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Simon Peng-Keller kommentiert im theologischen Feuilleton feinschwarz die neue Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz zur palliativen und seelsorglichen Begleitung von Sterbenden mit dem Titel „Bleibt hier und wacht mit mir!“ (Mt 26,38). Palliative und seelsorgliche Begleitung von Sterbenden.
Das von der Pastoralkommission der DBK gemeinsam mit Expertinnen und Experten erarbeitete Grundlagenpapier verfolgt zwei miteinander verknüpfte Hauptanliegen. Zum einen bekräftigt es mit Blick auf die aktuelle Debatte um den assistierten Suizid das kirchliche Engagement für eine gute palliative Versorgung, zum anderen handelt es sich um die erste Stellungnahme der DBK „zu dem noch jungen Fachgebiet ‚Spiritual Care‘“. Wie positioniert sich die DBK in diesem neuen Feld?
Von Beginn an wird deutlich, dass die DBK die Entwicklung von Spiritual Care, die als interdisziplinäres Fachgebiet und wesentliches Element von Palliative Care verstanden wird, grundsätzlich begrüssen. Als klärungsbedürftig erscheint den Verfassern dabei insbesondere das Verhältnis zur kirchlichen Seelsorge. Vor dem Hintergrund der kontroversen Diskussion um Spiritual Care in der deutschsprachigen Theologie suchen die Bischöfe nach einer nuancierten Mittelposition. Spiritual Care wird als „Chance und Herausforderung für die kirchliche Seelsorge“ betrachtet.
Die Etablierung von Spiritual Care führe zumindest „teilweise zu einer neuen Wertschätzung der kirchlichen Seelsorge im Gesundheitswesen“ (38) und stärke das Bewusstsein, dass ein christliches Engagement im Gesundheitswesen eine wesentliche Gestalt kirchlicher Sendung darstellt: „Wenn Christen als Teil des therapeutischen Teams in der Begleitung tätig sind, haben sie aufgrund von Taufe und Firmung an der Heilssendung der Kirche insgesamt teil.“ (39) Zugleich warnen die Bischöfe vor einer Verzweckung von Spiritualität und betonen den Unterschied zwischen einer kirchlich beauftragten Seelsorge und einer Spiritual Care, die sich „(eher) weltanschaulicher Neutralität verpflichtet weiß.“(37)
Mit dem vorliegenden Dokument bringt sich die DBK umsichtig und nuanciert in eine laufende Diskussion ein. Wenn ich mich im Folgenden auf die aus meiner Sicht kritischen Punkte des Dokuments konzentriere, so geschieht dies in einer grundsätzlichen Übereinstimmung mit den Grundanliegen des Dokuments. Die darin zum Ausdruck gebrachte Selbstverpflichtung der DBK, sich mit den ihr zur Verfügung stehenden Ressourcen für eine gute palliative Versorgung und die Entwicklung interprofessioneller Spiritual Care einzusetzen, ist uneingeschränkt zu begrüssen.
Ein Hauptproblem des Textes ist es, dass zwar eingangs erwähnt wird, dass „Spiritual Care“ ein Überbegriff für sehr unterschiedliche Konzepte ist, diese Pluralität jedoch im weiteren Text kaum berücksichtigt wird. „Spiritual Care“ wird fast durchgängig im Gegenüber zur kirchlichen Seelsorge verstanden und an manchen Stellen auf das gesundheitsberufliche Tätigkeitsfeld eingegrenzt: „Spiritual Care bezeichnet somit die Wahrnehmung und Sorge der Gesundheitsberufe um die spirituellen Bedürfnisse und existentiellen Nöte von Patienten und Angehörigen wie auch von ihnen.“ (37)
Eine solche Eingrenzung von Spiritual Care entspricht weder dem aktuellen internationalen Wortgebrauch, noch der Begriffsgeschichte („spiritual care“ fungierte über lange Zeit als Synonym für „pastoral care“). Es gibt aus meiner Sicht keinen guten theologischen Grund, kirchliche Krankenhausseelsorge nicht auch als – eine von vielen Formen von – „Spiritual Care“ zu beschreiben, so wie es christliche Seelsorger:innen in englischsprachigen Ländern tun. Auch die EKD1 hat sich dieses umfassendere Verständnis jüngst zu eigen gemacht, welches das Dokument zumindest an einer Stelle selbst übernimmt: „In unserer inzwischen von verschiedenen Kulturen und Religionen geprägten Gesellschaft bietet sich Spiritual Care schließlich als eine übergreifende Konzeption an, unter der neben der kirchlichen Seelsorge auch andere Formen der spirituellen Begleitung zusammengefasst werden können.“ (39)
Dass das Dokument „Spiritual Care“ pauschal eine Tendenz zu „weltanschaulicher Neutralität“ zuschreibt, hat mit dieser unnötigen begrifflichen Verengung zu tun. Um die Frage der weltanschaulichen Neutralität differenziert diskutieren zu können, ist grundlegend zwischen gesundheitsberuflicher und spezialisierter (d.h. seelsorglicher) Spiritual Care zu unterscheiden. Für Gesundheitsfachpersonen gehört weltanschauliche Neutralität zum professionellen Ethos und wird von Gesundheitsinstitutionen zu Recht eingefordert. Auch ein/e christlich inspirierte/r Palliativmediziner/in, die/der auch die spirituellen Bedürfnisse seiner Patient:innen einzubeziehen sucht, wird sich um eine solche Neutralität bemühen und sie mit ihrer/seiner christlichen Grundhaltung zu vereinbaren wissen. Soweit ich sehe, gibt es diesbezüglich einen breiten Konsens, den auch die DBK bejahen dürfte.
