophezei durch Zwingli das Gründungsjahr der Universität?

1525 ist das Gründungsjahr der wichtigsten Vorgängerinstitution der Universität. 1833 gegründet, ist die Universität Zürich vergleichsweise jung, aber sie wäre undenkbar gewesen ohne die Prophezei und Zwingli. Erst durch seinen Impuls gab es in Zürich eine institutionalisierte Intellektualität. Zürich war im frühen 16. Jahrhundert in geistiger Hinsicht eine öde Landschaft - anders als Basel mit seiner renommierten Universität und Gelehrten wie Erasmus oder Hans Holbein.

Zwingli ist also eminent wichtig für den Bildungsstandort Zürich?
Es gab schon im Mittelalter Lateinschulen am Grossmünster und Fraumünster, aber von bescheidenem Niveau. Zwingli setzte einen starken Bildungsimpuls aus der Überzeugung heraus, dass die neue Lehre auch eine neue Lehrinstitution benötigt. Er wollte die neuen Pfarrer nicht indoktrinieren, sondern in der Grundlage ausbilden. Deswegen war die Prophezei im wesentlichen philologisch ausgerichtet. Grammatik stand im Zentrum des Unterrichts. Man beschäftigte sich mit dem hebräischen, griechischen und lateinischen Urtext der Bibel.

War Zwingli dabei stark von Erasmus von Rotterdam beeinflusst?
Erasmus genoss grosse Reputation, obwohl er sich ja zeitlebens der Reformation verschlossen hatte. Sein Einfluss auf Zwingli war markant. Zwingli selbst konnte ja nicht in Zürich studieren. Er hat in Basel und Wien studiert. Und er gilt als Humanist unter den Reformatoren. Die entscheidenden Anstösse erhielt er über die Bücher und 1515/16 auch über die Begegnung mit Erasmus: das Zurück zur Ursprache, zu den Quellen. Eine besondere Rolle spielte das Alte Testament. Die Reformation kann man auch als dessen Wiederentdeckung interpretieren. Der Kontakt mit dem Judentum wurde wichtig, speziell zu den Rabbinern, die Hebräisch konnten. Auch die reformatorischen Denkformen, dass der Mensch direkt vor Gott steht, dass es um die Begegnung mit dem lebendigen Gott geht, war alttestamentlich inspiriert.

Zurück zu den Quellen hiess weg von der Tradition?
Ja, das war der kritische Impuls, indem die Reformatoren sagten, die Auslegung der Bibel obliegt nicht mehr der Institution Kirche, vielmehr muss jeder die Bibel lesen können. Deshalb orientierte man sich nicht an der Auslegungstradition, sondern am Text selber.

Die Bibel wurde auch ausgelegt?
Die Auslegung bildete den Schlussteil der Lektionen in seiner Lehranstalt, die jeden Tag ausser Freitag und Sonntag im Grossmünsterchor stattfanden. Jakob Ceporin, Huldrych Zwingli, und Leo Jud erklärten den lateinischen, hebräischen und griechischen Text des Alten Testaments, am Schluss folgte eine kurze Auslegung durch Leo Jud. Daraus ist dann die Zürcher Bibel von 1531 in der Volkssprache entstanden. Zwingli musste wie Luther das Deutsch in eine Form bringen, wobei er weniger sprachstiftend war als Luther.

Aber auch er machte die Bibel für breite Kreise verständlich?
Die Demokratisierung der Religion hatte ihr wichtigstes Vehikel darin, dass man die Bibel in die Volkssprache übersetzte. Die Prophezei richtete sich vor allem an die Pfarrer von Zürich, aber auch an Interessierte im Volk. Damals waren auch die Gottesdienste immer von allen besucht, sie waren aktuell und lebendig. Man rief etwa in den Gottesdienst hinein, wenn man nicht zufrieden war.

Dass Grossmünster und Universität Zürich eng zusammengehören, zeigt auch ihr Logo.
Das ist erstaunlich, die Universität Zürich ist eine der ganz wenigen, die ein Gebäude im Siegel hat, eben das Grossmünster. Sie war zwar dort nie beheimatet, das Chorherrenstift steht aber für den Anfang des Bildungsstandorts Zürich. Während der Reformation wurden alle Klöster bis auf das Chorherrenstift am Grossmünster säkularisiert. Dieses wurde erst 1832 aufgelöst, und mit diesen Mitteln wurde die Universitätsgründung überhaupt erst möglich. Die Chorherren waren Geistliche, die hier in einer klosterähnlichen Gemeinschaft lebten und sogenannte Pfründen besassen, also Landgüter, von deren Bewirtschaftung sie lebten. Das hatte zu viel Unmut geführt.

Die Prophezei änderte sich auch: Ab 1559 wurde die Lehranstalt zur Hohen Schule für Theologie, zur «Schola Tigurina», ab 1601 Teil des Carolinums im Chorherrenstift.
Die Bezeichnung «Carolinum» hängt an diesem Gebäude, seit es dort in der Tradition Karls des Grossen im frühen Mittelalter eine Lateinschule gab. An der Hohen Schule wurde bald auch Rhetorik, Dialektik und Philosophie unterrichtet. Die Professuren waren Stadtzürchern vorbehalten. Bei der Gründung der Universität 1833 gab man Gegensteuer: Als ordentlicher Professor konnte nur berufen werden, wer nicht zuvor am Carolinum gelehrt hatte. Der Begriff Universität kam erst ab 1914 auf, vorher war es die Hochschule.

Von jeher herrschte in den Zürcher Bildungsinstitutionen ein liberaler Geist, auch schon in der Prophezei.
Der Zürcher Liberalismus ist im 19. Jahrhundert entstanden, aber seine tieferen Wurzeln gehen bis ins 16. Jahrhundert zurück. Entscheidend war, dass die Reformatoren nicht mehr auf die Autoritäten, sondern auf Argumente vertrauten, sich an der Bibel und nicht an der Tradition orientierten. Wenn man Liberalismus als Unabhängigkeit im Denken, als Betonen der Eigenverantwortung versteht, dann spielte die Reformation sicher eine wichtige Rolle. Politisch aber waren Zwingli und seine Nachfolger alles andere als liberal. Mit ihren Gegnern, den Täufern vor allem, gingen sie ja nicht zimperlich um.

Was bedeutet liberale Theologie?
Sie ist jeder Scharlatanerie in der Religion gegenüber kritisch, auch gegenüber kultischem Ballast. Sie ist intellektuell offen und daran interessiert, ein Christentum gemäss der menschlichen Vernunft zu formulieren.

Ist das auch heute die Rolle der Theologischen Fakultät?
Ja. Die Frage ist nicht, ob wir künftig eine Religion haben, sondern ob wir eine gepflegte Religion haben. Noch gehören etwa zwei Drittel der Menschen christlichen Kirchen an. Die Statistik zeigt aber, dass der Glaube an Engel, an Hellseherei zunimmt. Solche Phänomene gilt es intellektuell zu verstehen.

 

 

 

Mit Konrad Schmid sprach Michael Meier.

Quelle: Tages Anzeiger Zürich