Das Hören und die anderen Sinne

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Das Hören und die anderen Sinne

Predigt zu 2. Mose 33,18-23; Römer 12,6-16a; Johannes 2,1-11 (dänische Perikopenordnung) | verfasst von Christiane Gammeltoft-Hansen |

 

Von allen Sinnen ist es wohl das Gehör, das in der evangelisch-lutherischen Kirche am höchsten geschätzt wird. Vieles können wir entbehren – nur nicht dies, dass uns etwas erzählt wird. Augen, Nase, Mund, Leib und Ohren. Das sind die vier Sinne. Aber das Ohr ist das beste. Das Auge ist ein Spiegel, der Signale auffangen kann auch auf geistigen Frequenzen. Erst hören, dann sehen. Das ist die Reihenfolge.

Dennoch hebt man heute den Geschmackssinn und das Augenlicht hervor. Auch in den Bibeltexten selbst, wo sie aktiviert werden. Das geschieht in dem Bericht von einem Fest, das wegen seines Mangels in Erinnerung bleiben sollte, aber stattdessen wegen seines Überflusses im Gedächtnis geblieben ist. Und das geschieht durch einen Gott, den wir erst nur von hinten sehen dürfen, vor dessen Angesicht wir aber nichtsdestoweniger hier leben. „Ich will meine Hand über dir halten, bis ich vorübergegangen bin“, sagt Gott zu Moses im 2. Buch Mose. „Dann will ich meine Hand von dir tun, und du darfst hinter mir hersehen, aber mein Angesicht darf man nicht sehen“. Nichts kann die Vorstellungskraft, das innere Auge, so anregen wie ein Verbot

Ein Photograph hat einmal gesagt, dass die Photographie immer etwas Melancholisches an sich hat. Sie ist ja aus der Vergangenheit. Sie zeigt, was gewesen ist, aber jetzt nicht mehr ist. Vielleicht will Gott deshalb nicht, dass Moses sein Angesicht sieht. Er will nicht in ein Bild eingefangen werden, das schnell Vergangenheit wird. Ein totes Photo.

Aber ein Gesicht ist in sich selbst ja keineswegs tot. Wenn Künstler uns sehen lassen wollen, benutzen sie deshalb oft ein Gesicht. Sie malen Portraits, weil da etwas besonders Eindringliches in einem Gesicht ist. Der Blick kann uns einfangen. Da ist etwas, was uns anspricht. Vielleicht eine Forderung, dass sich jemand meiner annimmt, so dass es zu einer Begegnung kommt.

Selbst Künstler, die nicht mit Pinseln malen, sondern mit Worten, müssen Wortbilder verwenden über das Gesicht. Wie z.B. die Beschreibung vom Blick eines Liebenden, die mit den Worten eines Dichters so klingen kann: „Sein Blick strich über mich hinweg wie ein weicher Pinsel, der dabei war, Blattgold aufzutragen. Ich war dabei, veredelt zu werden, umgeschaffen von einem Blick“.

Und nicht nur der Blick bewirkt, dass das Gesicht etwas Besonderes wird. Auch die Gesichtszüge haben ein besonderes Potenzial. Ein Gesicht kann sich verändern und doch dasselbe sein. Was wir fühlen, was wir erleben, das hinterlässt Spuren in unserem Gesicht. Freude und Leid zeichnen sich in ihm ab. Das Gesicht verändert sich ständig. Es lässt sich eben nicht einfangen. Es ist stets neu und bringt dadurch in irgendeiner Weise die Idee des Unendlich en zum Ausdruck.

Von Angesicht zu Angesicht – hier findet die Begegnung statt, und die Welt wird größer. Von Angesicht zu Angesicht – hier können wir zuweilen auch plötzlich entdecken, dass wir liebens-wert sind.

Ohne Gesicht wird es unmenschlich. So als handelte es sich um einen anonymen Gegenstand. Der Blick wird uns fehlen. Deshalb genügt es auch nicht mit einem Gott, den wir nur von hinten sehen dürfen, so als sei er immer auf dem Wege weg von uns.