Wo liegt dann das Sachproblem, das zur Debatte steht? Offenkundig in der Frage, ob Spiritual Care eine Entkonfessionalisierung der Seelsorge beinhaltet oder zumindest befördert. Das ist keineswegs ausgemacht und hängt auch davon ab, ob es der christlichen Seelsorge gelingt, sich als spezialisierte Profession im Gesundheitswesen neu zu positionieren, die sich nicht auf die Begleitung von Kirchenmitgliedern beschränkt. Dass die DBK diese Zielsetzung verfolgt, hält sie in ihrer Pressemeldung zum vorliegenden Dokument unmissverständlich fest: „Das Angebot der Seelsorge richtet sich an alle Menschen – unabhängig von ihrer Konfession oder Weltanschauung.“2
Zu Recht weist die DBK darauf hin, dass es für eine vertiefte spirituelle Begleitung eine Rolle spielt, welchen religiös-spirituellen Hintergrund sie hat. Aus professionsethischer Sicht wäre es problematisch, Patient:innen diese Informationen vorzuenthalten und sich hinter einer angeblichen weltanschaulichen Neutralität zu verstecken. Doch was bedeutet es, aus christlicher Verwurzelung Patient:innen mit unterschiedlichen weltanschaulichen Hintergründen seelsorglich zu begleiten? Heißt es nicht, genau das zu tun, was die DBK als Vorgehen einer nicht-kirchlichen Spiritual Care zuschreibt: auf „jeweils verschiedene spirituelle Bedürfnisse [von Patient:innen] einzugehen, sich ihnen anzupassen und deren Sinngehalte zu bestätigen, auch wenn ihre eigenen Überzeugungen davon abweichen sollten“ (42)? Doch kann sich kirchliche Seelsorge ein solches Vorgehen zu eigen machen, ohne sich, wie die DBK befürchtet, ihr wesensfremden Zielsetzungen zu unterwerfen?
Das Dokument hält es für gegeben, dass im Horizont von Spiritual Care an die „Seelsorge die Erwartung herangetragen [wird], einen evaluierbaren, d. h. nachweisbaren Beitrag zum Therapieerfolg zu leisten.“ (40) Wogegen abgrenzend gesagt wird: „Christliche Seelsorge verfolgt aus guten Gründen […] keine therapeutischen Absichten in diesem Sinne. Sie versteht sich gewissermaßen als zweckfrei“. (40) Das Anliegen ist zweifellos berechtigt: Seelsorge ist keine standardisierte Therapieform, die ärztlich verschrieben werden kann. Die heilsame Wirklichkeit, die sie zu vergegenwärtigen sucht, entzieht sich der Verfügbarkeit. Doch so sehr es auch zutrifft, dass Seelsorge keine therapeutischen Ziele im medizinischen Sinne anstrebt, so ist professionelle Seelsorge alles andere als ziellos. Mögen seelsorgliche Zielsetzungen offener sein als jene der Medizin, sie sind gleichwohl konkret und verbindlich. In den Worten des Grundlagenpapiers möchte christliche Seelsorge „leidenden Menschen bei(.)stehen […] ihnen Lebensqualität und Hoffnung vermitteln, auch in scheinbar hoffnungslosen Situationen“ (5). Wie die Medizin möchte auch christliche Seelsorge Leiden mindern und ist deshalb auch, im neutestamentlichen Sinne des Wortes, als „therapeutisch“ zu bezeichnen.
Professionelle Seelsorge hat zu überprüfen und auszuweisen, ob sie die selbstgesetzten Ziele, die auch in Qualitätsstandards zum Ausdruck kommen, auch tatsächlich erreicht, was nicht ohne Dokumentation und empirische Forschung möglich ist. Das gilt umso mehr, wenn Seelsorge im Gesundheitswesen tätig ist und es mit hochvulnerablen Personen zu tun hat. Wie für alle anderen in diesem Bereich tätigen Professionen ist auch die klinische Seelsorge den medizinethischen Grundprinzipien verpflichtet. Spätestens seit den jüngsten kirchlichen Missbrauchsskandalen dürfte klar geworden sein, dass seelsorgliches Tun nicht immer heilsam ist und Seelsorge die (selbst-)kritische Überprüfung ihres Handelns auf sich nehmen muss.
Quelle: feinschwarz