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Theologisches Seminar | Theologische und Religionswissenschaftliche Fakultät

Im Raum des Heiligen

Spiritualität und Medizin – Simon Peng-Keller verbindet als Professor für Spiritual Care am neuen Lehrstuhl der Universität Zürich für Medizin- und Theologiestudierende mehr als zwei Welten.

Im hellen, schlicht möblierten Büro der reformierten theologischen Fakultät, gleich neben dem Zürcher Grossmünster, bereitet der katholische Theologe das nächste Modul für seine zwölf Medizin- und vier Theologiestudierenden vor. «Wir haben für uns ein Modell aus den USA angepasst», erklärt Peng. «Wir gehen davon aus, dass die Patienten Experten sind. Angehende Ärztinnen und Ärzte und zukünftige Seelsorgende können von ihnen lernen.» Die Studierenden besuchen während zehn Wochen Schwerkranke und Sterbende und lernen, deren Nöte, Wünsche und Herausforderungen genauer zu verstehen und die spirituellen Aspekte des ihnen Mitgeteilten herauszuspüren. Gleichzeitig bedenken sie in der Supervision ihr eigenes Verständnis von Krankheit, Sterben und Tod.

Die dank der Initiative und der finanziellen Unterstützung durch die katholische und reformierte Kirche im Kanton Zürich geschaffene neue Professur für «Spiritual Care» zeigt auf, dass auch in der Hightech-Medizin die Erkenntnis angekommen ist: «Die spirituelle Dimension des Menschen ist ein wichtiger Teil der Heilung und der Sterbebegleitung», sagt Peng. Gleichzeitig zeige der Spitalalltag: «Pflegende sowie auch Ärztinnen und Ärzte haben immer weniger Zeit und es gibt immer mehr Bürokratie.» Dies sei eine Zerreissprobe für viele im Spital tätige Menschen. Das neue medizinische Fachgebiet Palliative Care, zu dem Spiritual Care gegenwärtig noch gehört, sei «wie eine Insel in der Medizinwelt». Eine Insel jedoch, die ernstgenommen und wahrgenommen werde.

Nachdenklich schaut Simon Peng-Keller aus dem Fenster, auf die mittelalterlichen Fensterbögen der Helferei, wo einst der Zürcher Reformator Zwingli wohnte. Der katholische Peng – dessen Name nach China klingt, in seinem Fall aber aus Vals stammt – ist in Chur aufgewachsen, zwischen Bergen, deren Ruhe und Majestät er noch heute beim Wandern geniesst. Bereits mit 15 Jahren, in einer Pubertätskrise, machte er sich auf die Suche und fand im Rahmen von Kontemplationswochen, die von der «Jungen Gemeinde» angeboten wurden, seine «Lebensspur, etwas, das mich nie mehr losgelassen hat». Nach der Matura interessierten ihn drei Ausbildungen: Theologie, Medizin oder Pflege. Zur Klärung arbeitete er vier Monate als Hilfspfleger in einem Altersheim, wo er zum ersten Mal einen sterbenden Menschen bis zum Schluss begleitete. «Das hat mich sehr berührt und mir die Angst oder die Befangenheit vor dem Tod genommen. Dort bin ich zum ersten Mal in den Raum des Heiligen getreten, den man in Todesnähe immer spürt.» Entschieden hat er sich für Theologie, gleichzeitig die Ausbildung zum Spitalseelsorger besucht. Mystikforschung, Theologie des geistlichen Lebens, christliche Spiritualität sind Stichworte aus seiner theologischen Forschung und Lehrtätigkeit. «Ich sah es als meine Aufgabe, den Graben zwischen Menschen, denen kontemplative Praxis wichtig ist, und jenen, die wissenschaftlich Theologie betreiben, zu überwinden», sagt Peng, der auch heute noch Kurse als Kontemplationslehrer anbietet, immer zusammen mit seiner Frau, der Psychologin und Psychotherapeutin Ingeborg Peng-Keller. «Diese Kurse sind unser gemeinsames Projekt, etwas, das uns beiden wichtig ist und wo wir uns gut ergänzen.»

Nun hat ihn seine kontemplative, medizinische und theologische Lebensspur zur Professur für Spiritual Care an der Universität Zürich geführt, gleichzeitig arbeitet er zu einem kleinen Pensum am Unispital Zürich als Spitalseelsorger. «So bleibe ich am Puls der Spitalwelt und erlebe die rasche medizinische Entwicklung mit. So bringe ich auch eigene Erfahrung in die Lehrtätigkeit.» Denn auch Leben und Lehre, Erfahrung und Wissenschaft will Simon Peng-Keller verbinden.

Wie viel Arbeit auch die neue Professur bringen mag, er nimmt sich am Morgen mindestens eine halbe Stunde Zeit, um «mich zu öffnen für Gottes Gegenwart». So kann er in der Hektik des Tages – entsprechend einer Regel von Frère Roger, die sein Lebensmotto wurde – «die innere Stille wahren und mich durchdringen lassen vom Geist der Freude, Barmherzigkeit und Einfachheit». Sagt’s und macht sich auf den Weg ins Spital, wo er zwei Patienten besuchen möchte, «wenn sie können und wollen».

Quelle: forum - Pfarrblatt der katholischen Kirche im Kanton Zürich Nr. 12, 2016

Beatrix Ledergerber-Baumer