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Theologisches Seminar | Theologische und Religionswissenschaftliche Fakultät

Gespräche über Leben und Tod

Bericht im römisch-katholischen Pfarrblatt "Horizonte" über ein Podiumsgespräch unter Teilnahme von Simon Peng-Keller zum Thema "Leben und Sterben" in Wettingen-Baden.

Marie-Christine Andres Schürch

  • Die Katholische Erwachsenenbildung Wettingen-Baden schloss vergangenen Freitag, 15. November, die diesjährige Veranstaltungsreihe «vom Leben und Sterben» mit einem Podiumsgespräch.
  • Im Saal des Roten Turms in Baden sprachen Fachleute aus christlicher Ethik, Palliativmedizin, Psychiatrie und Spiritual Care über das Sterben angesichts aktueller Optionen.
  • Die Podiumsteilnehmer berichteten aus ihrer Erfahrung, dass Sterben leichter wird, wenn man das eigene Sterben akzeptiert und sich möglichst offen damit auseinandersetzt.

Am vergangenen Freitag ging es im Saal des Roten Turms in Baden um Leben und Tod. Anlass zum Diskutieren und Sinnieren gab vor allem der Übergang: das Sterben im heutigen Kontext von palliativer Pflege, Sterbehilfeorganisationen und Patientenverfügungen. Vier der bisherigen Referenten des Zyklus «aufbrechen 2019» hatten sich zu einem abschliessenden Podium versammelt.

«Praktiker» und solche mit wissenschaftlichem Zugang

Moderator Bernd Kopp teilte die Podiumsteilnehmer der Übersichtlichkeit halber in solche mit praktischem und solche mit «eher reflektierendem» Zugang zum Thema Sterben ein. Auf vorwiegend praktischer Ebene beschäftigt sich Dr. Annett Ehrentraut, stellvertretende leitende Ärztin Innere Medizin und Palliative Care am Kantonsspital Baden mit dem Thema. Ebenfalls im direkten Kontakt mit Patienten stand Mario Etzensberger als ehemaliger Chefarzt der Klinik Königsfelden. Als Mitglied der nationalen Ethikkommission hat der Theologe Markus Zimmermann eher wissenschaftlichen Zugang zum Thema, ebenso wie Simon Peng-Keller, Theologe und Professor für Spiritual Care an der Universität Zürich.

Brisante Aspekte heutiger «Sterbepraxis»

Zu Beginn gaben die Podiumsteilnehmer je ein kurzes Statement dazu ab, was ihnen angesichts heutiger «Sterbepraxis» brisant und wichtig scheint.

Sowohl die Palliativ-Ärztin Annett Ehrentraut wie auch der Psychiater Mario Etzensberger nannten als Problem, dass über das Sterben viel zu selten offen gesprochen werde. Annett Ehrentraut: «Ein Drittel der Patienten auf unserer Palliativstation sterben. Oft erlebe ich, dass in der Familie über das Thema Sterben kaum gesprochen wird.» Mario Etzensberger monierte, dass dauernd von Selbstbestimmung geredet werde und man nach allem Möglichen frage, nur nicht nach der Einstellung zum Sterben – und noch weniger zur Transzendenz.

Palliative Pflege ist unterfinanziert

Simon Peng-Keller, Professor für Spiritual Care am Universitätsspital Zürich, nannte drei Punkte, die ihn beschäftigen. Erstens, dass palliative Pflege im Vergleich zu anderen medizinischen Bereichen stark unterfinanziert sei und in der Politik keine Lobby habe. Zweitens konzentriere sich die Berichterstattung der Medien zum Thema Sterben völlig einseitig auf den assistierten Suizid. Drittens kämen in den Diskussionen die Sterbenden nie selber zu Wort.

Der Sozialethiker Markus Zimmermann gab seiner Besorgnis darüber Ausdruck, dass die assistierten Suizide in den letzten fünf bis sieben Jahren exponentiell zugenommen haben. Die Normalisierung der Sterbehilfe treibe ihn um, sie sei gefährlich. Dann griff er das Anliegen seines Vorredners Simon Peng-Keller auf: «Die finanziellen Mittel sind in der Medizin sehr ungleich verteilt. Den Grund dafür ortet Anne Ehrentraut in der Politik, wo das Verständnis dafür fehle, was es heisst, sterbenskrank zu sein. Die Palliativmedizin sei personalintensiv und koste entsprechend viel. Das untermauerte Simon Peng-Keller mit Zahlen: «Die Palliativstation des Unispitals Zürich schreibt jedes Jahr drei Millionen Franken Defizit».

Warum ist Sterben so schwer geworden?

Der Psychiater Mario Etzensberger schaltete sich ein und bezeichnete den Verlauf der bisherigen Diskussion als klassische Verdrängungstaktik: «Statt übers Sterben, sprechen wir über Geld». Heutzutage dürfe ja gar nicht mehr gestorben werden. Mario Etzensberger zitierte mit hintergründigem Schalk aus einer Studie: «Wer länger als fünf Stunden pro Tag sitzt, erhöht sein Sterberisiko. Wer weniger sitzt? Hat ebenfalls ein Sterberisiko. Ja sogar einer, der den ganzen Tag herumrennt, hat ein Sterberisiko.» Der Psychiater plädierte dafür, der Tatsache ins Auge zu sehen: «Wir müssen akzeptieren, dass wir sterben werden. Wir sterben!»