Wir sollten uns nicht täuschen – „en face“, von Angesicht zu Angesicht, mit Gott zu leben, das bedeutet nicht, dass alle Geheimnisse durchschaut und alle Rätsel gelöst sind. Wie beim Wort haben wir auch das Gesicht nur unter der Bedingung der Deutung. So wie wir immer versuchen, das Gesicht von einander zu lesen: In welcher Gemütslage befindet sich der andere? Was meint der bzw. die andere mit dem was er bzw. sie sagt hat? Was bedeuten die Furchen im Gesicht? Spiegeln sie ein Leben mit viel Schmerz oder mit viel Lachen?

Das Evangelium ist die Erzählung von einem Gott, der nahe ist. Ein Gott, der nicht von uns fortgeht, sondern der uns entgegenkommt. Das erste Mal, dass Jesus im Johannesevangelium öffentlich auftritt, ist eine Hochzeit. Die Bewegung verläuft in der entgegengesetzten Richtung wie die, die Moses erlebt. Hier ist niemand, der gebeten wird, sich zurückzuziehen in dunkle Ecken oder Abstand zu halten. Da ist keine Hand, die uns die Ohren zuhält, während Gott vorübergeht. Da wird ein Fest gefeiert, und Gott ist mit dabei.

Die beiden Brautleute, sie haben wohl erlebt, durch den Blick des anderen veredelt zu werden. Nun fügt Gott dann edlen Wein hinzu, gleichsam eine Veredlung des Lebens selbst, die sich in der Verwandlung aus Wasser in Wein verbirgt. Und wir sehen das alles in unserem inneren Blick. Die großen Krüge, das klare Wasser und dann der tiefrote samtfarbige Wein. Und da sind die Gerüche, Geschmacksnuancen, und der Geist findet sich ein in mehr als einem Sinn.

Es kann gut sein, dass wir in der Kirche nicht in dem Ruf stehen, ausgelassen und besonders festlich zu sein. Aber das ist nichtsdestoweniger das heutige Evangelium. Da ist Fest, und da gibt es genug zu trinken, das Fest kann lange Zeit weiter gehen. 600 bis 700 Liter Wein. Das ist immerhin etwas. Das kann munter werden.

Und in all dem zeigt sich ein Gottesbild, das zeigt: Gott ist nicht der, der uns den Rücken zukehrt, sondern der in die Welt und unsere Gemeinschaften hineintritt und sie bereichert. Das ist noch immer rätselhaft. Das geht weit über das hinaus, was wir verstehen und war unser denken fassen kann. Aber es ist ja auch deutlich. Das ist gnädig und freigiebig.

Und dann ist hinzuzufügen. Es war am dritten Tag, dass Hochzeit gefeiert wurde, schreibt Johannes. Es war auch am dritten Tag, dass Jesus von den Toten auferstand. Da ist irgendetwas an der Hochzeit, was nicht nur vom hier und jetzt handelt, sondern auch von dem, was kommt. Dass wir einem Fest dort in der Zukunft entgegensehen, wo die Ewigkeit beginnt.

Natürlich hat das Ohr seine Bedeutung, denn das Wort bedeutet etwas, von Gott muss uns etwas erzählt werden. Aber da ist auch Leben in den anderen Sinnen. Der Geschmack des Weins bei einer Hochzeit wie auch beim Abendmahl. Das Rieseln von Wasser, das mit einer Hand über den Kopf eines Kindes gegossen wird. Augen, die dem Blick eines anderen begegnen, und Augen, die entdecken, dass man selbst gesehen ist. Vielleicht hören wir ja auch besser, wenn die anderen Sinne mit dabei sind. Amen.

 

Pastorin Christiane Gammeltoft-Hansen

DK-2000 Frederiksberg

E-mail: cgh(at)km.dk

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