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Theologisches Seminar | Theologische und Religionswissenschaftliche Fakultät

Sibylle Lewitscharoff über Leben, Sterben, Mut und Demut

Über den Tod in der Literatur und im Leben sowie über das literarische Erzählen über den Tod hinaus sprach Sibylle Lewitscharoff im Rahmen der Ausstellung «Noch mal leben vor dem Tod» in der Limmat Hall.

«Das Todeswissen der Literatur hat mich zu einem klügeren Menschen mir selber gegenüber gemacht.» Die Schriftstellerin und Büchner-Preisträgerin Sibylle Lewitscharoff gab im Rahmen der Ausstellung «Noch mal leben vor dem Tod» in Zürich Einblicke in ihre Gedanken zum Sterben und ihre Motive, darüber zu schreiben. Die Veranstaltung in der Limmat Hall war Teil einer Schwerpunktreihe der Paulus Akademie mit dem Titel «Vom Sterben erzählen». Verschiedene Autorinnen und Autoren verfassten Texte zum Thema, um sie zur Diskussion zu stellen. Lewitscharoff las den ihrigen am Mittwoch, 2. November in der Limmat Hall.

Im Text wie im anschliessenden Gespräch mit Andreas Mauz vom Institut für Hermeneutik und Religionsphilosophie der Universität Zürich wurde deutlich, welche Rolle dem Sterben in der Arbeit von Sibylle Lewitscharoff zukommt. Und auch, wie sie über das Sterben denkt, über Bestattungswünsche in der heutigen Zeit oder über Alter und Schwäche. Und das – wie hätte man es von ihr anders erwarten können – ziemlich ungeschminkt, ohne Beschönigung oder anderen Firlefanz, nüchtern und immer aus der eigenen Geschichte heraus formuliert. Lewitscharoff sagt, in den Künsten sei es eine Aufgabe, das Sterben zu imaginieren. Und es sei geradezu die vornehmste Aufgabe der Literatur, Totenwache zu halten und Totengespräche zu führen. Fast alle literarischen Werke handelten von Menschen, sagt sie – und entsprechend oft auch vom Sterben. Das Sterben sei ewiges Thema in der Literatur, weil es eben einfach dazu gehöre, zum menschlichen Leben.

Ausserordentliche Beerdigungsfantasien
Was von ihr aus offensichtlich nicht unbedingt dazu gehören müsste, sind die immer ausserordentlicher werdenden Bestattungswünsche von Sterbenden. «Es kann anstrengend werden, die letzten Wünsche zur Bestattung zu erfüllen.» Den zurückbleibenden Angehörigen das Versprechen abzuringen, dass diese die eigene Asche auf dem Himalaya verstreuten beispielsweise, sei doch eher eine Zumutung. Und sie weiss noch von ganz anderen, äusserst kreativen Einfällen zu berichten, was Bestattungswünsche angeht. «Mir kommt das seltsam vor.» Nicht selten würden die Beerdigungsfantasien gar etwas peinlich. Sie hielt ein regelrechtes Plädoyer gegen Exzesse mit egoistischer Selbstinszenierung. «Man will’s irgendwie anders, höchstpersönlich und apart.» Lewitscharoff findet: «Ein höflicher Mensch verabschiedet sich leise, ohne über das eigene Ableben hinaus die Angehörigen mit besonderen Aufträgen an sich zu binden.»

Ihr grosses Vorbild in dieser Sache ist ihre Grossmutter. Diese habe damals «kein Sterbetheater» aufgeführt. Dies habe mit der Bescheidenheit zu tun, die «Schrumpfung der Verhältnisse» hinzunehmen und für Ordnung zu sorgen im Kleinen. Überhaupt sei es ein Problem, dass viele sich heute nicht fügen, ein Schicksal nicht hinnehmen könnten. Es sei dies ein «Problem des Narzissmus, der auch im Sterben nicht endet.» Ihr seien Menschen sympathisch, die sich fügten, sich nicht gegen alles auflehnten oder versuchten, alles im Griff zu haben. «Es ist dem Menschen bestimmt, in ein gewisses Alter zu kommen, wo halt nicht mehr alles so gut geht», so Lewitscharoff, die mit ihren 62 Jahren am Rollator geht. «Dem Mensch ist die zermürbende Kleinheit beschieden.» Und: «Es geht zurück!»

Lewitscharoff, die den eigenen Vater vor vielen Jahren durch Suizid verlor, geht so weit zu sagen: «Alt zu werden und sich dieser Probe auszusetzen finde ich eine ungleich grössere, mutigere Leistung als der Selbstmord ohne höchste Not.» Dass die Medizin heute beim Altwerden und Sterben viel Erleichterung bringen kann, freut sie ebenso wie alle anderen Nutzniesser der medizinischen Entwicklung. Fügt aber an: «Errungenschaften haben oft etwas Teuflisches im Gepäck!» Es sei für sie eine Schreckensvorstellung, krank zu sein und sich nicht äussern zu können. «Was passiert dann?»

Quelle: palliative zh+sh