Fehlende Rituale, schlechte Gefühle

Dass der Tod in unserer Gesellschaft nicht mehr sichtbar sei, trage wesentlich zum allgemeinen Verdrängen bei. Als Beispiele nennen die Podiumsteilnehmer, dass es keine Totenwagen mehr gebe, der Brauch des Aufbahrens von Toten weitgehend verschwunden sei und viele Menschen deshalb noch nie in ihrem Leben eine Leiche gesehen hätten. Markus Zimmermann: «Die Entkirchlichung ist weit fortgeschritten. Doch die Abschaffung sämtlicher Rituale wie Aufbahrung, Leichenzug und Trauerkleider erweist sich als fatal.» Das sei vor allem für die Angehörigen eines Sterbenden eine grosse Belastung. Mario Etzensberger weiss, dass Angehörige sich oft alleingelassen fühlen und darunter leiden, dass sie Gefühle haben, die sie «offiziell» nicht haben dürfen, zum Beispiel Wut auf den Demenzkranken, der sie nicht mehr versteht.

Was uns zuinnerst bewegt

Moderator Bernd Kopp fragte: Ist Transzendenz ein Tabu? Macht das den endgültigen Abschied noch schwerer? Simon Peng-Keller weiss aus seiner Erfahrung als Klinikseelsorger: «Viele Leute haben durchaus einen Bezug zur Spiritualität, doch sie sprechen nicht gerne darüber, was sie zuinnerst bewegt.» Wenn er sich den Patienten als Seelsorger vorstelle, erhalte er manchmal zweideutige Signale: «Einige sagen, sie seien aus der Kirche ausgetreten. Dann beginnen sie aber doch von ihrem Glauben zu erzählen.» Das Sprechen über Spirituelles sei essenziell, zeigte sich Mario Etzensberger überzeugt: «Über psychische Erkrankungen zu sprechen ohne auf Spirituelles einzugehen, ist wie Suppe ohne Salz.» Simon Peng-Keller nimmt in der Medizinwelt eine zunehmende Öffnung gegenüber Spiritual Care wahr.  «Es freut mich, dass ausgerechnet der Psychiater in unserer Runde die Transzendenz ins Spiel gebracht hat.»

Was das Sterben leichter macht

«Fällt religiösen Menschen das Sterben leichter?», wollte Moderator Bernd Kopp wissen. Annett Ehrentraut sagte ihre persönliche Meinung: «Wer das Sterben akzeptiert und sich offen damit auseinandersetzt, hat es leichter.» Markus Zimmermann ist überzeugt, dass Familie und Freunde auch im Sterben das Wichtigste überhaupt sind. Dem pflichtete Dieter Hermann, Geschäftsführer des Hospiz‘ Aargau in Brugg in seinem kurzen Statement zu: «Niemand will alleine sterben.»

Demut

Menschen wollten professionelle Pflege und spirituelle Begleitung. Wenn Patienten ins Hospiz kommen, hätten sie den Tod meist vor Augen und sprächen auch darüber. Schwerer falle dies aber den Angehörigen. Sie seien meist froh, dass jemand das Abschiednehmen anspreche. Auf die Frage aus dem Publikum, was denn in den Köpfen der Menschen passieren müsse, damit das Sterben seinen Schrecken verliere, antwortete Psychiater Mario Etzensberger: «Das grösste Hindernis, das Sterben zu akzeptieren, ist für mich das heutige Machbarkeitsdenken. Wer nichts mehr machen kann, hat heute definitiv etwas falsch gemacht.» Angesagt wäre seiner Meinung nach ein wenig Demut – «ich weiss, kein sehr populärer Begriff.»

Im konkreten Fall entscheiden sich viele gegen Sterbehilfe

Zum Thema Sterbehilfe stellte Moderator Bernd Kopp die These in den Raum, dass es weniger assistierte Suizide gäbe, wenn die Versorgung auf der Palliativstation besser wäre. Palliativärztin Annett Ehrentraut beobachtet auf ihrer Station, dass zwar viele Patienten Mitglied bei einer Sterbehilfeorganisation sind, jedoch angesichts ihres bevorstehenden Todes ihre Meinung ändern. In den drei Jahren als leitende Ärztin am Kantonsspital Baden habe sie erst drei assistierte Suizide erlebt. Mario Etzensberger fügte mit Blick auf die Patientenverfügung an, dass man eine solche jederzeit ändern könne. «Das soll man auch unbedingt tun, wenn man seine Ansichten ändert.»

Sehr persönliche Einblicke

Zum Schluss des Gesprächs über Leben und Tod gaben die Teilnehmer sehr persönliche Einblicke in ihre Erfahrungen und Wünsche. Mitorganisator Hans Senn hat beim Tod seines Bruders erfahren, dass man intuitiv spürt, was das Richtige ist. «Man muss nicht viel Neues erfinden, sondern offen sein. Tote berühren und sich von ihnen berühren lassen, es geschehen lassen», sagte er.

Auf die abschliessende Frage von Bernd Kopp: «Was wünschen Sie sich für Ihren eigenen Tod?» gaben die vier Podiumsteilnehmer freimütig Auskunft. «Ich möchten meinen Nächsten Adieu sagen können», «Ich möchte das Gefühl haben, meine Lebensaufgabe erfüllt zu haben», «Ich möchte mit mir im Reinen sein» und: «Ich wünsche mir, dass jemand bei mir ist».

 

Quelle: "Horizonte"