Lukas 15,1-10

Lukas 15,1-10

Die Freude der Engel | 3. Sonntag nach Trinitatis | Lukas 15,1-10 (dänische Perikopenordnung) | Von Anne-Marie Nybo-Mehlsen |

Verloren sein und gefunden werden. Sein und Werden. Da liegt eine ganze Welt in den beiden Worten. Versuche nur mal zu, beschreiben, was dein Sein ist, gerade jetzt in diesem Augenblick des Lebens, an diesem Sonntag. Erzähl mir – nicht wer du bist, sondern was und wie du bist. Ich habe Zeit zuzuhören, und ich frage gerne nach, um zusammen mit dir Entdeckungen zu machen, wenn du willst. Sein und werden. Zwischen „Sein“ und „Werden“ liegt ein Abgrund, ein unüberwindlicher Abstand der Zeit. Hier können wir nur warten, nicht springen. Wir können raten und berechnen, und wir können planen, aber ganz gleich was, es wird sich zeigen, was wir werden. Warten und sein … warten auf das, was wir werden.

Was können wir daran ändern, wenn es so ist? Können das Schaf oder die Münze etwas daran ändern, ob sie nun verloren sind oder nicht? Das Schaf kann vielleicht etwas tun, denn es kann sich an die Herde halten, das kann es. Aber Schafe sind nicht so kluge Tiere, sie können nicht unterscheiden zwischen rechts und links und werden leicht aufgeschreckt, so dass sie weder hören noch sehen, sondern nur rennen. Die Münze kann jedenfalls nichts tun – sie ist willenlos.

Die Bilder hier passen nicht ganz auf Menschen, die sind wie die meisten von uns, eigensinnige, bewusste, kluge Menschen, die durchaus selbst Richtung und Ziel bestimmen. Und die selbst bestimmen, ob wir mit der Herde laufen wollen oder wir selbst sein wollen. Vielleicht sind wir zu sehr mit uns selbst beschäftigt, wenn wir uns sogleich mit verlorenen Schafen oder einer verlorenen Münze vergleichen?  Vielleicht geht es hier viel mehr um die Freude des Findens und den Willen zu suchen und die Freude des Wiederfindens?

Aber – man denke nur, wenn es hier um Gott geht – und die Freude der Engel?

Vielleicht würde Jesus das Gleichnis hier aus einer anderen Perspektive erzählen, wenn er es für die Gegenwart erzählen würde, die sich selbst als nicht besonders verirrt ansieht? Wir haben doch meistens damit genug zu tun, all das frische grüne Gras zu fressen, das wir um uns herum sehen. Sattheit stellt sich ein.

Würde Jesus heute von Menschen erzählen, die Gott suchen? Und von der Freude, eine Gemeinschaft zu finden, die trägt? Zöllner und Sünder damals waren ausgeschlossen, verachtet, von vornherein verurteilt – und sie hielten sich an Jesus, weil sie hier jemandem begegneten, der ihre Geschichte und ihr Schicksal tragen wollte und ihnen eine neue Richtung wies, eine neue Möglichkeit und eine Zugehörigkeit – und Veränderung. Und die Freude war groß genug für ein Fest.

Es gibt keine Garantie dafür, dass Menschen wissen, wo wir eigentlich hingehören, und uns wohl zurückrufen lassen, wenn nach uns gerufen wird. Es gibt keine Garantie dafür, dass wir eben gerade Glauben genug haben, um die Stimme des Hirten wiederzuerkennen, oder dass die Abgründe des Lebens nicht finsterer und ferner sind, als dass wir sie finden können, wenn nur gründlich genug gesucht wird.

Es besteht in der Tat eine wirkliche Gefahr, dass man verloren geht, verloren ist. Ein Risiko, das wir selbst immer dann spüren, wenn wir etwas anderes und mehr verlieren als Hosenknöpfe, Münzen oder Kuscheltiere. Wir verlieren und verlassen so viel, so viele auf dem Wege, sowohl etwas, nach dem man suchen kann und was man vielleicht wiederfinden kann, aber auch etwas, von dem wir wissen, dass es verloren ist und außerhalb unserer Reichweite, weg für immer, unerreichbar. Ja, wir können einander verlieren, ein Mensch kann verschwinden, verloren gehen und unerreichbar werden für uns. Wir merken die Abwesenheit, den Schmerz, den Verlust – allein nur wenn wir daran denken. Sollte Gott den Verlust, den Schmerz und die Abwesenheit weniger spüren als wir?

Der vorbehaltlose Jubel darüber, gefunden zu haben, sagt etwas über den Wert des Gefundenen, über das Verhältnis zwischen Gott, der sucht, und uns, die er findet – über die tiefe Liebe, die darauf besteht, dass wir unverlierbar sind – jeder einzige von uns.

Nun werden die Erzählungen von dem Schaf und der Münze zu einem Ausdruck für die Leidenschaft Gottes. Jesus, der Erzähler, ist selbst losgegangen um zu suchen, er verzichtet auf die eigene Sicherheit, um das Schaf auf seinen Schultern zurückzubringen. Wir sind keine niedlichen schneeweißen Lämmer, sondern schwere, selbstgerechte und ziemlich dreckige Schafe. Er ruft alle Engel zum Fest für die Gefundenen, und ja, wir gehören offenbar in eine Gemeinschaft von Engeln, die sich wie gute Nachbarfrauen um uns kümmern. Es besteht kein Grund, andere herauszuhalten, zu verachten und sich selbst zu verstellen, wie dies die Schriftklugen und Pharisäer glauben. Sie rackern sich ab im Namen des Perfektionismus und wagen es nicht, zu ihren eigenen Fehlern und Mängeln zu stehen. Sie erheben den Anspruch, als die beste Ausgabe von sich selbst dazustehen. Klingt es wohlbekannt, wenn sie meinen, sie müssten sich selbst suchen und diesen Weg selbst finden?

Ist es an der Zeit, dass wir uns im Menschlichen einfinden und Gott dafür einstehen lassen, Gott zu sein? Was geschieht mit uns und mit der Gemeinschaft von uns „Mit-Schafen“, verzeiht: zwischen uns den Mitmenschen, wenn wir Jesus beim Wort nehmen, wenn er erzählt, dass wir unverzichtbar sind? Letzten Endes kann es sein, dass dies die Welt schließlich umkehrt, dass Abgründe überwunden werden, dass Böden aufgebrochen werden und dass die tiefsten Abgründe des „unmöglich“ und „nie wieder“ aufgehellt werden. Vielleicht sollten wir damit rechnen und miteinander leben als unentbehrliche Geschwister und Anlass für die Freude der Engel? Amen.

Pastorin Anne-Marie Nybo Mehlsen

DK-4100 Ringsted

Email: amnm(a)km.dk

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